Schmeckt er besser oder anders?Was dran ist, am Hype um biodynamische Weine

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Die Biodynamie erkennt die Begrenztheit der wissenschaftlichen Erkenntnis an und strebt ein ganzheitliches Wesensverständnis an. Erfahrung, Sinneseindrücke und fachliches Wissen sollen hier zusammenkommen, um die Landwirtschaft anders zu organisieren. 

  • Lageder, Kühn, Busch, Bürklin-Wolf: Immer mehr Top-Winzer setzen auf die besonders aufwändige ökologische Wirtschaftsweise.
  • Qualität im Anbau und im Geschmack: Bio ist längst kein Genusskiller mehr.
  • Romana Echenspergers neues Buch „Von der Freiheit, den richtigen Wein zu machen“ hat das Zeug zum Standardwerk. Im Interview ordnet sie den Hype um Bio-Weine ein.
  • Mit Weinempfehlungen.

Köln – Der Trend zur Nachhaltigkeit hat auch die Produktion von Weinen erfasst. Was unterscheidet Bio-Weine von klassischen Weinen? Expertin Romana Echensperger erklärt den Hype um biodynamische Weine.

Jede Menge Spitzenwinzer erzeugen mittlerweile ihre Weine biodynamisch - schmeckt er besser, schmeckt er anders? 

Romana Echensperger: Ja, dieser Wein schmeckt anders und ist anders. Nur wer den Weinen im Keller Zeit gibt, kann auf die vielen erlaubten Zusätze im Weinkeller verzichten. Das ist der Anspruch der biodynamischen Winzer. Dabei entsteht ein nicht nur vordergründig attraktives Produkt. Es entsteht Tiefgang und teils kommt eine andere Aromatik zum Tragen, die auch zu einem etwas anderen Verkosten führt. Die Weine haben meines Erachtens ein anderes Mundgefühl und eine andere Struktur, die die Aromen in ein großes Ganzes einbetten. Der Duft steht nicht für sich alleine da.

Was unterscheidet – kurz und bündig ausgedrückt – die normale bio, also biologisch-organische Erzeugung, von der biodynamischen im Weinbau?

Letztlich geht es um Erkenntnistheorie. Im Bioanbau betrachtet man die Natur aus einem materialistischen, naturwissenschaftlichen Blickwinkel heraus – wie in der konventionellen Landwirtschaft. Die Biodynamie erkennt hingegen die Begrenztheit der wissenschaftlichen Erkenntnis an. Sie strebt ein ganzheitliches Wesensverständnis an und richtet danach die Arbeit aus. Ein Dynamiker würde zum Beispiel nie auf die Idee kommen, eine Kuh zu enthornen. Auch wenn das vielleicht praktischer für die Tierhaltung wäre. Damit würde man das Wesen des Tieres einschränken. Der Biodynamiker geht davon aus, dass das Wesensfremde wie das Enthornen wiederum negative Folgen unter anderem auf Milchqualität oder Gesundheit des Tieres hat. Wer biodynamisch wirtschaftet, nutzt alle Sinne, um das Leben und die natürlichen Prozesse und Zusammenhänge zu erfassen. Erfahrung, Sinneseindrücke und natürlich fachliches Wissen sollen hier zusammenkommen, um die Landwirtschaft anders zu organisieren. Das wirkt weit auch in die persönliche Lebensgestaltung hinein. Der elsässische Spitzenwinzer Olivier Humbrecht etwa sagt: „Biodynamie ist für mich landwirtschaftliche Technik und Lebensphilosophie.“

Zur Person

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Romana Echensperger bei einer Wein-Verkostung.

Romana Echensperger schreibt seit Jahren die Wein-Kolumne und die Interview-Serie „Wein und Sein“ für den Kölner Stadt-Anzeiger. Sie trägt den renommierten Titel „Master of Wine“, ist Buchautorin und Wein-Beraterin. Sie lebt bei München.

Immer mehr Top-Winzer und –Winzerinnen wenden sich der aufwändigen biodynamischen Wirtschaftsweise zu. Ein Dutzend Erzeuger mit großen Namen aus dem deutschsprachigen Raum – die Familie Lageder, Bernhard Ott, Zind-Humbrecht - werden im neuen Buch „Von der Freiheit, den richtigen Wein zu machen“ porträtiert – was verbindet diese Menschen?

