Artensterben in NRWDiese Tierarten rund um Köln sind vom Aussterben bedroht

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Nabu-Mitarbeiter und Diplom-Biologe Bernhard Sonntag steht in einer Wiese auf dem Gelände der Kiesgrube Buschbergsee in Leverkusen-Hitdorf.

Nabu-Mitarbeiter und Diplom-Biologe Bernhard Sonntag kümmert sich um die Tiere und Pflanzen in der Kiesgrube Buschbergsee bei Leverkusen.

Bei der Weltnaturkonferenz in Montréal sollen von Mittwoch an Maßnahmen gegen die „globale Aussterbekatastrophe“ beschlossen werden. Wie ist die Situation in NRW und im Großraum Köln?

Die Kiebitze zum Beispiel, zwei Pärchen, die in einer Hecke untergekommen sind. Die Feuerlibellen und die Kreuzkröte, die über den Lehmboden hoppelt. Oder der braun-weiß gefiederte Flussregenpfeifer, der im Ufersand eine mit Pflanzen ausgelegte Mulde gegraben hat, um dort zu brüten. „Es gibt kaum noch Lebensräume für diese vom Aussterben bedrohten Tiere, die wir hier wir wie einem Museum beherbergen“, sagt Bernhard Sonntag: „Das ist doch der absolute Wahnsinn.“

Der Biologe steht auf einem kleinen Hügel im Westen von Leverkusen. Die Sonne scheint, trotzdem pfeift der Wind durch das eingezäunte Gelände um den Buschbergsee. Die seit Ende der 1990er-Jahre geschlossene Kiesgrube liegt in einer früheren Fließrinne des mittlerweile etwa einen Kilometer entfernten Rheins. Mit 27,5 Hektar gehört sie zu den größten Gebieten, die von der Naturschutzstation Köln-Leverkusen betreut werden.

Die Mini-Arche-Noah für bedrohte Arten kommt unscheinbar daher. Ein knappes Fünftel der Fläche besteht aus Brachflächen, etwa ein Siebtel wird von Gehölzen oder Büschen wie Haselnuss, Weißdorn oder Brombeere bedeckt. Die Birken, Pappeln und Eichen sind 15 bis 20 Jahre alt und bis zu zehn Meter hoch. Mit knapp 18 Hektar spielt der See die Hauptrolle.

Unterstützung für die letzten Sturmmöwen

„Zu den drei kleinen Inseln dahinten, da müssen wir diesen Winter wieder mit einem Boot rüber, um die Gehölze zu beseitigen“, sagt Sonntag und zeigt in die Mitte des Sees. Das Gelände müsse vorbereitet werden. „Für eine der letzten Sturmmöwen-Kolonien in NRW, etwa 40 Paare, die von Mai bis Juni hier immer brüten, weil sie andernorts keine geeigneten Bedingungen mehr finden.“ Die Tiere bräuchten freien Zugang zum Boden, um dort in Wassernähe ihre Nester bauen zu können. „Sonst kommen die auch nicht mehr hierher in unsere Kiesgrube“, fürchtet Sonntag.

Von kommendem Mittwoch an wird Deutschland bei der Weltnaturkonferenz im kanadischen Montréal auf Veränderungen in Sachen Umweltschutz drängen. Der Klimawandel und der Rückgang der Artenvielfalt, die sich gegenseitig verstärken, sind die größten ökologischen Krisen unserer Zeit, da sind sich die Experten einig.

Gemeinsam mit der EU sowie zahlreichen weiteren Staaten hat sich die Bundesregierung deshalb der von Frankreich und Costa Rica ins Leben gerufenen „Koalition der Hochambitionierten für Mensch und Natur" (HAC) angeschlossen. Ziel des informellen Staatenbündnisses ist es, weitreichende Beschlüsse für mehr globalen Naturschutz durchzusetzen - allen voran den Schutz von 30 Prozent der Land- und Meeresfläche des Planeten.

Fast ein Drittel der Erde soll unter Naturschutz gestellt werden

In NRW standen 2021 rund 297.000 Hektar unter Naturschutz, was etwa 8,7 Prozent der Landesfläche ausmacht. Und jetzt soll fast ein Drittel der Weltkugel unter Schutz, geht das überhaupt?  „Das muss gehen“, sagt Bernhard Sonntag. Die Menschheit müsse endlich „das Offensichtliche tun, das nötig ist, um die Zivilisation zu erhalten“. Denn nahezu sämtliche Vorhaben etwa der Vereinten Nationen, die biologische Vielfalt zu erhalten, sind im vergangenen Jahrzehnt krachend gescheitert.

Einige wenige Erfolge hat es meist nur dann gegeben, wenn mit großem Aufwand einzelnen Arten geholfen wurde. Dem Seeadler etwa, dem Schwarzstorch oder Kranich. So sind auch in NRW die Populationen einiger bedrohter oder zwischenzeitlich verschwundener Arten wie dem Biber, Weißstorch, Uhu, Wanderfalke, Fischotter, Rotmilan oder der Wildkatze wieder gewachsen oder Tiere zurückgekehrt.

