Mit dem OldtimerZwei Kölner unterwegs zum Nordkap

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Unterwegs im hohen Norden.

  • Mehr als 3000 Kilometer von Köln entfernt liegt das Ziel - eine Mammutaufgabe für einen Oldtimer.
  • Zwischendurch spielt der Wagen immer wieder Streiche. Der Sonett ist mehr als ein Fahrzeug, das sie von A nach B bringt. Es hat Eigenheiten – fast wie ein menschliches Wesen.
  • „Schlagt euch durch! Eine andere Wahl habt ihr nicht“, sagt ein Automechaniker mit der Ruhe des Nordländers. Als sie bezahlen wollen, winkt er ab.

Köln – Das Abblendlicht ist ausgefallen. Mitten am Tag, und einfach so. In Deutschland wäre das kein Drama. Aber hier, in Finnland, ist das ein Problem. Autofahrer müssen rund um die Uhr die Scheinwerfer einschalten. Das ist Gesetz. Unser Oldtimer, ein Sonett II, Baujahr 1968, wird immer wieder von entgegenkommenden Fahrzeugen angeblinkt. Besitzerstolz könnte zu der Annahme verleiten, die Lichthupen seien ein Gruß an unseren seltenen Sportwagen der verblichenen schwedischen Automobilmarke Saab. Dabei ist es eine Warnung: Macht euer Licht an! Sonst kommt die Polizei.

Dieser Tag unserer Reise ist ein Tag der Wahrheit für meinen Beifahrer Günter Otten und mich. Wir sind mit dem Sonett auf Nordkap-Expedition. Mehr als 3000 Kilometer von Köln entfernt, in Norwegen liegt unser Ziel. Jetzt droht uns das Oldtimer-Schicksal einen Streich zu spielen. Der Motor des Sonett muckt, geht vor Ampeln immer wieder aus. Die Schaltung hakt. Auslaufendes Benzin hat den Lack beschädigt – und der Beleuchtungsstreik droht uns vollends lahmzulegen.

Gerade noch hatten wir einen finnischen Freund besucht, Matti Silvfast aus Kokkola, auch ein Autonarr. Neben seinem perfekt restaurierten Sonett wirkt unseres wie ein schmutziger Straßenköter vor einem frisch geschorenen Rassehund. Ein weiterer Schatten auf der angeschlagenen Motoristen-Seele.

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Finnisches Sommerwetter

Vor gut einer Woche haben wir Köln verlassen. Um drei Uhr früh, weil dann wenig Betrieb auf der Autobahn ist. Der winzige alte Schwede absolviert die 500 Kilometer lange Strecke zum Skandinavienkai von Lübeck souverän.

Nach der Überfahrt haben wir uns in Finnlands Westen durch das vorgearbeitet, was dort als Sommerwetter gilt: dichte Regenschauer, von Sturmböen durchsetzt, bleiern graue Wolken, dann aber auch strahlend blauer Himmel, der sich über die von Getreidefeldern, grünen Weiden und Wäldern durchsetzte Landschaft spannt. Dann ist es, als wäre man Teil eines Gemäldes. Mit dem verkehrswidrig lichtlosen Saab steuern wir das „Haus voller Geschichten“ an. So nennt Vermieterin Sari in Kalajoki ihr in freundlichem Gelb gestrichenes, verwunschenes Anwesen.

Eine Frauenbüste überblickt die Küche, und man weiß nicht, ob es Haar- oder Voodoo-Nadeln sind, die ihr aus der Frisur ragen. Das Wohnzimmer liegt in schummrigem Halbdunkel. Die kleine Elfe, die als Schrankschmuck auf einer Art Kanonenkugel sitzt, wirkt auf seltsame Weise lebendig. Sehnsüchtig blickt sie aus dem Fenster – als wartete sie darauf, hinauskatapultiert zu werden, ins Freie. Der Lehnstuhl direkt neben ihr ist da gerade der richtige Ort, um über etwas vermeintlich so Lebloses wie ein Auto nachzudenken.

