Blood Pharming statt Spenden?Blut aus dem Labor ist möglich, aber teuer

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Illustration: Reagenzgläser mit Blutproben

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Seit Jahren mangelt es hierzulande an Spendern. Darunter leiden chronisch kranke Menschen genauso wie Unfallopfer. Könnte künstliches Blut helfen?

Blut ist für den Menschen lebenswichtig. Doch wenn das eigene nicht reicht, sind wir auf fremdes Blut angewiesen. In Deutschland werden pro Jahr etwa drei Millionen Transfusionen mit roten Blutkörperchen durchgeführt, zum Beispiel nach schweren Unfällen oder bei Operationen. Im Körper transportieren die sogenannten Erythrozyten den Sauerstoff. Dazu kommen etwa 500.000 weitere Transfusionen mit Blutplättchen. Die sogenannten Thrombozyten sind für die Blutgerinnung verantwortlich. Leukämiepatienten während einer Chemotherapie können die Plättchen nicht selbst bilden und brauchen Spenderthrombozyten.

Die meisten Blutbanken haben in ihren Beständen kaum Puffer.
Thomas Zeiler, Ärztlicher Geschäftsführer des DRK-Blutspendediensts

Auch flüssiges Blutplasma ist wertvoll. Daraus werden zum Beispiel Arzneimittel gegen Autoimmunerkrankungen hergestellt. Um den großen Bedarf zu decken, braucht es Blutspenderinnen und -spender. Leider gebe es davon zu wenig, sagt Thomas Zeiler, Ärztlicher Geschäftsführer des DRK-Blutspendediensts West und Leiter einer der größten Blutbanken des Landes. „Die meisten Blutbanken haben in ihren Beständen kaum Puffer. Gerade im Sommer gehen die Spenden zurück und wir sind schnell am Limit.“

Mit dem demografischen Wandel steigt der Bedarf an Blutpräparaten. Die meisten Patienten, die auf Spenderblut angewiesen sind, sind älter als 60 Jahre. Gleichzeitig sind die Boomer-Jahrgänge mit Abstand die aktivsten Spender. Weil Deutschland mit diesem Problem nicht allein ist, wird weltweit an einer technologischen Lösung geforscht.

Der künstliche Auswurf des Zellkerns ist schwierig

Bei dem sogenannten Blood Pharming sollen wichtige Bestandteile des Blutes künstlich im Labor gezüchtet werden. In unserem Knochenmark werden täglich Milliarden von roten Blutkörperchen gebildet. Dabei gibt es eine Besonderheit. Die Erythrozyten verlieren am Ende ihres Reifeprozesses im Knochenmark den Zellkern. Dadurch entsteht ihre beidseitig eingedellte Form und sie werden elastisch genug, um sich in die Blutgefäße zu zwängen. Stammzellen so anzustoßen, dass sie zu Blutzellen werden, ist auch außerhalb des Körpers kein Problem. Am Ende aber den Rauswurf des Zellkerns künstlich zu erzwingen, kostet viel Mühe.


Blutspenden in Deutschland

Laut Zahlen des Deutschen Roten Kreuzes spenden etwa 3,5 Prozent aller Deutschen regelmäßig Blut. Für eine Spende geeignet – also jung und gesund genug – wären aber deutlich mehr, nämlich 33 Prozent aller Bundesbürger. Um die Spenderzahl zu erhöhen oder wenigstens konstant zu halten, wurde bereits das Spendenalter auf 73 Jahre erhöht. Doch mit dem demografischen Wandel steigt auch der Bedarf an Blutpräparaten. Schon heute ist jeder dritte Bundesbürger statistisch gesehen mindestens einmal in seinem Leben auf ein Blutprodukt angewiesen – Tendenz steigend.


