Abenteuertour für KinderAuf den Spuren des Freiheitskämpfers durchs Milchborntal

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Kinderabenteuerwanderung im Milchborntal

Durch das Milchborntal führt Rudolf Kühl auf den Spuren des bergischen Freiheitskämpfers Ferdinand Stucker.

Die Wanderung beginnt am Schloss Bensberg und führt Kinder zurück in räuberische Zeiten.

Es ist der 18. November, der Nebel hängt wie eine feuchte Decke über den Wäldern und es ist kalt. Ferdinand Stucker, 23 Jahre alt, ist auf der Flucht. Er blutet. Seine Verletzungen sind so schwer, dass er sich im Unterholz verstecken und hoffen muss. Darauf, dass ihm eine Medizin geliefert wird. Die richtige Medizin versteht sich. Gelingt das nicht, ist er verloren.

Seine Chancen stehen gar nicht schlecht. Schließlich haben sich zwei unerschrockene Kinder auf den Weg gemacht, dem Rebellenanführer zu helfen. Schon haben sie die steinerne Brücke passiert und dort einen Dreispitz, eine altertümliche Karte sowie eine Pistole gefunden. Sehr wahrscheinlich, dass all das ein österreichisch-ungarischer Botenreiter verloren hat, der sich ebenfalls auf den Weg zur Rebellion gemacht hat. Schließlich hatte man vor, den französischen Truppen in Hohnsberg bei Much eine Falle zu stellen. Lärmfeuer brannten, Sturmglocken läuteten, Bensberger mit Flinten, Säbeln, Äxten, Sensen und Hellebarden fanden sich am Sammelplatz ein, um die eingerückten Soldaten zu vertreiben. Aber irgendetwas scheint schief gelaufen zu sein. Man fand sich von französischen Truppen umzingelt. Stucker musste kämpfen, ihm gelang schwer verwundet die Flucht.

Startpunkt ist am Bensberger Schloss, dem Jagdschloss des Kurfürsten

Zeitreise in die Zukunft. Rudolf Kühl steht mit Siebenjährigen vor dem Bensberger Schloss, „kleine Nebenhütte“ des Kurfürsten Jan Wellem, der vor gut 300 Jahren im Düsseldorfer Schloss regierte und ab und zu zum Jagen ins Bergische reiste. 46 Köche hatte er für sich beschäftigt und 36 Ärzte. Die Kinder staunen.

Welche anderen Berühmtheiten denn hier im noblen Ambiente schon nächtigten? „Ronaldo“ ruft einer der Jungen, was nicht falsch ist, schließlich schlug Juventus Turin zum Champions-League-Spiel gegen Bayer Leverkusen im Dezember 2019 sein Quartier im Schlosshotel auf. Cristiano Ronaldo sollte damals den Führungstreffer erzielen und Leverkusen eine Niederlage bescheren. Rudolf Kühl lacht, er hatte bei seiner Frage eher Kulturgrößen wie Johann Wolfgang von Goethe sowie Ludwig van Beethoven im Sinn.

Aber weder bei Ronaldo noch bei Beethoven kann man sich nun länger aufhalten. Schließlich drängt die Zeit. Es gilt, sich zurückzuversetzen in das Jahr 1795. Die französischen Truppen waren bis Bensberg vorgerückt, hinter dem mächtigen Schloss lagerten 800 Mann Fußvolk und 400 Reiter, die ihre Versorgung durch Plünderung in den Bensberger Häusern zu sichern versuchten. Rebellen hatten vor, den Invasoren Einhalt zu gebieten. Es gab zahlreiche Verletzte. Jetzt müssen die Jungen sich auf die Spur der Verletzten begeben, eine Medizin zu deren Heilung finden und diese zu deren Versteck liefern.

Erlebnistouren für Kinder und Erwachsene

Nicolas und Maxim sind einverstanden. Sie folgen nun also der Spur eines österreichisch-ungarischen Botenreiters, der auch in den Wäldern unter dem Schloss unterwegs sein soll und der ihnen vielleicht den Weg zum Rebellenanführer weisen kann. Robert Kühl von „7Zeitenstiefel“ hat sich die Abenteuertour durch das Bensberger Milchborntal ausgedacht. Auf einem Rundweg von fünf Kilometern erzählt er die Geschichte der Freiheitskämpfer um Ferdinand Stucker, die Ende des 18. Jahrhunderts hier im Wald gegen die Franzosen kämpften. Kühl hat Hinweise im Unterholz versteckt, Briefe, Karten, sogar Edelsteine, um die Kinder am Ende auf die richtige Fährte zu locken und ihre Mission erfüllen zu lassen.

Peter Kühl mit zwei Kindern auf Abenteuertour

An der Steinernen Brücke finden Maxim und Nicolas eine altertümliche Landkarte.

Kühl veranstaltet Erlebnistouren für Kinder, Schulen, aber auch Erwachsene oder ganze Firmen in Köln und Bonn. Sein Ziel ist es, Geschichte spielerisch erlebbar zu machen. Um Input für seine Touren zu finden, verbringt Kühl viel Zeit in der Kölner Stadtbibliothek. Wer mit ihm unterwegs ist, der bekommt keinen Vortrag. Er wird selbst mitten hineingeworfen in die Geschehnisse der Vergangenheit. So ergeht es auch den beiden Jungen Nicolas und Maxim. „Sie sollen sich ihrer eigenen Fantasie bedienen, sich selbst vorstellen, wie das Leben damals war, wie die Leute aussahen, wie es gerochen haben könnte“.

