Kölns Rettungsdienst-Chef zur Corona-Lage„Irgendwann klappt es halt nicht mehr“

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Corona Symbolbild Pflege im KH

Experten warnen vor starker Beanspruchung der Intensivstationen, denn die Betten werden auch für andere Notfälle gebraucht. 

  • Professor Alex Lechleuthner, Ärztlicher Leiter bei der Feuerwehr, ist den Mitarbeitern des Rettungsdienstes vorgesetzt. Er ist verantwortlich für die Strukturen in der Notfallmedizin und im Rettungswesen.
  • Im Interview erklärt er, ob die Kölner Kliniken näher an der Belastungsgrenze sind als im Frühjahr und was die Belegung der Intensivbetten für die notfallmedizinische Lage in Köln bedeutet.

Der Professor verspätet sich ein paar Minuten, er ist in diesen Tagen ein viel beschäftigter Mann. Alex Lechleuthner, 61, ärztlicher Leiter der Feuerwehr, ist verantwortlich für die notfallmedizinische Versorgung in Köln. Seit Beginn der Corona-Krise reiht sich eine Besprechung an die andere. Zwischendrin erläutert er die Belastungsgrenze von Kliniken und Rettungsdienst.

Professor Lechleuthner, die Corona-Kennziffern der vergangenen Tage machen Hoffnung, dass sich das Infektionsgeschehen etwas entspannen könnte. Wie bewerten Sie die Lage Mitte November in Köln?

Von einer Entspannung würde ich nicht sprechen. Im Gegenteil: Die Situation ist weiterhin angespannt. Der Inzidenzwert geht zwar zurück, aber wir wissen nicht, wie nachhaltig das ist. Denken Sie an den Lockdown im Frühjahr zurück: Am 16. März wurden die Schulen geschlossen, erst am 9. April haben wir den höchsten Wert in den Krankenhäusern erlebt und danach noch mehrere Wochen einen Höchststand auf den Intensivstationen. Das heißt: Zwischen Beginn und Höhepunkt des Lockdowns vergehen mehrere Wochen. Wir können sicher sein, dass es Ende November nicht zu Ende sein wird. Bis dahin müssen wir das Möglichste Tun, um die Inzidenzwerte zu senken. Davon hängt alles ab.

Was genau?

Wenn sich mehr Menschen anstecken, wird – je nachdem, wie sich die Zahl der Infizierten zusammensetzt – bald danach auch die Anzahl derer steigen, die krank oder sehr krank werden. Davon wird es immer einen Prozentsatz geben, der ins Krankenhaus muss oder sogar auf die Intensivstation. Der Anteil ist im Moment etwas niedriger als im Frühjahr, wahrscheinlich weil damals mehr ältere Menschen betroffen waren. Aber wenn ich an einem Tag X frage, wer nächste Woche ins Krankenhaus muss, hat er sich ja vorher schon angesteckt. Und dann haben wir keinen Einfluss mehr auf die Lage. Wir müssen vorher handeln.

Alex Lechleuthner

Alex Lechleuthner, Chef des Rettungsdienstes

Im Frühjahr waren in der Hochphase der Pandemie 154 Corona-Patienten im Krankenhaus und davon 74 auf der Intensivstation. Zuletzt waren etwas mehr als 300 Infizierte im Krankenhaus, von denen etwa 110 intensiv behandelt wurden. Schon im April wurde vor einem drohenden Kollaps des Kliniksystems gewarnt. Sind wir heute näher an der Überlastungsgrenze als damals?

Nein. Wir haben im Frühjahr vieles nicht gewusst. Zum Beispiel wann und wie ein Lockdown wirkt. Wir haben dann aber gelernt, dass das Instrument wirkt. Zwar mit Zeitverzug, aber die Krankenhaus- und Intensivstationsbelegung ging zurück. Weil wir das aber im April nicht wussten, mussten wir davon ausgehen, dass wir die Kapazitätsgrenzen erreichen. Es gab dann einen Rettungsschirm für Krankenhäuser, der dazu geführt hat, dass es viele freie Betten gab. Jetzt sind wir aber im vollen Regelbetrieb. Das heißt, dass wir so gut wie keine freien Betten haben. Stellen Sie sich vor, auf einer Hochleistungs-Intensivstation stehen Betten leer, das Personal dreht Däumchen. So etwas gibt es nicht. Aber man kann Patienten verlegen, denen es wieder besser geht, Operationen verschieben und damit kurzfristig Kapazitäten schaffen. Deshalb spreche ich auch immer von verfügbaren, nicht von freien Betten.