Bei den Schmetterlingen beispielsweise betrifft dies bereits zwei Drittel der 1.750 Arten. Von den 80 Säugetierarten in NRW stehen 31 auf der Liste. Der Feldhamster beispielsweise existiert nur noch Dank eines Artenschutzprojektes in einigen wenigen Gebieten. Auch bei den Vögeln sieht es nicht besser aus.

In NRW ausgestorben sind in jüngerer Zeit zum Beispiel die Haubenlerche und der Ortolan. Insgesamt ist etwa die Hälfte der 188 Brutvogelarten auf der Roten Liste. Genauso geht es mittlerweile übrigens auch den Insekten sowie 42 Prozent der 2196 Farn- und Blütenpflanzen in NRW.

Regenpfeifer steht am Ufer eines Flusses.

Beim Regenpfeifer handelt es sich um einen Watvogel.

Ziel der Landesregierung sei deshalb, „die Biodiversitätskrise wirksam zu bekämpfen und in allen Politikfeldern mitzudenken“, heißt es im NRW-Umweltministerium. Dafür solle beispielsweise der Naturschutzhaushalt im Laufe der Legislaturperiode „schrittweise angehoben werden, um mittelfristig verdoppelt zu werden“. Für Naturschutz und Landschaftspflege hat das Land 2021 etwa 34 Millionen Euro ausgegeben, 2022 wurden 38 Millionen Euro genehmigt und für das kommende Jahr sind etwa 45,6 Millionen Euro geplant.

Zudem sei „ein umfangreiches Landesprogramm zur Bewahrung der heimischen Artenvielfalt geplant“. Dazu seien zehntausende, oft sehr kleinteilige Einzelvorhaben nötig und bereits vorgesehen. Der Fantasie sind dabei kaum Grenzen gesetzt: In den Projekten wird beispielweise die Wiederansiedlung des Lachses im Rhein oder unterstützende Maßnahmen für die NRW-weit einzigartige Flussperlmuschel-Vorkommen im Stadtgebiet von Monschau angestrebt.

Gefördert werden etwa auch unterschiedliche Gewächse am Tagebaurand Garzweiler, Feuchtwiesen in der Lippeaue, seltene Schmetterlingsarten wie der Goldene Scheckenfalter im Kreis Euskirchen, die Sicherung der Bestäubung von Wild- und Kulturpflanzen im Rheinland oder eine Verknüpfung der Lebensräume für wandernde Arten wie dem Reh- und Schwarzwild, Fuchs oder Feldhase, Iltis, Dachs, Baum- oder Steinmarder zum Beispiel durch sogenannte Grünbrücken über stark befahrene Straßen.

Auch Feuerlibellen können in der Kiesgrube überleben

Auch Feuerlibellen können in der Kiesgrube überleben

Die Ursache für die „globale Aussterbekatastrophe“ jedenfalls sei offensichtlich, betont NRW-Umweltminister Oliver Krischer. „Wir nutzen unsere Landschaft überall in vielfältiger Weise immer intensiver“, kritisiert der Grünen-Politiker. „Immer mehr Siedlungen, immer intensivere Landwirtschaft, immer neue Straßen rauben den Arten den Lebensraum.“ Das Sterben zu stoppen, sei nicht „Aufgabe allein des Naturschutzes, sondern bedürfe eines schonenden Umgangs mit unserer Fläche in allen Bereichen.“

Sein Ziel als „Naturschutzminister“ sei, keine weiteren Arten in NRW zu verlieren, „sondern dass im Gegenteil schon ausgestorbene wieder zurückkehren“, verspricht Krischer.  Durch gezielte Maßnahmen in der Zülpicher Börde südwestlich von Köln beispielsweise hätte jüngst das Verschwinden der letzten Grauammern verhindert werden können, der Ackervogel breite sich sogar wieder aus.

„Das wollen wir auf andere Arten übertragen“, so der Minister. Dafür solle, neben der Eifel, noch ein zweiter Nationalpark-NRW her.  Und der notwendige Ausbau der Erneuerbaren Energien müsse „gezielt mit Schutzmaßnahmen für tatsächlich bedrohte Arten“ verbunden werden, betont Krischer. „Das geschieht heute noch viel zu wenig“.

Eine Sturmmöwe bei der Brut am Buschbergsee

Eine Sturmmöwe bei der Brut am Buschbergsee

Den Naturschutzbund (Nabu) überzeugt das alles nicht. Sie erwarte „deutliche Nachbesserungen im Haushaltsplan für ressortübergreifende Maßnahmen zur Bekämpfung der Biodiversitätskrise“, betont Heide Naderer, die NRW-Vorsitzende des Verbandes, und attestierte der Landesregierung eine „erschreckende Planlosigkeit“. Nur mit dem Einsatz von mehr Geld käme Nordrhein-Westfalen „nicht aus dem Modus des Reparaturbetriebes heraus“. Zu groß seien bereits die bestehenden und weiter absehbaren Versäumnisse beim Schutz der heimischen Artenvielfalt. „Uns geht fortlaufend wertvolle Fläche verloren, uns sterben die Arten weg“, so Naderer: „Doch statt systematisch gegenzusteuern, wird weiter versucht, den bereits entstandenen Schaden irgendwie zu reparieren - das reicht nicht.“

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