In einer aktuellen Studie der University of Bristol und der University of Cambridge bekamen zwei Patienten im Labor hergestellte Erythrozyten. Nebenwirkungen blieben aus, allerdings wurden nur drei Teelöffel Kunstblut verabreicht. Das entspricht einem Prozent einer normalen Bluttransfusion. Größere Mengen zu erzeugen, wäre aufwendig und teuer. Schätzungsweise würde eine künstliche Bluttransfusion etwa 100.000 Euro kosten. Zum Vergleich: Die gleiche Menge Spenderblut kostet rund 100 Euro.

Mit einem Universalspenderblut wäre man unabhängig von den ABO-Blutgruppen. So könnten bestimmte Antigene von Erythrozyten im Blut ausgestellt werden und damit Transfusionen verträglicher werden. Auch die Haltbarkeit ließe sich erhöhen. Davon würden vor allem Patienten mit seltenen Blutgruppen profitieren.

Nachbau von roten Blutkörperchen

Am Institut für Transfusionsmedizin und Transplantat Engineering (ITT) der Medizinischen Hochschule Hannover will man statt ganzer Blutplättchen nur die Vorläuferzellen, die sogenannten Megakaryozyten, züchten. „Den letzten Schritt zur ausgereiften Blutzelle und das Auswerfen des Zellkerns überlassen wir dem Körper“, erklärt Institutsleiter Rainer Blasczyk. Der Patient bekommt dafür die Vorläuferzellen, der letzte Entwicklungsschritt geschieht im Blut.

Bei Experimenten mit Mäusen waren die Zellen innerhalb einer Stunde „einsatzbereit“. Wie schnell das im menschlichen Körper geht, sollen klinische Studien zeigen. Bei akutem Blutbedarf wäre selbst ein kleiner Zeitverzug gefährlich, bei der prophylaktischen Gabe von Blutplättchen dagegen kein größeres Problem, so der Transfusionsmediziner. „90 Prozent aller Transfusionen mit Blutplättchen finden als Vorbereitung auf eine Operation oder während einer Chemotherapie statt.“ Seinem Team ist schon die Herstellung der Zellen in größeren Dimensionen gelungen. Selbst genug Zellen für reguläre Transfusionen seien möglich, so Blasczyk.

Auch für rote Blutkörperchen wird dieser Ansatz inzwischen erprobt. Allerdings werden Erythrozyten deutlich seltener präventiv gegeben, sondern vor allem akut benötigt. Helfen könnte ein anderer Ansatz – und zwar der Nachbau von roten Blutkörperchen in Form und Funktion. Dieser Blutersatz könnte kurzfristig den Sauerstofftransport im Körper übernehmen und als Übergangslösung für die Fahrt im Krankenwagen dienen.

Die Substanz müsste allerdings die besondere Erythrozyten-Form und Funktion besitzen, dürfte nicht verklumpen und keine Abstoßungsreaktion im Körper auslösen. Erste Erfolge bei dieser Suche gibt es schon, etwa mit dem Hämoglobin des Wattwurms.

Mehr Flexibilität bei Vergabe von Blutspendeterminen

„Ich halte künstlich hergestelltes Blut für keine kurzfristige oder mittelfristige Lösung – schon gar nicht für die breite Masse, sondern für Menschen mit besonderen Blutgruppen oder seltenen Erkrankungen. Für alles andere sind die heutigen Verfahren einfach zu aufwendig“, sagt Zeiler vom DRK. Umso wichtiger seien deshalb konventionelle Lösungsansätze. So wird in der Praxis versucht, den Blutbedarf im Klinikalltag zu senken. Patienten werden vor geplanten Eingriffen immer häufiger auf eine mögliche Blutarmut oder Gerinnungsstörungen getestet und es wird mit der Vergabe von Eisen gegengesteuert. Auch minimalinvasive Operationen können Blut sparen.

Ein weiterer Ansatz ist die vorherige Entnahme von eigenem Blut und spätere Eigenbluttransfusion. Das sorgt für weniger Nebenwirkungen bei den Erkrankten. Auch bei der Suche nach neuen Blutspendern braucht es mehr Anstrengungen und neue Wege.


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