Der 65-Jährige wehrt sich gegen die vom Landgericht verhängte Sicherungsverwahrung und will doch noch Freispruch erreichen.
BGH lässt Thomas Drach wartenWird der Kölner Mammutprozess um den Reemtsma-Entführer neu aufgerollt?

Der Reemtsma-Entführer Thomas Drach im Januar 2024 kurz vor der Urteilsverkündung beim damaligen Prozess im Kölner Landgericht
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Es war ein Mammut-Verfahren um den berüchtigten Reemtsma-Entführer Thomas Drach, das die Kölner Justiz bis an ihre Grenzen gebracht hat. 100 Verhandlungstage in einem eher provisorischen Hochsicherheitssaal, Straßensperren für die Anreise per Hubschrauber rund um das Gerichtsgebäude und genervte Anwohner, fast immer die Ankunft per Hubschrauber. Dazu hochbewaffnete Polizisten vor Ort, die Befreiungsversuche verhindern sollten. Im Januar 2024 wurde der „Berufskriminelle“, wie ihn Richter Jörg Michael Bern nannte, für drei Raubüberfälle auf Geldboten zu 15 Jahren Haft und Sicherungsverwahrung verurteilt. Doch rechtskräftig wurde die Entscheidung vom Landgericht bis heute nicht. Der Bundesgerichtshof ist nun am Zug und bestimmt: Geht alles wieder von vorn los?
Thomas Drach: Bundesgerichtshof hat noch keine Entscheidung getroffen
Der brisante Vorgang läuft beim Bundesgerichtshof (BGH) in Karlsruhe unter dem Aktenzeichen 2 StR 625/24. „Es ist noch keine Entscheidung ergangen und wir können Ihnen im Moment auch noch keinen konkreten Termin nennen“, teilt BGH-Pressesprecher Bernd Odörfer auf Anfrage des „Kölner Stadt-Anzeiger“ mit. Dass nach fast zwei Jahren noch keine Entscheidung gefallen ist, bezeichnet der Kölner Revisionsexperte und frühere Richter Jens Schiminowski als „eher ungewöhnlich“. Allerdings müsse der Strafsenat in Karlsruhe 700 Fälle pro Jahr prüfen – und bei einer angeordneten Sicherheitsverwahrung, einer lebenslangen Maßregel, werde noch gründlicher hingeschaut.

Thomas Drach wurde zum Prozess am Landgericht Köln per Helikopter gebracht.
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Rechtsanwalt Schiminowski, der auch mal als wissenschaftlicher Mitarbeiter beim BGH tätig war, kann sich auch vorstellen, dass sich die Entscheidung sogar noch weiter erheblich verzögern könnte, etwa weil der Strafsenat nach der Beratung eine ausführliche Begründung zum Fall Drach schreiben will oder muss. Wie die Entscheidung dann aussehen wird, darüber könne man nur spekulieren. Aber: Verwirft der BGH eine Revision, steht im Beschluss oftmals nur ein Einzeiler, dass das erstinstanzliche Urteil rechtsfehlerfrei sei. Gründe für eine Aufhebung könnten neben Widersprüchen in der Beweiswürdigung auch ganz formal sein: Etwa, wenn im Prozess einmal die Öffentlichkeit zu Unrecht ausgeschlossen wurde.
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Entschieden wird über die Revision, weil Thomas Drach diese über seine Anwälte eingelegt hatte. Der gebürtige Rheinländer hatte beim Prozess am Landgericht einen „glasklaren Freispruch“ gefordert und alle Vorwürfe stets zurückgewiesen. Seit 30 Jahren würden ihm Handel mit Drogen und Waffen und Geldwäsche vorgeworfen. Auch bei Überfällen auf Geldtransporter falle immer wieder sein Name. Und nie sei am Tatort ein Haar oder eine andere DNA-Spur gefunden worden. „Und warum? Weil das alles dummes Geschwätz ist.“ Drach hatte nach der Urteilsverkündigung noch im Gerichtssaal angekündigt, beim Bundesgerichtshof gegen seine Verurteilung vorzugehen. Der Reemtsma-Entführer sitzt weiterhin hochgesichert in Untersuchungshaft in der JVA Köln-Ossendorf.
