Tod eines 59-JährigenBeschuldigte Polizisten aus Köln-Ehrenfeld sollen Strafanzeige gefälscht haben

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Zwei Polizisten führen einen Mann ab, dessen Hände auf dem Rücken gefesselt sind.

Bei einem Routineeinsatz in Köln-Bickendorf 2021 sollen Polizisten übermäßig harte Gewalt angewendet haben.

Nach einem eskalierten Einsatz hat die Staatsanwaltschaft fünf Polizisten wegen Körperverletzung angeklagt.

Das Einsatzprotokoll erinnert an einen Routinefall. Die Funksprüche lassen nicht erahnen, dass an jenem Nachmittag des 24. April 2021 ein Zugriff in Bickendorf aus dem Ruder laufen sollte.

Gegen 16.38 Uhr forderte der Polizeikommissar Bettino G. (Name geändert) Verstärkung zur Vitalisstraße an. Es gebe Stress, hieß es. Zwei weitere Streifenwagen rasten zum Tatort. Fünf Beamte sollen den randalierenden Anwohner Alessio Z., 59, zu Boden gebracht haben. Vier Minuten später ging eine weitere Meldung ein: „Jetzt eine Person fixiert.“ Ein Rettungswagen werde benötigt. „Verletzt im Gesicht“.

Sanitäter brachten den italienischen Familienvater ins St. Franziskus Hospital. Dort stellten Ärzte zwei gebrochene Rippen im Brustbereich fest. Verursacht durch den Polizeieinsatz. Kaum entlassen, suchte der Endfünfziger tags darauf seine Hausärztin zur Nachuntersuchung auf. Die Medizinerin gab ihm Schmerzmittel. Danach verzichtete Alessio Z. aber auf jegliche weitere Behandlung.

Köln: 59-Jähriger starb zwei Monate nach dem Einsatz an Blutvergiftung

Knapp zwei Monate später starb der Mann an einer Blutvergiftung aufgrund einer Lungenentzündung. Zwar stellten Rechtsmediziner bei der Obduktion der Leiche einen „kausalen Zusammenhang“ zwischen der gewaltsamen Festnahme im April und dem Tod am 21. Juni fest. Zugleich schränkten die Gutachter ihren Befund ein: Hätte sich der Mann nach dem Vorfall weiterhin behandeln lassen, wäre „eine Entstehung der Lungenentzündung möglicherweise verhindert worden“.

Nach Hinweisen durch die Familie nahm die Staatsanwaltschaft Ermittlungen gegen die Einsatzkräfte auf. Wie der „Kölner Stadt-Anzeiger“ aus Justizkreisen erfuhr, wurden die fünf beschuldigten Beamten aus der Polizeiinspektion Ehrenfeld nun vor dem Kölner Landgericht angeklagt. Neben gemeinschaftlicher Körperverletzung im Amt muss sich der mutmaßliche Hauptakteur Bettino G. wegen eines weiteren rechtswidrigen Übergriffs verantworten.

Auch besteht der Verdacht, dass der 40-jährige Polizeikommissar mit seinem Streifenkollegen zusammen einen Unschuldigen verfolgt hat. Laut Anklage sollen die beiden Polizisten in einer Strafanzeige gegen Alessio Z. gelogen und eine Notwehrsituation konstruiert haben. Aus Sicht der Staatsanwaltschaft war der Einsatz völlig unnötig. Ein mitangeschuldigter Kollege soll zudem in vier Fällen Geheimnisverrat begangen haben, weil er für Bekannte im Polizeicomputer Abfragen durchführte.

Im Prozess wird sich die Unschuld meines Mandanten erweisen.
Christoph Arnold, Strafverteidiger

Strafverteidiger Christoph Arnold, der den Hauptangeklagten vertritt, weist die Vorwürfe zurück. „Zuerst hat der später Verstorbene mit den Fäusten den Beamten Prügel angedroht, zudem hat er sie im angetrunkenen Zustand wüst beschimpft. Hier von einem ungerechtfertigten Einsatz und übertriebener Polizeigewalt zu sprechen ist absurd.“ Zudem hätten Gutachter der Rechtsmedizin festgestellt, dass Alessio Z. noch leben könnte, wäre er zum Arzt gegangen. „Im Prozess wird sich die Unschuld meines Mandanten erweisen.“

Den Ermittlungen zufolge nahm das Tatgeschehen seinen Lauf, als der Angeklagte Bettino G. und sein Kollege nebst einer Kommissar-Anwärterin einen Fall von Unfallflucht aufklären sollten. Die Spur führte zur Tochter von Alessio Z..

Da die junge Frau immer noch an der Wohnadresse ihres Vaters gemeldet war, klingelte man in der Vitalisstraße. Dort stieß man auf ihren Bruder. Der vermittelte einen Telefonanruf mit der gesuchten Schwester. Schnell klärte sich alles auf. An diesem Punkt, so die Staatsanwaltschaft, wäre der Einsatz eigentlich beendet gewesen. Doch dann eskalierte draußen vor dem Haus die Lage.

Köln: Aussagen der Zeugen über den Einsatz gehen auseinander

Mit einer Bierdose in der Hand begann Alessio Z. auf der Straße laut zu werden. Er soll die Beamten beschimpft haben. Anstatt die Situation zu entspannen und wieder in die Streifenwagen zu steigen, begannen fünf Polizisten den Mann laut Anklage einzukesseln, brachten ihn zu Boden und fesselten ihn.

Was dann geschah, darüber gehen die Aussagen der Augenzeugen auseinander. Die Angeklagten versicherten über ihre Anwälte, dass sich Alessio Z. gewehrt und sich deshalb die Verletzungen zugezogen habe.

Drei Anwohner schildern das Gegenteil. Kaum lag der Italiener auf dem Asphalt, hätten die Polizisten auf den Nachbarn eingeschlagen und eingetreten. Hilflos habe er über Atemnot geklagt. Ungerührt soll einer der Angeklagten seinen Fuß dem Wehrlosen auf den Nacken gesetzt haben. Ferner sollen die Beamten den Mann mit dem Kopf gegen einen Betonpfeiler geknallt haben. Daneben förderten die Ermittlungen auch entlastende Aussagen von Augenzeugen zu Tage, die keine Polizeigewalt gesehen haben.

Folglich steht Aussage gegen Aussage. Allerdings wertet die Anklägerin kompromittierende Chats der Einsatzkräfte als Beleg für ihre Vorwürfe: Kurz nach dem Geschehen postete ein Beamter: „gerade einen umgeklatscht“. Es scheint, als wären die Polizisten heiß auf Krawall gewesen. Die Anklage spricht von einer bedenklichen Gesinnung. Zusammen auf Streife fahren, „dann nehmen wir jemanden fest und machen jemanden kaputt“, lautete die Devise bei Bettino G.

In einem anderen Fall rühmte er sich: „Isch han dem Türken gestern einen Kick gegeben.“ Gefolgt von drei Emojis. Im Polizeigewahrsam vermute man, dass der Typ sich den Finger gebrochen habe, antwortete ein mitangeklagter Kollege. In einem anderen Fall ließ sich einer der Angeschuldigten auf der Wache feiern, weil er den Widerstand des Tatverdächtigen mit etlichen Boxschlägen gebrochen hatte.

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