Tom Alison im InterviewSo will Facebook die Timeline komplett umkrempeln

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Das Facebook-Logo ist auf einem Handy zu sehen. Eine Frauenhand tippt auf das Download-Icon neben dem Logo.

Download der Facebook-App auf einem Handy.

Auf Facebook, das größte soziale Netzwerk der Welt, kommen große Veränderungen zu. Künstliche Intelligenz soll die Inhaltsempfehlungen verbessern. Facebook-Chef Tom Alison erklärt im Interview die Motivation.

Herr Alison, Facebook hat grundlegend verändert, wie wir miteinander sprechen, Informationen austauschen und Beziehungen pflegen. Hat Facebook die Welt wirklich besser gemacht?

Tom Alison: Im Kern unserer Mission geht es um soziale Verbindungen. Facebook ist für mich und mein Team ein Ort für Menschen, die neugierig sind. Die ihre Welt öffnen wollen, sich mit anderen Menschen verbinden wollen, die ihre sozialen Beziehungen nutzen möchten, um ihr Leben besser zu machen oder anderen zu helfen. Wir wissen natürlich, dass, wann immer es um soziale Verbindungen geht, dabei auch schlechte und schädliche Dinge passieren. Aber genau das ist der Grund, warum wir im Laufe der Jahre so viel in diesen Bereich investiert haben – etwa durch unsere Transparenzberichte oder auch unsere Zusammenarbeit mit dem Oversight Board (Metas externes Aufsichtsgremium Anm. d. Red). Aus meiner Sicht spiegelt das unser tief gehendes Engagement wider, sicherzustellen, dass wir soziale Medien zu ihrem Vorteil nutzen. Darauf konzentrieren wir uns – während wir gleichzeitig weiterhin versuchen, Schäden zu reduzieren.

Das Aufsichtsgremium hat kürzlich eine Stellungnahme zum sogenannten Cross-Checking-Programm (Mehrfachprüfung) veröffentlicht. Ein Vorwurf, der darin implizit zum Ausdruck kommt und ja auch von Kritikerinnen und Kritikern immer wieder geäußert wird, lautet: Facebook toleriert beispielsweise Hassrede, weil das gut für das Geschäft ist.

Hass wird definitiv nicht auf Facebook geduldet und ist erst recht nicht etwas, das wir für geschäftsfördernd halten. Unsere Transparenzberichte zeigen, dass wir Quartal für Quartal, Jahr für Jahr, besser darin werden, schädliche Inhalte auf Facebook zu entfernen. Was die Stellungnahme des Oversight Board betrifft: Wir werden uns das Feedback jetzt genau anschauen und überlegen, wie wir es nutzen können, um Änderungen umzusetzen. Teilweise hatten wir damit aber auch schon begonnen.


Tom Alison ist seit anderthalb Jahren Chef von Facebook, dem sozialen Netzwerk des Meta-Konzerns mit Mark Zuckerberg an der Spitze.

Davor war Alison mehr als elf Jahre Technologie-Chef bei Facebook.


Ein Facebook ganz ohne Hass, Fake News und andere schädliche Inhalte – ist das unmöglich?

Diese Art von Inhalten wird es solange geben, wie sich Menschen gegenseitig solche Dinge sagen wollen. Das ist ein gesellschaftliches Problem, das es schon vor Facebook und vor dem Internet gab. Aber natürlich tragen wir die Verantwortung, sicherzustellen, dass diese Inhalte sich auf unserer Plattform nicht ausbreiten. Wir sind inzwischen viel besser darin geworden, proaktive künstliche Intelligenz (KI) einzusetzen, die diese Inhalte so schnell wie möglich entdeckt. Unser Ziel ist es, Inhalte, die gegen die Richtlinien verstoßen, zu entfernen, bevor sie irgendjemand zu Gesicht bekommt. Daran messen wir uns.

Wenn wir gerade von Verstößen gegen die Richtlinien sprechen?... Darf Donald Trump nächstes Jahr wieder zurück auf Facebook?

