Verkehr in der StadtAachener Forscher entwickeln Gondel, die schwebt und fährt

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  • Fahrerlose Busse, Seilbahnen: Ideen, um die innerstädtischen Verkehrsprobleme zu lösen, gibt es viele.
  • Forscher aus Aachen wollen nun mehrere Ansätze zusammenführen: Eine Fahrgastzelle, die als Bus durch die Stadt fährt und als Gondel schwebt, je nach Bedarf.
  • Klingt wie Zukunftsmusik, doch schon im nächsten Jahr soll es einen Prototyp geben.

Das Institut für Luft- und Raumfahrttechnik der RWTH liegt mitten im Aachener Leben – Pontstraße, Rathaus, Dom, alles zu Fuß in ein paar Minuten erreichbar. Die Anreise per Auto allerdings ist die übliche urbane Geduldsprobe, vor allem wenn ringsum die Straßen aufgerissen werden und der Verkehr durch einspurige Ausweichpfade gepumpt werden muss. Aber das passt ganz gut, denn ziemlich genau darum geht es. Tobias Meinert, Forscher am Institut für Strukturmechanik und Leichtbau, muss nicht weit ausholen, als er auf einem Bildschirm darlegt, dass und warum der Großraum Rhein-Ruhr mit den Niederlanden und Belgien zu den Top 20 der am dichtesten besiedelten und verkehrsreichsten Zentren der Erde gehört. Eine natürliche Hochverkehrsregion, Verkehrskollaps als Regelfall.

Über eine Lösung der innerstädtischen Verkehrsprobleme wird viel nachgedacht. Ein paar Institute weiter haben Aachener Forscher Elektroantriebe und autonome Mover, das heißt: fahrerlose Busse entwickelt; in Monheim am Rhein haben solche Fahrzeuge unlängst den Testbetrieb durch die Altstadt aufgenommen; in Köln machte jüngst die Neuauflage einer Idee Schlagzeilen: Was, wenn man den Hauptbahnhof und den Bahnhof Deutz mit der künftigen Messe-City durch eine Seilbahn über den Rhein verbinden würde? Und was – und das ist die Idee der Aachener – wenn man diese Systeme kombinierte: Busse, die schweben, Gondeln, die fahren, und beides verbunden durch Schnittstellen aus dem Weltraum?

Arbeiten an der Symbiose von Fliegen und Fahren: David Bierbüsse, Eduard Heidebrecht und Tobias Meinert (v.l.)

Arbeiten an der Symbiose von Fliegen und Fahren: David Bierbüsse, Eduard Heidebrecht und Tobias Meinert (v.l.)

Upbus heißt das Konzept der Aachener, up wie oben und bus wie Bus. Bevor die Vorzüge beider Systeme zum Tragen kommen, gilt es die Nachteile auszuschalten: Der autonom fahrende Bus mit Elektro-Antrieb steht im Zweifel gleich neben all den Diesel- und Benzinfahrzeugen im Stau; im Luftraum darüber könnten Seilbahnen verkehren; sie werden aber meist als Insellösung eingesetzt und sind nicht eingebunden in ein ÖPNV-Netz. Das muss anders werden.

Bei Seilbahnen denkt man in der Regel an die alpinen Gondeln, mit denen Skifahrer und sonstige Berg-Touristen auf die Gipfel gebracht und wieder abgeholt werden. Dieses Konzept sei nicht nur technisch ausgereift und unter extremen Bedingungen praxiserprobt, es sei auch ausbau- und großstadtfähig, sagt Meinert. In verschiedenen Metropolen sind Seilbahnen im Einsatz – häufig als Ersatz für Brücken wie in London, New York oder in Köln zwischen Zoo und Rheinpark; in Rio de Janeiro ist der Zuckerhut angebunden und in La Paz in Bolivien befindet sich ein dichtes Streckennetz im Aufbau. Die Grenzen zwischen touristischer Attraktion und logistischer Notwendigkeit verschwimmen oftmals.