Kühls Touren fußen auf wahren Begebenheiten, manches Detail entspringt aber auch seiner Fantasie, um die Geschichte für Kinder spannend zu machen. An einer bizarr anmutenden Kiefernwurzel angekommen, glitzern Edelsteine zwischen all der Knorrigkeit hervor. Die Jungen raffen zusammen, was sie tragen können, einen Teil der Beute werfen sie in den Dreispitz, den sie an der steinernen Brücke gefunden hatten.

4000 französische Soldaten fanden ihre Ruhe

50 Meter weiter wartet der erste gruselige Höhepunkt der Tour: Ein schlichtes Eisenkreuz zwischen Stämmen und Zweigen markiert den französischen Soldatenfriedhof. Hier unter einem flachen Hügel fanden einst 4000 französische Soldaten ihre letzte Ruhe. Sie sind, so sagt Kühl, nicht im Kampf gefallen, sondern starben an Typhus. „Durchfall“, sagt Kühl. Nicolas ist irritiert: „Wie kann man denn an Durchfall sterben? So schlimm ist das ja nun auch wieder nicht.“

Aber Kühl mahnt zur Rückkehr in die Vergangenheit. Schließlich befänden sich die Jungen im Jahre 1795. Medizinisch eine noch relativ düstere Zeit. Jedes dritte Kind starb im Säuglings- oder Kleinkindalter. Chirurgische Eingriffe erfolgten ohne Narkose. Nicht einmal das Stethoskop war schon erfunden. Das Bensberger Schloss diente in dieser Zeit als Lazarett, die Zahl der Patienten wuchs von Tag zu Tag. Weil Heizmaterial fehlt, verfeuerte man in seiner Verzweiflung herausgerissene Fußböden und Vertäfelungen. Um die mangels hygienischer Voraussetzungen ständig präsente Seuchengefahr einzudämmen, verbrachte man die Verstorbenen in das abgelegene Waldstück unterhalb des Ortes und vergrub sie in einem Massengrab unter einem Hügel.

Wie der Freiheitskämpfer nach mehr als 200 Jahren im Versteck wohl aussieht

Maxim findet es faszinierend, dass 4000 Tote unter seinen Füßen liegen sollen und interessiert sich dafür, wie die wohl heute aussähen. „Ob das Skelette sind?“ Bei dem Gedanken daran entsteht auch eine andere Sorge in den Köpfen der beiden Jungen: Wie wird der Freiheitskämpfer aussehen, wenn sie ihn finden, um die Medizin abzuliefern? Schließlich liegt er schon ebenso lang in seinem Versteck wie die toten Franzosen in ihren Gräbern.

Aber Rudolf Kühl kommt noch einmal auf ein etwas weniger morbides Thema zu sprechen. Dass man in diesen Wäldern gegen die Franzosen nicht nur kämpfte, sondern es im Alltag auch durchaus friedliche Zusammentreffen gab, sei noch heute der kölschen Sprache anzuhören. Die hat sich nämlich in vielen Vokabeln von den Franzosen beeinflussen lassen. Kölsch „Prumme“ von „la prune“ zum Beispiel. „Wisst ihr, was das ist? Man kann es essen“, sagt Kühl. „Schokoladenpudding. Schnitzel“, raten die Jungen. Und Kühl muss enttäuschen und sagen, es handle sich um ein Obst, die Pflaume. Er fügt hinzu: „Auch wenn ihr ‚Tschö’ sagt, dann hört sich das verdächtig nach dem ‚Adieu’ der Franzosen an.“

Peter Kühl guckt in die Kamera

Peter Kühl führt Kinder auch auf einer Räubertour rund um den Chlodwigplatz in Köln.

Auf und ab geht es durch den Wald, vorbei am Freibad im Milchborntal, das noch ohne Wasser auf sonnigere Tage wartet. Die Waldwege säumen Stechpalmen, schlank in den Himmel ragende Kiefern und noch blasses Blattgrün im Unterholz. Nicht immer ist es leicht, den richtigen Weg zu finden. Aber die Jungen haben ja einige Hilfsmittel dabei. So dient ein Puzzlespiel mit den gefundenen Diamanten als Wegweiser. In unterschiedlichen Taschen finden sich abseits des Weges eine gelbe, eine blaue und schließlich eine grüne Medizin in Glasflaschen. Doch welcher Trunk ist nun der richtige? Welcher wird den Rebellenführer wieder gesund machen?

Ein bisschen muss geknobelt werden und Rudolf Kühl gibt Hilfestellungen, wenn sich die beiden Jungen auf dem Holzweg befinden. Am Ende gelingt die Rettung natürlich. Und das ohne den heute etwa 250 Jahre alten Rebellenführer Ferdinand Stucker persönlich aufsuchen zu müssen. Netterweise hat der Advokat und Freiheitskämpfer einen Waldbriefkasten aufgestellt, in welchem die Jungen die Medizinflasche hinterlegen können. Mission erfüllt. Und das ganz ohne Skelett-Begegnung.

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