Thomas Drach: Aktueller Verteidiger möchte Freispruch erreichen
Drachs aktueller Strafverteidiger Michael D. Hakner hofft auf eine baldige Entscheidung des BGH und eine Aufhebung des Urteils. Dann käme es zur Neuverhandlung in Köln. „Das Ziel ist natürlich immer noch ein Freispruch“, sagt Hakner auf Anfrage. Dem Vernehmen nach haben die Anwälte etwa die Auswertung von Videobildern von den jeweiligen Tatorten als fehlerhaft moniert. Nach einem Gutachterwechsel hatte ein Sportwissenschaftler zumindest in einem Fall eine weit überwiegende, bis an Sicherheit grenzende Wahrscheinlichkeit der Übereinstimmung von Drach und Täter gesehen.
Der beschuldigte Drach soll sich zudem immer noch als Opfer einer Verschwörung sehen. Schon im damaligen Prozess hatte er seinem früheren Entführungsopfer Jan Philipp Reemtsma vorgeworfen, angeblich einen Privatdetektiv auf ihn angesetzt zu haben. Dieser habe mit dem Landeskriminalamt Hamburg zusammen gearbeitet, „und das ohne staatlichen Auftrag“. Ziel seiner Gegner sei es gewesen, dass er in die Sicherungsverwahrung komme. Und das sei ja dann auch geschehen. Der damaligen Staatsanwältin Anja Heimig hatte Drach vorgeworfen, einen Spitzel auf ihn angesetzt zu haben. Der wegen Drogengeschäften in Kleve verfolgte Mann sei gezielt in die JVA Köln versetzt worden, „um mich auszuhorchen und auszuspionieren“. Im Prozess galt dieser als „Kronzeuge“.
Köln: Landgericht verurteilte Thomas Drach wegen drei Raubüberfällen
Die Schwurgerichtskammer des Landgerichts war vor knapp zwei Jahren zu dem Schluss gekommen, dass Thomas Drach für drei der vier ihm zur Last gelegten Überfälle auf Geldtransporter verantwortlich ist. In den Jahren 2018 und 2019 habe er demnach am Flughafen Köln/Bonn sowie an den Ikea-Filialen in Köln-Godorf und Frankfurt am Main zugeschlagen. Zwei der überfallenen Geldboten seien durch Schüsse aus einer Kalaschnikow an den Beinen verletzt worden und hätten neben den körperlichen Wunden auch schwere seelische Traumata erlitten. Drach habe den möglichen Tod der Männer in Kauf genommen, weshalb der Richter die Taten als versuchten Mord einstufte. Das Motiv: Habgier. Einer der betroffenen Geldboten war noch während des laufenden Prozesses an einer Lungenkrankheit gestorben. „Dieser Überfall hat meinen Mandanten aus der Bahn geworfen – er konnte nicht mehr in Frieden sterben“, sagte seine Anwältin damals.

Dieses Fahndungsfoto zeigt den Räuber im März 2018 mit Maschinenpistole und Geldkoffer auf dem Parkplatz von Ikea in Köln-Godorf.