Unser Sonett ist mehr als ein Fahrzeug, das uns von A nach B bringt. Es hat Eigenheiten – fast wie ein menschliches Wesen. Das ist mitunter anstrengend, kann aber auch inspirierend sein. Der Ford-Motor verrichtet bereits im Normalbetrieb seinen Dienst nur brüllend. Die Lenkung ist schwergängig.

Ein- und Ausstieg wollen gelernt sein, und der Kofferraum ist winzig. Ein Sonett benötigt Aufmerksamkeit, Pflege und umsichtige Behandlung. Dafür macht es gute Laune. Von den Scheinwerfern abgesehen ist es bisher ein berechenbarer Gefährte, der unsere Tour so besonders macht. Zu einem kleinen Abenteuer sogar.

Warum ich diese Reise mit dem Oldtimer überhaupt unternehme, werde ich gefragt. Ich will gerade dieses Auto, von dem ich schon als junger Mann geträumt habe, einmal intensiv erleben. Und wo ginge das besser als in Skandinavien?

Jetzt steht das Sonett also neben einem Ensemble aus Disteln, Wiesenblumen und hohen Gräsern vor dem alten Bauernhaus. Der Motor kühlt langsam aus und verströmt zarten Benzingeruch. Er wirkt so lebendig wie die Voodoo-Frau oder Elfe auf der Kanonenkugel. Wird unser kleiner Sportwagen es bis zum Nordkap schaffen?

Trübe Gedanken an einen Leihwagen für den Rest unserer Reise sind flugs verscheucht. Wir werden alle drei gemeinsam weiterfahren und müssen erst einmal die drängendste Frage beantworten: Wer repariert die Beleuchtung?

Fahrer und Beifahrer mit ihren 66 und 63 Jahren können das leider nicht. Von Journalismus verstehen wir mehr als von Autos. In einer Lokalredaktion im Bergischen Land sind wir als junge Redakteure Freunde geworden. Wir kommen auch in der Enge des Sonett gut miteinander aus. Das heißt etwas. Der Innenraum gleicht einer Pilotenkanzel, was an den Saab-Genen liegt. Erst nach dem Zweiten Weltkrieg hatten die Ingenieure des schwedischen Flugzeugbauers begonnen, zusätzlich auch Autos zu konstruieren.

Hoch im Norden

Anderntags brechen wir in aller Herrgottsfrühe nach Rovaniemi auf, der Hauptstadt Lapplands. Ohne Abblendlicht. Auf Nebenstrecken, um der Polizei zu entgehen, schleichen wir fast 400 Kilometer in Richtung Norden. Auf den Straßen herrscht eine mitunter unwirklich anmutende Leere. Ein französisches Paar, das mit zwei Motorrädern vor uns unterwegs ist, hält immer wieder an und studiert irritiert die Landkarte. So einsam ist es hier.

Aus „InCar“, der Filiale einer Autoservice-Kette, läuft bei unserer Vorfahrt das halbe Team nach draußen. Kein Wunder, der Saab macht auf sich aufmerksam. Er klingt kerniger und vitaler als mancher Porsche. Der Mechaniker braucht fünf Minuten, dann funktioniert das Abblendlicht wieder. Der Mann mit seiner Erfahrung hat den zweiten Sicherungskasten entdeckt und dort ein verschmortes Teil ersetzt. Dass das Auto auch weiterhin an Ampeln ausgehen wird, stört wenig. Auf dem Weg zum Nordkap gibt es keine einzige Ampel mehr.

Ungenierte Rentiere

Unsere Fahrt wird spannender, nachdem wir den Polarkreis überquert haben. Das liegt vor allem an den immer ungenierter über die Straße laufenden Rentieren. Auch vor kreuzenden Elchen wird auf Schildern gewarnt. Doch wir bekommen keinen zu Gesicht. Trotzdem fahren wir gemächlich. Bei Regen und Nebel sind mitunter auch die mageren Höchstgeschwindigkeiten von 80 bis 100 Stundenkilometern zu viel.