Es geht um Freiheit und Individualität. Auf der einen Seite heißt das, sich loszulösen von den Empfehlungen und Abhängigkeiten von der Agrarindustrie. Zudem haben wir in der Globalisierung auch eine Vereinheitlichung der Geschmacksbilder und Moden erlebt. Welcher Wein wo wie zu schmecken hat, um dem Publikum gerade zu gefallen ist eine Vorgabe, der diese Winzerpersönlichkeiten nicht mehr entsprechen wollen. Sie suchen nach ursprünglichen Geschmacksbildern, dem echten Terroir – also dem aromatischen Abbild des Bodens, der Naturumgebung und der individuellen Kellerarbeit im Wein, das ohne die weltweit verfügbaren und auch weltweit eingesetzten Hilfsmittel auskommt. So entsteht eine umfassende Freiheit in der Weinerzeugung. Die Gesundheit von Mensch und Natur spielt eine Rolle. Wer auf biodyn umstellt, stellt auch sein Leben um, wird achtsamer und sensibler, verändert seine Sicht auf die Dinge, geht weg von der Maximierung – das sind interessante Lebensgeschichten und auch Betriebsgeschichten. Der Angang ist aber durchweg praxisbezogen und zeitgemäß. Rudolf Steiner, eine hoch umstrittene Person, hat die Biodynamie vor fast hundert Jahren eingesetzt, seither wurde das weiterentwickelt und ideologisch losgelöst.

Ein mit Mist gefülltes Rinderhorn ist zum Klischeebild der Biodynamie geworden – was hat es damit auf sich?

Die Biodynamie ist viel mehr als nur Verwendung der sogenannten Präparate, wozu auch das genannte Horn zählt. In der Zeit der Steinerschen Vorträge entdeckte man die Bedeutung von Wirkstoffen wie Hormone, Vitamine oder Enzyme. Auf einmal war vorstellbar, dass Stoffe schon in kleinsten Mengen wirken können. Die Empfehlungen für die Präparate, die natürliche organische Prozesse fördern sollen, sind nicht im Labor, sondern aus der anthroposophischen Sicht heraus entstanden. Tatsächlich instrumentalisieren Gegner und Skeptiker dieser Wirtschaftsweise oft das Kuhhorn, um die Biodynamie lächerlich zu machen.

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Biodynamie ist eine Mischung aus landwirtschaftlicher Technik und Lebensphilosophie.

Zur Biodynamie gehören aber vor allem auch Dinge wie Kreislaufwirtschaft oder das Salutogenese-Prinzip, bei dem es darum geht, wie Gesundheit entsteht und erhalten wird. Die Präparate haben nachweislich eine Wirkung, wenn diese auch teilweise noch nicht erklärbar ist. An der Universität Geisenheim gibt es dazu einen Feldversuch, der konventionelle, biologische und biodynamische Weinerzeugung vergleicht. Auch die Winzer beschreiben, dass sie Veränderungen durch die Präparate wahrnehmen. Alle Winzer, die im Buch zu Wort kommen, sagen: Wir brauchen die Wissenschaft; aber wir wollen die sinnliche Erfahrung einbringen – komplementär, nicht dogmatisch gedacht. Die Spitzenwinzer sind damit so erfolgreich, weil sie ihr schon vorhandenes hervorragendes Wissen durch die Biodynamie erweitern und ergänzen und sich so nochmal verbessern. Übrigens verzeichnet auch die Uni Geisenheim – Deutschlands führende Ausbildungsstätte für Weinbau – wachsendes Interesse bei den Studierenden für diese Wirtschaftsweise.

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Der Klimawandel ist ein Treiber des Bioanbaus in der Weinwirtschaft. Warum?

Weil die Wetterextreme – kein Regen oder plötzlich viel zu viel davon – im konventionellen Weinbau verheerend wirkt. Böden, die mit Mineraldünger und Herbiziden behandelt werden und extrem verdichtet sind, gehen dabei kaputt, denn sie können beispielsweise das Wasser nicht aufnehmen und schon gar nicht halten. Mit dem für die Biodynamie typischen Humusaufbau kann man dagegen doppelt wirken: Einerseits bindet Humus extrem viel CO2, andererseits können lebendige Böden leichter und mehr Wasser aufnehmen und auch langfristig speichern - trocknen also nicht so schnell wieder aus.

