Beziehungsberaterin„Wer sich ungeliebt fühlt, gibt nach“

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Illustration: Nachdenkliches Gesicht

Viele menschen leben mit einem negativen Selbstbild. Das wirkt sich auch auf Beziehungen aus.

Menschen mit einem geringen Selbstwertgefühl geraten oft an Partner, die das ausnutzen. Beziehungsberaterin Heike Klopsch erläutert, wie man solche Muster aufbricht und eine glücklichere Beziehung führen kann.

Frau Klopsch, ich hatte mal eine Freundin – nennen wir sie Marlene – die immer an Partner geraten ist, die sie schlecht behandelten und betrogen. Als ich sie fragte, warum sie sich nicht trennt, sagte sie: „Weil mich sonst niemand haben möchte.“ Können Sie sich erklären, warum sie so etwas denkt?

Heike Klopsch: Marlene muss ein schwaches Selbstwertgefühl haben – und gleichzeitig ein großes Bedürfnis nach Bindung und Liebe. Wahrscheinlich glaubt sie aber: „Ich bin es nicht wert, geliebt zu werden.“ Und: „Ich werde nur geliebt, wenn ich mich stark an meinen Partner anpasse und um seine Zuwendung kämpfe.“ Dafür nimmt sie auch in Kauf, in Beziehungen schlecht behandelt zu werden. Viele Menschen leben mit solchen Glaubenssätzen – also negativen inneren Überzeugungen, die sie in der Kindheit entwickelt haben.

Manche Menschen verwechseln Liebe mit dem Gefühl, sich für die Zuwendung anstrengen zu müssen.
Heike Klopsch

Was bringt Menschen dazu, so schlecht von sich zu denken?

Unsere ersten Bindungserfahrungen machen wir in der Kindheit. Und sie prägen, wie wir uns als Erwachsene wahrnehmen. Wenn Kinder hinfallen, trösten ihre Eltern sie im Idealfall – und geben ihnen das Gefühl, gut zu sein, so wie sie sind. Diese Erfahrungen helfen uns dabei, uns selbst als liebenswerte Menschen wahrzunehmen. Leider machen viele Menschen aber ganz andere Erfahrungen.

Zum Beispiel?

Wenn ein Kind Aufmerksamkeit will, die Mama aber ständig „du nervst, du störst“ sagt, lernt es: „Ich muss mich anderen anpassen, um ihre Zuwendung zu bekommen. Anders bin ich es nicht wert, geliebt zu werden.“ Diese „Programme“, die wir in unserer frühen Kindheit gelernt haben, werden später unbewusst in unsere erwachsenen Liebesbeziehungen übertragen. Jedoch sind in Partnerschaften solche negativen Glaubenssätze sehr schädlich, weil Betroffene immer den Fehler bei sich selbst suchen, statt beim Partner oder bei der Partnerin.

Diese Glaubenssätze müssen sehr hartnäckig sein. Selbst wenn Marlenes Freunde ihr sagten, dass sie hübsch sei und etwas Besseres verdient habe, glaubte sie niemandem.

Das zeigt, wie stark negative Glaubenssätze unser Selbstwertgefühl und unsere Beziehungen belasten können. Eine Klientin wurde zum Beispiel als Kind von ihrer Mutter auf Diät gesetzt und als dick bezeichnet. Und seitdem kämpft sie mit ihrem Äußeren, obwohl sie eine sehr hübsche und gepflegte Frau ist. Komplimente von anderen Menschen können ihre Selbstwahrnehmung auch nicht ändern. Vermutlich glaubt auch Marlene, dass sie an sich arbeiten muss, um geliebt zu werden.

Und als erwachsene Frau läuft sie Männern hinterher, die ihr genau dieses Gefühl geben.

Das passiert häufig und tatsächlich eher Frauen. Aber ich möchte betonen: Das hat nichts mit Dummheit zu tun. Ich arbeite als Beziehungsberaterin gerade mit einer Frau zusammen, die hochintelligent, beruflich erfolgreich und selbstständig ist. In Beziehungen läuft sie aber immer den falschen Männern hinterher, weil sie nie gelernt hat, dass man für Liebe nicht kämpfen müssen sollte. Und dass es, wenn es so ist, dann auch nichts mit Liebe zu tun hat.

Für jemanden zu kämpfen ist also nicht immer Liebe?

Richtig. Man kann sich das wie eine Art Fehlprogrammierung vorstellen: Manche Menschen verwechseln Liebe mit dem Gefühl, sich für die Zuwendung eines anderen Menschen anstrengen zu müssen. Sie kennen es nicht anders aus ihrer Kindheit. Leider finden Menschen mit schlechtem Selbstwertgefühl gerade autonome und abweisende Männer und Frauen sehr sexy.

Warum?

Weil sie für ihre Zuneigung kämpfen müssen – gerade das verknüpfen sie ja mit Liebe. Männer und Frauen, die nett zu ihnen sind, finden sie dagegen oft nicht attraktiv. Denn für sie müssen sie sich nicht anstrengen. Autonome Menschen fühlen sich aber schnell eingeschränkt, wenn ihnen die Partnerin oder der Partner hinterherrennt – dann suchen sie Abstand. Das verstärkt wiederum bei der Partnerin oder dem Partner das Gefühl, um ihre Liebe kämpfen zu müssen. Ein Teufelskreis.

Werden wir denn für immer von Glaubenssätzen gesteuert, die wir mit uns schleppen – oder können wir uns von ihnen lösen?

Das können wir lernen. Dieser Prozess erfordert aber viel Arbeit. Der erste Schritt ist es, sich zu fragen, welche Glaubenssätze hinter dem schlechten Selbstwertgefühl stecken. Und welche Erfahrungen in der Kindheit sie geprägt haben könnten. Manche Menschen brauchen dafür eine Therapie. Sehr wichtig ist auch, positive Erfahrungen zu schaffen.

Wie kann das gelingen?

Wer sich nicht liebenswert fühlt, gibt in der Beziehung oft nach, weil er oder sie Angst hat, die Partnerin oder den Partner zu verlieren. Aber natürlich ist es sehr wichtig, die eigenen Bedürfnisse zu äußern. Das fällt manchen Menschen schwer, aber sie können es üben. Um ein banales Beispiel zu nennen: Wenn der Partner schon wieder zum Italiener gehen will, kann man die eigenen Bedürfnisse äußern: „Ich möchte aber heute gern mal zum Inder.“ Das ist nur eine kleine positive Erfahrung, aber jede einzelne hilft dabei, sich selbstbewusster zu fühlen.


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