Mittlerweile sind wir hoch im Norden, am Inari See. Wir besuchen das Siida, das Sámi-Museum, in dem Leben und Geschichte der Ureinwohner dargestellt sind. Dort treffen wir auf eine Gruppe enttäuschter Italiener, die vom Nordkap kommen und nur Nebel gesehen haben. Drei Tage bleiben wir bei Tuula, die Samin und eine Art Rentierflüsterin ist. Die Tiere sind handzahm und wir erfahren viel über das Leben im Norden.

Ein Tag unseres Aufenthalts gehört wieder dem Saab. In etwa 30 Kilometer Entfernung, das geht hier als direkte Nachbarschaft durch, gibt es „Hervikin Huolto“, einen Autoservice von legendärem Ruf. Namensgeber Hervik ist Rentner. Doch er mag Autos. Mehr als Frauen, habe ihm eine Partnerin mal vorgeworfen. Zwei Stunden arbeitet er ruhig, methodisch und ohne elektronische Hilfsmittel am Saab, immer wieder unterbrochen von Probefahrten.

Dann ist der Motor neu eingestellt und verbraucht fortan weniger Benzin. Ein Vergaserproblem hat Hervik auch diagnostiziert. Doch an das komplexe Teil mag er nicht gehen. Womöglich seien die Dichtungen morsch, und dann müssten wir erst einmal da bleiben. „Schlagt euch durch! Eine andere Wahl habt ihr nicht“, sagt er mit der Ruhe des Nordländers. Als wir bezahlen wollen, winkt er ab.

Spektakuläre Natur

Zwei Tage später sagt der Wetterbericht eine kurze Sonnenschein-Periode am Nordkap voraus. Mit Herviks Okay wagen wir es und brechen auf. Noch 400 Kilometer bis zum Ziel. Jenseits der Grenze ist vieles anders. Die Norweger sind in ihren Autos deutlich schneller unterwegs als die Finnen, deren Polizei gefürchtet ist. Und die Natur wird spektakulär. Auf der einen Seite zieht sich eine Wattlandschaft hin, auf der anderen schrauben sich Berge in die Höhe.

Wir übernachten in Kamøyvær, einem malerischen Fischerort, geprägt durch die Blautöne von Himmel und Meer, das Grün der Wiesen und Hänge sowie die beweglichen, bunten Tupfer – kleine Fischerboote, die beständig ein- und auslaufen. Man könnte stundenlang aus dem Fenster schauen.

Am nächsten Tag geht es zum Aussichtspunkt „Nordkapp“, der von der Eisenplastik einer Weltkugel markiert wird. Die Fahrt dorthin in unserem kleinen Auto, dessen Chassis nur wenige Zentimeter über der Fahrbahn liegt, bietet uns Perspektiven, wie sie sonst keiner hier hat.

Infos für Oldtimer-Reisende

1868 Saab Sonett II wurden mit dem Ford V4 Motor gebaut. Er leistet 65 PS und macht den Wagen 160 Stundenkilometer schnell. Das Gros der Fahrzeuge ging in die USA.   Viele Übernachtungen haben wir spontan über airbnb.com und booking.com vereinbart. Vorgebucht hatten wir für das Nordkap. Besonders gefielen uns in Finnland „Granny's House“ in Närpes , „Tuula's House“ nahe Inari, „Harjuniemi“ in Kangosjärvi (perfekte Lage am See) und in Schweden das „Arthotel Tornedalen“ in Risudden. Frühbucher zahlen bei Finnlines (www.finnlines.de) für die Überfahrt Travemünde – Helsinki für bis zu vier Personen mit Kabine und Pkw ab 348 Euro, Hin- und Rückfahrt  ab 626 Euro. Pakete für Vollverpflegung kosten extra und sind empfehlenswert. Für das Frachtschiff (www.zylmann.de) werden  (Kemi, Finnland – Lübeck) für zwei Einzelkabinen knapp 1200 Euro inkl. aller Mahlzeiten und Getränke berechnet. Dafür ist man drei Nächte auf See. Unser Auto kostete weitere 650 Euro.    Wer ebenfalls mit Oldtimer unterwegs ist und ihn – oder die eigene Kondition – schonen will, nimmt ab Oulu oder Rovaniemi den Autoreisezug bis nach Helsinki (oder andersherum). Englisch wird praktisch überall in Finnland gesprochen. Im August gibt es in der Regel keine Mücken mehr in Süd-Finnland. Im Norden stießen wir auf Schwarzfliegen. Repellents gegen Insekten sind unerlässlich. Man sollte für jede Art von Wetter gerüstet sein. Ein faltbarer Leinenschlafsack hilft, wenn man an entlegenen Campingplätzen übernachtet, wo eigenes Bettzeug erwartet wird. Eine humorvolle Einstimmung für Finnland-Reisende ist  die Lektüre  von Bernd Gieseking. (pp)