Trotz der vielen positiven Aspekte werden nicht einmal zehn Prozent der Anbaufläche in Deutschland biologisch bewirtschaftet.

Die politischen Rahmenbedingungen stimmen nicht. Warum ist im Discounter genau der Wein billig, dessen Produktionsprozess die Umwelt am meisten belastet durch den Einsatz von Herbiziden, durch die Nitratverseuchung des Trinkwassers, durch das Auslaugen der Böden und die lebensfeindlichen monokulturellen Landschaften? Die langfristigen Umweltschäden belasten die Allgemeinheit, nicht die Verursacher. Wer dagegen nachhaltig erzeugt, tut das mit sehr viel höherem persönlichen und finanziellen Aufwand, richtet aber keinen Umweltschaden an. Das ist im Weinbau so wie in der Landwirtschaft allgemein – und bleibt eine politische Herausforderung, die aberwitzigen Milliarden an Subventionen endlich nachhaltiger zu verteilen.

Beim Thema Kupfer als Pilzbekämpfungsmittel kommt bio an seine Grenzen – wie ist die Perspektive?

Die Achillesferse des biologischen Weinbaus ist die Kupferproblematik. Sie wird allerdings oft benutzt, um ihn zu diskreditieren. Das Schwermetall dient zur Pilzbekämpfung und ist ökologisch bedenklich. Die EU will die Grenzwerte noch weiter senken, dann wird es für den Bioanbau allerdings sehr schwer. Die Frage ist, ob diese Praxis tatsächlich so dramatisch ist, wenn sie auf ein gesundes System trifft. Denn wenn man in einem belebten Weinberg mit Humusaufbau Kupfer in geringen Mengen ausbringt, ist das nicht problematisch. Das zeigt auch der Feldversuch in Geisenheim. Es kommt auf die Allgemeingesundheit von Boden und Pflanzen an. Wenn die stimmt, verträgt sie im Notfall auch den invasiven Eingriff. Zudem sollte man wissen, dass auch im konventionellen Anbau Kupfer als Pflanzenschutzmittel verwendet wird.

Ein Trend der vergangenen Jahre sind die Orange Wines oder Natural Wines, die die Wein-Genießer polarisieren. Bei den einen haben die neuen Geschmacksbilder der ungeschwefelten Natur-Weine Begeisterung ausgelöst; die anderen haben sich erschreckt und halten sie – zurückhaltend ausgedrückt – für überbewertet. Besteht Verwechslungsgefahr zwischen Orange Wines und biodynamischen Weinen?

Die besteht. Allerdings muss ein Biodyn-Wein kein Orange oder Natural Wine sein. Da müssen die Erzeuger Klarheit schaffen, denn die Ergebnisse und damit das Genuss-Erlebnis sind sehr unterschiedlich. Beim Orange Wine wird auch Weißwein mit Schalen vergoren und beim Natural Wine verzichtet man auf alle Kellerzusätze, auch auf Schwefel. Ich persönlich bin kein Fan von diesen Weinen. Manche sind gut, aber viele schmecken zu undifferenziert, anstrengend und einige leider auch grob fehlerhaft.

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Winzer, die sich der Biodynamie bedienen, suchen nach ursprünglichen Geschmacksbildern.

Man kann viele Dinge kritisieren, die im Weinkeller verwendet werden dürfen, wie etwa Mikroplastik zum Schönen oder diverse Enzyme, die mit Hilfe von gentechnisch veränderten Organismen entstehen. Biobetriebe lehnen das ab. Schwefel, ein natürliches Produkt, das bei der Kellerhygiene und Haltbarmachung der Weine wichtige Dienste leistet, ist hingegen nicht problematisch.

Die wachsende Vielfalt und Individualität – kann man die in der Branche gleich betrachten, also mit dem üblichen Bewertungssystem auf 100 Punkte?