Aber so weit mussten die Aachener gar nicht gucken, um belastbares Studienmaterial zu finden. In Aachen selbst hatte die Stadtverwaltung vor Jahren Berechnungen anstellen lassen für eine innerstädtische Ost-West-Verbindung Aachen – Uni Campus zur Entlastung der überfüllten Innenstadt: Straßenbahn, Seilbahn und ein Bus-System wurden verglichen. Das Ergebnis: Eine Seilbahn ist mit Abstand am preiswertesten – man braucht keine Straßen aufzureißen, keine Löcher in den städtischen Grund zu graben und keine Brücken zu bauen. In Aachen wurde eine Kapazität von 6000 Passagieren pro Stunde zugrunde gelegt. Genug für die Kaiserstadt.

Das Problem: Die Altstadt mit dem Dom – denn die Streckenführung einer Seilbahn ist zwar flexibel, die Platzierung der Haltestellen ist es aber im Zweifel nicht – und die Aachener Altstadt ist historisch kostbarer Raum. Ein typisches Problem, das so oder ähnlich in jeder Großstadt auftreten wird.

Gemeinschaftsprojekt der RWTH Aachen

Das Upbus-Projekt (oder upBUS) ist eine Gemeinschaftsarbeit der RWTH. Beteiligt ist neben dem Institut für Strukturmechanik und Leichtbau von Prof. Kai-Uwe Schröder der Lehrstuhl für Höchstfrequenzelektronik mit David Bierbüsse, Eduard Heidebrecht und Prof. Renato Negra.

Die Schnittstelle iSSI (intelligent Space System Interface) zwischen Fahrgastzelle und dem Seilgehänge, bzw. dem Fahrmodul , wurde entwickelt im iBOSS-Projekt (intelligent Building Blocks for On-orbit Servicing). Das Projekt wurde vom DLR Raumfahrtmanagement gefördert und besteht aus einem Konsortium aus TU Berlin, FZI Karlsruhe, RIF Dortmund und dem SLA und MMI (Institut für Mensch-Maschine-Interaktion) von der RWTH Aachen. (ksta)

Der Vorschlag der Aachener: Ein Hybridvehikel, bestehend aus drei Komponenten: Eine Fahrgastzelle, die mit dem Fahrmodul und dem Gehänge der Seilbahn gekoppelt werden kann. Ein und dieselbe Fahrgastzelle verkehrt als autonomer Bus in dichtem Takt durch die Stadt und schwebt als Seilbahn sauber und leise über den sich stauenden Straßenverkehr und über Hindernisse hinweg. Das Besondere an dieser Technik: „Die Fahrgäste brauchen während der unterschiedlichen Transportmodi nicht umzusteigen“, sagt Meinert.

Allerdings: „Das technisch größte Problem ist die Schnittstelle von Seilbahn-Gondel und dem Fahr-Modul“, sagt Meinert. Und hier kommen die Luft- und Raumfahrttechniker des Projekts zum Einsatz. „Im Satellitenbau setzt sich die Modultechnik durch“, sagt Meinert, „das Raumschiff besteht aus zahlreichen Teilen, die miteinander kommunizieren.“ Die Idee ist, dass man diese Teile austauschen kann, ohne den Betrieb der ganzen Raumstation zu stören. Seit 2010 gibt es in Aachen eine solche Schnittstelle, entwickelt für eine vollautomatische Kopplung im Weltraum.

Im irdischen Kontext bleibt das immer noch kompliziert genug: Bei einer Geschwindigkeit von etwa 1 Meter/Sek (3,6 km/h) muss die Fahrgastzelle ins Fahr-Modul oder ins Seilgehänge einklinken und ohne Zeit- und Sicherheitsverlust den Fahrbetrieb fortsetzen. An der Schnittstelle müssen Informationen, mechanische Lasten und Energien übertragen werden.

Im Herbst wollen die Aachener ihr Modell auf der Internationalen Automobilausstellung zeigen, bis 2020 soll in Zusammenarbeit mit dem Seilbahn-Hersteller Doppelmayr ein Prototyp fertiggestellt sein, der den Wechsel zwischen Bus- und Gondelbetrieb demonstriert. 2023 soll dann ein Testbetrieb mit Fahrgästen aufgenommen werden.

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