Zocker berichtetBörsen-Hype: Das ist von der Gamestop-Aktie geblieben

Lesezeit 5 Minuten
Gamestop-Filiale

Gamestop-Filiale

Köln – Vor einem Jahr ereignete sich an den Börsen eine Geschichte, die das Drehbuch eines Films werden könnte. Am Freitag, 8. Januar ging eine Aktie durch die Decke, die längst schon als totgeglaubt galt. 2700 Prozent stieg der Kurs der Gamestop-Aktie bis zum 28. Januar. Die texanische Firma ist eine Einzelshandelskette für Videospiele und Ähnliches. Ihre besten Jahre waren um 2000. Im Internetzeitalter mit großen Bandbreiten und einfachen Downloads schien das Geschäftsmodell eines stationären Spielehändlers überholt. Aber warum stieg plötzlich und deutlich der Kurs der Exoten-Aktie?

Ganz einfach ist die Geschichte nicht. Die ersten, die erkannten, dass es bei Gamestopp nicht rund läuft, waren US-Hedgefonds. Das sind eine spezielle Form von Investmentfonds, die nicht auf nachhaltige Rendite, sondern auf fallende oder steigende Kurse in kurzer Zeit setzen.

Im Fall von Gamestop setzten sie auf fallende Kurse. Dazu bedienten sie sich des Instruments der Leerverkäufe. Der Hedgefonds verkauft Aktien, die er gar nicht hat. Der Hedgefonds leiht sich also die Papiere, die er verkauft. Und zu einem späteren Zeitpunkt, wenn die Kurse wie erwartet gefallen sind, kauft der das Papier zu einem niedrigeren Preis an der Börse und gibt dem Verleiher die Aktie zurück. Die Differenz zwischen altem hohen Kurs und neuem niedrigem streicht der Hedgefonds als Gewinn ein.

Massenkauf durch Reddit

Diesmal aber gingen die Pläne der Hedgefonds nicht auf. Denn ausgerechnet Kleinanleger stellten sich dagegen. Sie kauften kleinere Aktienpakete von Gamestop – das allerdings in Massen. Abertausende verabredeten sich im sozialen Netzwerk Reddit zum koordinierten Kauf, oder gaben sich schlicht Kauftipps. In der Spitze waren es laut US-Börsenaufsicht 900.000 Anleger. Und damit trieben sie die Kurse nach oben und brachten die Hedgefonds in Bedrängnis. Denn die Aktie stieg sprunghaft binnen Tagen und Stunden.

Das führte zu einer Situation, die man an den Finanzmärkten als „Short­Squeeze“ bezeichnet: Als die Hedgefonds merkten, dass die Kurse sich völlig anders entwickelten als gedacht, fügte das ihren Portfolios enormen Schaden zu, den sie dringend begrenzen mussten.Dies geht technisch nur, indem auch sie nun Gamestop-Aktien kauften, was den Kursanstieg zusätzlich verstärkte. Die jungen Anleger, die oft martialisch „Reddit Army“ (Reddit-Armee) genannt werden, hatten die Profis mit ihren eigenen Waffen geschlagen, so schien es.

Jeder sechste Deutsche ist Aktionär

2021 waren in Deutschland knapp 12,1 Millionen Menschen in Aktien, Aktienfonds oder aktienbasierten ETFs investiert, wie das Deutsche Aktien-Institut (DAI) im Januar ermittelt hat. Das ist rund jeder sechste Mitbürger über 14 Jahren und der dritthöchste Stand seit Beginn der Erhebung im Jahr 1997.

Nach dem starken Anstieg der Aktionäre im Jahr 2020 sanken die Aktionärszahlen im zweiten Jahr der Corona-Pandemie um rund 280 000.

Auch im abgelaufenen 2021 blieben aktienbasierte Fonds/ETFs die beliebteste Form der Aktienanlage in Deutschland. 6,9 Millionen Menschen halten ausschließlich Fonds im Depot. Rund 3,1 Millionen Frauen und Männer setzten dagegen rein auf die direkte Investition in Unternehmen, also das Investment in Einzelaktien. 