Das 100-Punkte-System wird diesen Weinen kaum mehr gerecht. Diese Art zu verkosten steckt in der Krise. Zum einen gibt es kaum noch Bewertungen unter 95 Punkte und Urteile entstehen zu schnell. Das ist nicht glaubwürdig. Die Differenzierung bleibt auf der Strecke, gerade auch in großen Verkostungen, wo wenig Zeit zur Begutachtung bleibt. Bei den hochwertigen und biodynamischen Weinen sieht man oft, dass die jungen Weine viel länger brauchen, um ihr Potenzial zu zeigen. Ich habe etwa die Weine vom Nikolaihof verkostet, die teilweise zehn Jahre auf der Hefe liegen. Das sind zarte, ganz feingliedrige Gewächse, die neben Fruchtbomben einfach untergehen. Man muss die Arbeitsweise des Weinguts kennen, um überhaupt einschätzen zu können, wie sich diese Weine auf lange Sicht entwickeln. Es braucht ein neues System der Weinbewertung.

Buchtipp

Das Buch beleuchtet den Trend zur Biodynamie im Weinbau, stellt wissenschaftliche Projekte, Forscher und Experten zum Thema vor. Das Herz des Buchs bilden aber die sehr persönlichen Porträts der Winzerinnen und Winzer, die sich konsequent für die aufwändige Wirtschaftsweise entschieden haben. Zu jedem Betrieb werden auch Weine verkostet, denn dafür soll sich der Aufwand ja lohnen. Romana Echensperger: „Von der Freiheit, den richtigen Wein zu machen", Westend Verlag, 288 Seiten, 32 Euro

Was kostet die „Freiheit“ den Wein-Genießer? Was muss man investieren, um einen guten, biodynamischen Wein zu bekommen?

Es geht bei um die 10 Euro los. Es sind eben handwerklich erzeugte Weine, für die die Winzer mehr Arbeitsaufwand haben und mehr Risiko tragen. Die Erträge sind zudem geringer. Aber dafür wird man mit einem ursprünglichen Geschmack belohnt. Da gibt es Parallelen zu vielen anderen Lebensmitteln. Vergleichen Sie das Brot eines Schnellbackshops mit einem eines handwerklichen Bäckers. Wer die Geschichten und Herstellungsweise von Produkten kennt, entscheidet sich anders.

Weinempfehlungen

Elegant und süffig Das ist die Visitenkarte des Weingutes Loimer: Der gehobene Basis-Veltliner zaubert schon wunderbar das Terroir des Kamptales ins Glas. Die Reben wachsen hauptsächlich auf Lössböden und bringen damit eine saftige Frucht und viel Schmelz mit. Ein Teil kommt aber auch von verwittertem Gneiss, was diesem Wein Rückgrat verleihen. Hellgelb und mit grünen Reflexen läuft der Wein ins Glas. Die Aromen sind dezent, es kommen Noten von Birnenschale, gelben Früchten und leichte Pfeffernoten zum Vorschein. Der Wein ist trocken, fein würzig, verfügt über einen zarten Schmelz, und im Finish wirkt eine elegante Hefenoten noch lange nach. Es ist ein so authentischer wie süffiger Grüner Veltliner.

www.koelner-weinkeller.de

2019 Kamptal Grüner Veltliner / Weingut Fred Loimer / Kamptal / Österreich / 9,75 Euro, bei Kölner Weinkeller, Stolberger Straße 92, 50933 Köln, Tel. 0221 /13 97 28 28,

Ätherisch und fein Clemens Busch verkörpert aus heutiger Sicht die Avantgarde des Bioanbaus. Schon in den 1970er Jahren begann er, im Steilhang auf Pestizide zu verzichten. Wer einmal gesehen hat, was es bedeutet bei 60 Prozent Steigung das Unkraut mit der Hacke zu jäten, hat größten Respekt und versteht, warum diese Weine jeden Cent wert sind. Das hier ist einer von Buschs Ortsweine. Weine vom roten Schiefer sind weniger von Frucht dominiert, sondern stets würzig, pikant und haben etwas Herzhaftes an sich. Der erste Eindruck in der Nase ist sehr ätherisch und fein. Es zeigen sich dezente Aromen von Kamille, Ringelblumen, Kiefernnadeln, Steinobst und Weihrauch. Der Wein ist angenehm trocken, die Säure eingewoben in eine körnige Textur. Es ist ein mittelkräftiger Wein, der in Geschmack und Duft deutlich seine Herkunft verrät. 

www.aoc-weinhandlung-koeln.de

2019 Riesling vom roten Schiefer / Weingut Clemens Busch / Mosel / 14,50 Euro, bei AOC Weinhandlung Köln, Rathenauplatz 35, 50674 Köln, Tel. 0221 /24 96 45

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