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Das zweite Opfer war auf einen Rollator angewiesen und deutlich gezeichnet vom Erlebten vor Gericht erschienen; seine Aussage hatte ihm große Mühe bereitet. Während dieser Vernehmung habe Drach laut Richter Bern mit seinen Anwälten Scherze gemacht – „als säße dort nur ein unbedeutender Zeuge“. Bei der Festlegung des Strafmaßes müsse stets berücksichtigt werden, welche Umstände zugunsten des Angeklagten sprechen, hatte der Richter erklärt. „In diesem Fall haben wir jedoch kaum etwas gefunden.“ Als mildernden Aspekt könne man allenfalls Drachs fortgeschrittenes Alter anführen – „doch das hat ihn offensichtlich nicht von den Taten abgehalten.“
Kölner Landgericht: Gesamtschau der Indizien reichte für Verurteilung
Zwar gebe es keinen einzelnen, eindeutigen Beweis, hatte Richter Bern erklärt. Doch die Gesamtheit der Indizien – etwa eine DNA-Spur an einem Fluchtfahrzeug oder die Videoaufnahmen – ergäben ein stimmiges Bild, das keinen vernünftigen Zweifel an Drachs Täterschaft zulasse. Nur im Fall eines Überfalls auf einem Supermarktparkplatz in Limburg an der Lahn fehlte eine Videoaufzeichnung; hier wurde Drach freigesprochen. Bei den übrigen Taten wurden insgesamt rund 141.000 Euro erbeutet.
Richter Bern hatte – gemessen an der langen Verfahrensdauer – die Urteilsbegründung auffällig kurz gehalten. Prozessbeobachter vermuteten, Bern habe „die Sache“ schnell hinter sich bringen wollen. Zu zermürbt erschien er nach 100 Prozesstagen. Besonders schwere Attacken der Verteidigung hatten dem erfahrenen Richter offensichtlich stark zugesetzt. So war etwa der Anwalt von Drachs Mitangeklagtem – der Niederländer Eugen W. wurde später wegen gesundheitlicher Beschwerden vom Verfahren abgetrennt – immer wieder mit Schmähungen aufgefallen. Er hatte den Richter etwa als „Entenmama“ bezeichnet, dem die Beisitzer und Schöffen wie Küken hinterher watscheln.
Die Anwälte hatten auch immer wieder Befangenheitsanträge gestellt und damit neun Aktenbände gefüllt. „Zum Vergleich: Die gesamte Akte hatte bei Anklageerhebung insgesamt nur elf Bände“, hatte der Richter erklärt und betont, dass er die Beweisaufnahme bereits ein Jahr früher schließen wollte, da er mit seinem Programm bereits durch gewesen sei. Bern hatte den langjährigen Vorsitz seiner Schwurgerichtskammer nach dem Drach-Prozess abgegeben und war in den Zivilbereich gewechselt.
Thomas Drach: Unternehmer Jan Philipp Reemtsma entführt
Die kriminelle Laufbahn des heute 65-jährigen Thomas Drach aus Erftstadt begann bereits in seiner Jugend: Mit 13 Jahren soll er erstmals beim Aufbrechen eines Autos erwischt worden sein. Mit 18 überfiel er einen Supermarkt, zwei Jahre später gemeinsam mit seinem Bruder eine Kölner Sparkasse. Dafür erhielt Drach eine Haftstrafe von siebeneinhalb Jahren. 1996 beging er eines der bekanntesten Verbrechen der deutschen Nachkriegsgeschichte: Gemeinsam mit Komplizen entführte er den Hamburger Unternehmer Jan Philipp Reemtsma.
Das Opfer wurde in einem Keller gefangen gehalten, während die Täter zunächst 20, später 30 Millionen D-Mark und Franken Lösegeld forderten – die bis heute höchste Summe, die in Deutschland je gezahlt wurde. Drach konnte nach der Geldübergabe fliehen. Zwei Jahre später wurde er in Buenos Aires festgenommen und 2000 zu vierzehneinhalb Jahren Haft verurteilt – die Strafe wurde um 15 Monate verlängert, weil er im Gefängnis seinen Bruder bedroht hatte. Nach seiner Entlassung im Jahr 2013 lebte Drach eine Zeit lang auf Ibiza. Während der Überfälle auf Geldboten in Köln und Frankfurt hielt er sich offenbar in den Niederlanden auf, wo er im Februar 2021 festgenommen wurde.