Es sind fast nur Wohnmobile und Geländefahrzeuge unterwegs – gerade so als würden sie von unsichtbaren Schnüren gezogen, denn der Straßenverlauf endet am Horizont. Ein großes Expeditionsfahrzeug kommt uns entgegen. Der Fahrer klatscht unserem Sonett Beifall: Neben seinem Ungetüm wirkt es wie ein tapferer, kleiner Troll.

Je mehr wir uns dem Nordkap nähern, desto größer wird alles: Höhenrücken, Täler, felsige Steilküste, das Meer, das sich in der Unendlichkeit verliert, und der weite Himmel. Umso kleiner wirkt der Mensch. Fast sinnbildlich die Europastraße 69, über die der Verkehr zum Nordkap fließt: Ein schmales Band durch unberührte Landschaft, das in der Weite zu einem silbrigen Faden wird, bevor es sich am Horizont verliert. Abends parken die Wohnmobile in Reih und Glied am Steilufer und reflektieren die golden strahlende Sonne, als huldigten sie einem unbekannten Kult. Wir kommen neben ihnen zum Stehen. Geschafft. 

Wie Hexen auf dem Tanzplatz

Der Rückweg führt durch die norwegische Finnmark. Mal wähnen wir uns an Schweizer Bergseen, die von Bergketten voller Schneefelder gesäumt sind. Mal fahren wir durch Täler mit kleinen Hängebrücken, und unversehens finden wir uns in einer tundraähnlichen, mageren Landschaft wieder, mit gebückten, bizarr geformten Birken, die an Hexen auf dem Tanzplatz erinnern. Wir folgen dem Lauf von Flüssen, die sich in Windungen einen Weg ins Gestein gebahnt haben und an deren Seiten zerklüftetes Gestein aufragt. Dank des Echos klingt das Sonett hier noch kerniger.

Zurück in Finnland fahren wir entlang des Torne-Flusses, der die Grenze zu Schweden markiert. Eine Nacht verbringen wir an jenem Ort, wo „Populärmusik aus Vittula“ spielt, der Erfolgsroman des schwedischen Autors Mikael Niemi. Das „Arthotel Tornedalen“ besteht aus einer Gruppe historischer, behutsam restaurierter Gebäude. Im modernen Inneren spiegelt sich jene alte Kulturlandschaft Lapplands, in der der Torne-Fluss die Menschen einst verband und nicht trennte. Inhaberin Gunhild Stensmyr will hier eine Kunsthalle bauen, die Energie vergangener Tage neu aufnehmen. Den Saab, sagt sie im Spaß, sollten wir ihr bitte dalassen.

Wenige Tage später rollen wir in der finnischen Hafenstadt Kemi auf ein Frachtschiff nach Lübeck. Das Sonett steht unter Deck neben riesigen Hochseecontainern. Die finalen acht Stunden Fahrt von der Küste nach Köln meistert der Wagen mit Bravour. Vor der Tour hatte ich den Wert des Autos ermitteln lassen. Für alle Fälle – und für die Versicherung. Das Gutachten ist ein Stück Papier mit einer Zahl darauf. In Wahrheit ist mein Nordkap-Sonett unschätzbar wertvoll. Es hat einen Traum wahr gemacht.

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