Dazu kann ich Ihnen nichts sagen. Das ist die Aufgabe unseres Policy-Teams zu diskutieren, wie sie diese besondere Entscheidung angehen würden.

Die Inhalte von Freunden und Familien werden weiter der Grundstein von Facebook sein. Neu ist, dass wir jetzt die technischen Möglichkeiten haben, Menschen zu verbinden, die sich nicht kennen.
Tom Alison, Facebook

Sie arbeiten gerade an einer großen Veränderung des Facebook-Algorithmus, der sogenannten Discovery Engine. Was genau verbirgt sich dahinter?

Wie ich schon gesagt habe: Bei Facebook geht es um soziale Verbindungen. Wir wollen Sie mit den Menschen verbinden, die Sie schon kennen. Wir wollen, dass Sie mit ihnen in Verbindung bleiben und Ihr Leben mit ihnen teilen können. In Zukunft wollen wir Sie aber auch mit Menschen verbinden, die Sie gerne kennen würden. Oder die Sie kennen sollten. Ich zum Beispiel interessiere mich sehr für Fitness. Facebook schlägt mir also Content-Creator vor, die ich gar nicht kannte, die mir aber geholfen haben, neue Gewichthebetechniken zu lernen. Ein großer, neuer Teil der Discovery Engine sind daher KI-gestützte Empfehlungen. Wir nutzen die Fortschritte in der KI-Technologie, um aus den Milliarden von Inhalten, die es auf Facebook gibt, genau die herauszusuchen, die für Sie spannend sind. Egal, ob Sie mit der Person, die sie erstellt hat, bereits befreundet sind, ihr folgen oder Teil einer Gruppe sind – oder nicht.

KI-Empfehlungen statt Inhalte von Freunden und Familien: Ist das nicht eine komplette Abkehr von dem, was Facebook ursprünglich einmal ausgemacht hat?

Der Eindruck entsteht manchmal, ja. Aber er ist nicht richtig. Die Inhalte von Freunden und Familien werden weiter der Grundstein von Facebook sein. Neu ist, dass wir jetzt die technischen Möglichkeiten haben, Menschen zu verbinden, die sich nicht kennen. Ganz offen gesprochen: Wir waren früher nicht in der Lage, das in diesem Ausmaß zu tun, weil die Technologie nicht genug ausgereift war. Vielleicht gibt es aber jemanden am anderen Ende der Welt, der etwas tut, dass Sie total berührt oder begeistert. Wenn wir Ihnen das zeigen, haben wir nicht nur eine Verbindung zwischen Ihnen und dieser Person hergestellt. Sondern vielleicht wollen Sie diese Inhalte wiederum mit Ihren Freunden oder in einer Gruppe teilen – und so Ihre gemeinsamen Interessen vertiefen. Aber wenn jemand Facebook nur nutzen möchte, um Inhalte von Freunden und Familie zu sehen, kann er oder sie das auch tun.

Tiktok jagt gerade vielem nach von dem, was Instagram und Facebook schon seit Jahren tun
Tom Alison, Facebook

KI arbeitet nicht perfekt. Wie stellen Sie sicher, dass die KI keine Inhalte empfiehlt, die man gar nicht sehen will – oder gar Gewalt, Belästigung oder Hassrede enthalten?

Wann immer wir an einem neuen Produkt arbeiten, denken wir von Anfang an auch die Sicherheit mit. Während wir also noch an unserem Empfehlungssystem arbeiten, stellen andere Teams sicher, dass dieses so gebaut wird, dass das Risiko signifikant reduziert wird. Für alle Inhalte auf Facebook gelten ja bereits die Gemeinschaftsrichtlinien. Aber weil die Empfehlungen nicht durch Ihr Freundesnetzwerk, sondern von Facebook selbst kommen, liegt die Messlatte noch mal höher.

Tiktok beherrscht das Empfehlen von Videos schon ziemlich gut. Wird Facebook also künftig ein Tiktok-Klon?