Wie lange könnte es gut gehen, sollten die Zahlen wieder steigen?

In einem endlichen System gibt es keine unendlichen Ressourcen, das ist klar. Es kann nicht ewig weitergehen, weil wir nicht unendlich Kapazitäten aufbauen können, allein schon aus personellen Gründen. Wir haben etwas mehr als 300 Intensivbetten in Köln, die aber nicht komplett mit Covid-Patienten belegt werden können, weil dann alle anderen keinen Platz mehr hätten. Bisher hat es immer geklappt, die Patienten unterzubringen. Aber irgendwann klappt es halt nicht mehr. Nur wann das sein wird, kann derzeit keiner sagen. Denn es gibt ja auch immer ein Restrisiko, zum Beispiel dass Großlagen wie zum Beispiel schwere Verkehrsunfälle eintreten, nach denen viele Patienten in den Krankenhäusern zu behandeln wären. Wir sind einfach darauf angewiesen, dass die jetzigen Maßnahmen wirken.

Wäre Köln auf solche Großlagen mitten in der Pandemie vorbereitet?

Ja, wenn unsere Kapazitäten erschöpft wären, könnten wir Patienten auch in Krankenhäuser außerhalb Kölns verteilen. Dann kommen sie zum Beispiel nach Frechen oder Aachen. Unser System hat da viele Möglichkeiten. Aber bedenken Sie: Die sind immer endlich. Das war schon immer so. Im Winter waren die Krankenhäuser schon immer rappelvoll. Da gab es – übertrieben gesagt – kaum ein Bett mehr in Köln. Wir mussten schon immer Patienten verlegen, auch ohne Corona und ohne Schweinegrippe.

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Im Frühjahr gab es Pläne, in der Messe ein mobiles Behandlungszentrum aufzubauen. Weil sich dann die Lage entspannte, wurden sie bisher nicht umgesetzt. Überlegen Sie, das für den Winter nun doch zu tun?

Die Planungen liegen ja in der Schublade. Die Option können wir immer ziehen, wenn die Notwendigkeit erkannt wird. Ich kann aber jetzt noch nicht sagen, ob wir das brauchen werden. Nur: Es gibt ja jetzt schon in den Krankenhäusern Mangel an Fachpersonal. In einem mobilen Zentrum werden wir also in jedem Fall keine schwer kranken Patienten behandeln können.

Kürzlich wurde bekannt, dass 2019 für den Rettungsdienst ein Rekordjahr war. Noch nie gab es so viele Einsätze wie im vergangenen Jahr. Hat sich das insgesamt in diesem Jahr mit Corona noch verschärft?

Wir hatten im Frühjahr sinkende Einsatzzahlen. Es gab zum Beispiel weniger Verkehrsunfälle. Es wurden sogar weniger Herzinfarkte und Schlaganfälle gemeldet, weil die Leute vermutlich Angst hatten, sich anzustecken. Das ist jetzt anders. Wir haben jahreszeitlich normal zu tun. Um die Verhältnisse klar zu machen: In den Krankenhäusern liegen gut 300 Covid-Patienten, 110 davon auf Intensiv. Es gibt aber im Schnitt etwa 400 Einsätze pro Tag. Den Rettungsdienst beschäftigt das Alltagsgeschäft also mehr als die Pandemie.

Haben Sie schon Feiern zu Weihnachten oder Silvester geplant?

Ich? Nein. (lacht) Wir haben drei Mal die Woche Krisenstab. An Feiern ist gerade nicht zu denken. Kontakte reduzieren bleibt das Gebot der Stunde.

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