Einer von ihnen ist Sebastian F. (Name geändert). „Ich hatte bis dahin nur Fonds, keine Einzelaktien, gekauft. Bei Reddit wurde ich auf Gamestopp aufmerksam, das war Mitte Januar 2021“, sagt der 31-Jährige, der in Düsseldorf lebt. Für einen mittleren dreistelligen Betrag kaufte er Gamestop-Aktien. „Nach zwei schlaflosen Nächten hatte ich 20 Euro verloren“, sagt der BWLer.

Doch er kaufte wieder. „Ich brauchte Geld für ein neues iPhone. Binnen eines Nachmittags hatte ich 700 Dollar verdient, als ich ausstieg“, sagt F. iPhone fast verdient. Doch Sebastian F. stieg wieder ein, und verlor binnen kürzester Zeit alles, was er gewonnen hatte. Denn nach dem Höchststand von 483 Dollar am 28. Januar 2021 sollte das Papier zwar enorm schwanken, aber nie mehr diesen Wert erreichen. Kleinanleger Sebastian F. kaufte auch andere Aktien, ging aber am Ende mit Plus/Minus Null aus den Geschäften raus. „Doch ich habe viel über Aktien gelernt und heute ein breiteres, besser gestreutes Depot“, sagt der Düsseldorfer.

David gegen Goliath

Die Hedgefonds kamen nicht so glimpflich davon. Sie verloren Geld und Ansehen. Die Kleinanleger auf der Plattform Reddit wurden als Helden gefeiert. David-gegen-Goliath-Geschichten mögen die Leute. Am Ende wurde der Handel an vielen Börsen ausgesetzt. Nur das rettete die großen Fonds. Ob das rechtens war, darüber streiten die Gelehrten seitdem.

Aber waren die Anleger der Reddit-Army wirklich die Guten? „Der Gamestop-Hype im Januar 2021 hat die Aufmerksamkeit auf die Kleinanleger gelenkt, die standen zuvor nicht im Fokus. Je geringer das Handelsvolumen bei einer Aktie, desto eher können sie einzelne Aktien beeinflussen“, sagt Robert Greil, Chefstratege der Privatbank Merck-Finck. Durch soziale Plattformen wie Reddit seien sie heute viel besser vernetzt. „Manch einer dürfte Dollarzeichen in den Augen gehabt haben und dann überrascht gewesen sein, wie schnell sich Kursgewinne auch wieder in Luft auflösen können. Die Ereignisse aus dem Januar 2021 zeigen aber, dass die BWL-Bücher von einst die Welt der Märkte heute nicht mehr in jeder Hinsicht erklären können“, sagt Greil.

Ist die Macht der Hedgefonds nun gebrochen? „Einige Hedgefonds verloren dadurch Milliarden“, sagt Jörg Wiechmann , Geschäftsführer des Börsenclubs IAC. Nun wollten die Neu-Börsianer mehr: Eine Börsen-Revolution, bei der die Machtverhältnisse zwischen Kleinanlegern und Großinvestoren umgekehrt werden sollten.

Das könnte Sie auch interessieren:

„Doch der vor einem Jahr frisch erwachte Börsen-Tiger ist mittlerweile als Bettvorleger auf dem Boden der Tatsachen gelandet“, sagt Wiechmann. Für eine Weile habe die abgestimmte Kursmanipulation für hunderttausender Kleinanleger funktioniert, denn auf kurze Sicht sei die Börse eine Abstimmungs-Maschine, bei der allein Angebot und Nachfrage entscheiden. Langfristig dagegen sei die Börse eine Bewertungs-Maschine: „Sie sorgt dafür, dass Aktienkurse dem eigentlichen Unternehmenswert folgen.“

Ganz nutzlos aber war das Börsengewitter von Januar 2021 nicht. „Heute haben Kleinanleger deutlich mehr Einfluss als vor wenigen Jahren“, sagt Matthias Peister im Interview mit dem „Kölner Stadt-Anzeiger. Peister hat als Wirtschaftsprofessor an der Uni Paderborn das „räuberische Verhalten“ der Kleinanleger in einer Studie untersucht. Im Juli/August lag das Handelsvolumen der Kleinanleger in den USA bei 25 Prozent des Marktes, das hat es vorher so nicht gegeben. Parallel zum Ausbruch von Corona kamen immer mehr Kleinanleger an die Kapitalmärkte, das verändert die Dynamik“, sagt der Professor.

Nun plant angeblich die Streaming-Plattform Netflix einen Film über die Börsen-Revolte zu drehen.

KStA abonnieren