Das werde ich oft gefragt. Aber wenn überhaupt, dann ist es aus meiner Sicht eher so, dass Tiktok gerade vielem von dem, was Instagram und Facebook schon seit Jahren tun, nachjagt. Tiktok hat viel von der Magie hinter Kurzformvideo-Empfehlungen entdeckt. Aber jetzt versuchen sie, dass Menschen auf Tiktok zu Freunden werden oder Stories produzieren. Am Ende des Tages wird der beste Service derjenige sein, der Inhalte von Freunden und Familien mit zahlreichen anderen Formaten, die es den Nutzerinnen und Nutzern erlauben, ihre Interessen zu erkunden, mischt. Video ist dabei wichtig, aber es gibt noch viel mehr. Deshalb glaube ich, dass Facebook in einer sehr guten Position ist, ein anderes und reicheres Nutzererlebnis zu schaffen als es Tiktok derzeit vermag.

Wird das reichen, damit Facebook auch bei jungen Menschen wieder cool wird?

Junge Erwachsene zwischen 18 und 29 Jahren nutzten Social Media ganz anders. Sie bevorzugen es oft, Inhalte eher im Privaten zu teilen. Sie wollen ihre Interessen gemeinsam mit anderen Menschen erkunden. Deshalb ist die Discovery Engine eines der wichtigsten Projekte, an denen wir arbeiten, aber sicher nicht das einzige. Wir haben zum Beispiel auch viel in Reels (ein Kurzvideoformat auf Facebook, Anm. d. Red.) investiert und die Ergebnisse, die wir bisher erzielen, sind meiner Meinung nach ermutigend. Wir sind zudem gerade dabei, mehr Messaging-Features in Facebook zu integrieren, sodass es einfacher wird, Inhalte mit Freunden, anstelle des ganzen Feeds zu teilen. Und auch an Facebook-Gruppenempfehlungen scheinen junge Erwachsene interessiert zu sein. Wir haben noch viel Arbeit vor uns, aber ich denke, wir können unser Produkt so umformen, dass auch junge Erwachsene es mögen.

Meta und andere Technologieunternehmen stehen einer viel schwierigeren Post-Corona-Wirtschaft gegenüber als wir das angenommen hatten
Tom Alison, Facebook

Wann werden all diese Änderungen denn implementiert?

Wir haben dieses Jahr schon einiges gemacht. Aber im Verlauf des nächsten Jahres werden Nutzerinnen und Nutzer bemerken, wie sich Facebook verändern wird – zum Beispiel durch Empfehlungen im Feed oder der Möglichkeit, Inhalte mit kleinen Freundesgruppen zu teilen. In diesem Zeitrahmen werden wir auch jegliche größeren Lücken zu Empfehlungs-KIs anderer Mitbewerber schließen. Sodass wir Ende 2023, Anfang 2024, die beste Empfehlungs-KI von allen Technologie-Konzernen weltweit haben.

In den vergangenen Wochen haben zahlreiche Tech-Unternehmen Mitarbeitende entlassen. Meta hat 11?000 Stellen gestrichen. Ist das ein Zeichen, dass die Zeit der großen sozialen Netzwerke vorüber ist?

Meta und andere Technologieunternehmen stehen einer viel schwierigeren Post-Corona-Wirtschaft gegenüber als wir das angenommen hatten. Wir hatten auch nicht mit dem Krieg in der Ukraine gerechnet, der ja einen großen Einfluss auf die Energiepreise hatte. Es gibt also gerade jede Menge Turbulenzen in der Wirtschaft, auf die wir wie andere Firmen auch, reagieren. Entlassungen sind sehr bedauerlich, sie betreffen jedoch nicht nur Meta, oder die Tech-Firmen, sondern viele Unternehmen. Ich persönlich denke, dass wir am Ende daraus stärker hervorgehen werden.


Über Facebook

2,96 Milliarden monatlich aktive Nutzerinnen und Nutzer (dritter Quartalsbericht 2022) hat Facebook derzeit. Das soziale Netzwerk wurde 2004 gegründet. Gründer ist Mark Zuckerberg. 2021 wurde das Unternehmen in Meta umbenannt, zu dem neben den sozialen Netzwerken Facebook und Instagram auch der Messenger Whatsapp und die VR-Marke Meta Quest gehören.

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