Richter nennt ihn „Berufskriminellen“Urteil ist da – Thomas Drach kommt womöglich nie wieder frei

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Thomas Drach sitzt im Gerichtssaal auf der Anklagebank.

Thomas Drach sitzt im Gerichtssaal auf der Anklagebank. Nach fast zwei Jahren ging am Donnerstag der Prozess gegen Deutschlands wohl bekanntesten Schwerverbrecher zu Ende.

Am 100. Verhandlungstag fiel endlich das Urteil im Mammut-Prozess gegen Thomas Drach. Der Reemtsma-Entführer wird womöglich nie wieder frei kommen.

Der Reemtsma-Entführer Thomas Drach saß bereits 25 Jahre seines Lebens im Gefängnis – und kommt nun womöglich nie wieder frei. Denn das Kölner Landgericht verurteilte den 63-jährigen „Berufskriminellen“, wie ihn der Vorsitzende Richter Jörg Michael Bern nannte, am Donnerstag zu 15 Jahren Haft und anschließender Sicherungsverwahrung. Die Schwurgerichtskammer sah es als erwiesen an, dass Drach drei der vier angeklagten Raubüberfälle auf Geldboten begangen hat.

Köln: Am Flughafen auf Geldboten geschossen

In den Jahren 2018 und 2019 habe Drach am Flughafen Köln/Bonn und an den Ikea-Märkten in Köln-Godorf und Frankfurt am Main zugeschlagen. Zwei der überfallenen Geldboten wurden an den Beinen von Kugeln aus einer Kalaschnikow getroffen, sie hätten auch erhebliche psychische Schäden davongetragen. Drach habe einen möglichen Tod der Männer billigend in Kauf genommen, daher wertete der Richter diese Fälle als versuchten Mord. Das Mordmotiv sei dabei Habgier gewesen.

Der Vorsitzende Richter Jörg Michael Bern sprach das Urteil gegen Thomas Drach.

Der Vorsitzende Richter Jörg Michael Bern sprach das Urteil gegen Thomas Drach.

Tatsächlich verstarb einer der Geldboten vor wenigen Monaten infolge einer Lungenkrankheit. „Dieser Überfall hat meinen Mandanten aus der Bahn geworfen, er konnte nicht in Frieden sterben“, sagt Anwältin Monika Müller-Laschet. Das andere Schussopfer war im Rollator und traumatisiert im Gericht erschienen, habe nur mit Mühe aussagen können. Thomas Drach habe während dessen Aussage mit seinen Anwälten gescherzt, sagte der Richter, „als säße da ein unwichtiger Zeuge“.

Kölner Richter: Sicherungsverwahrung zwingend nötig

Bei einem Strafausspruch müsse man immer schauen, was für den Angeklagten spreche. „Da haben wir kaum was gefunden“, so der Richter. Positiv anzurechnen wäre vielleicht das fortgeschrittene Lebensalter, „aber das hat ihn von den Taten ja auch nicht abgehalten“. Strafschärfend hingegen sei das rücksichtslose Vorgehen, bei dem auch völlig Unbeteiligte gefährdet worden seien. Auch die erheblichen Vorstrafen hätten die Verhängung der Sicherungsverwahrung zwingend nötig gemacht.

Zwar gebe es nicht den einen klaren Beweis. Die einzelnen Indizien, wie eine DNA-Spur an einem Fluchtwagen oder die Videoaufzeichnungen, ergäben aber ein Gesamtbild, das keinen vernünftigen Zweifel an einer Täterschaft Drachs zuließe, sagte Bern. Kein Überwachungsvideo gab es im Fall eines Überfalls auf einem Supermarkt-Parkplatz in Limburg an der Lahn. Drach wurde in diesem Fall freigesprochen. Der Angeklagte hat bei den drei übrigen Taten eine Beute von rund 141.000 Euro gemacht.

Kölner Landgericht: Immense Sicherheitsvorkehrungen

Richter Bern nahm in seiner Urteilsbegründung den in den Medien verwendeten Begriff des „Mammut-Verfahrens“ auf. Das gelte allerdings nur für die Ressourcen, die der Prozess verschlungen habe, der seit Februar 2022 lief und tatsächlich mit dem 100. Verhandlungstag sein Ende gefunden hat. Eine sehr aufwändige Logistik sei betrieben worden, um das Verfahren unter höchsten Sicherheitsvorkehrungen durchzuführen. Drach wurde auch dieses Mal per Helikopter gebracht – Anwohner rund ums Gerichtsgebäude mussten dafür ständige Straßensperrungen erdulden.

Überschaubar hingegen sei der eigentliche Prozessstoff gewesen. „Es ging nur um vier Taten“, sagte Bern. Eine Vielzahl von Umständen hätten das Verfahren aber verzögert: Quarantäne-Maßnahmen in der damals akuten Corona-Pandemie, gesundheitliche Ausfälle des früheren Mitangeklagten und ein Sachverständiger, der von seinen Pflichten entbunden werden musste. Den Videospezialisten hätten die Verteidiger auf persönlicher Ebene so fertig gemacht, bis dieser entnervt hingeschmissen habe.

Thomas Drach hatte einen „glasklaren Freispruch“ gefordert

Dass er vor allem von einem Verteidiger immer wieder gereizt und beleidigt worden war, sparte Richter Bern diesmal aus. Die Anwälte hätten auch immer wieder Befangenheitsanträge gestellt und damit neun Aktenbände gefüllt. „Zum Vergleich: Die gesamte Akte hatte bei Anklageerhebung insgesamt nur elf Bände“, erklärte der Richter. Bern hatte mehrfach betont, dass er die Beweisaufnahme bereits vor einem Jahr schließen wollte, da er mit seinem Programm durch war.

Kurz vor dem Urteil hatte Thomas Drach einen „glasklaren Freispruch“ gefordert. Er nahm dabei Bezug auf das Plädoyer von Staatsanwältin Anja Heimig – dem war der Richter fast ausnahmslos gefolgt. Heimig habe laut Drach „anscheinend nicht an der Beweisaufnahme teilgenommen, sondern nur die Anklageschrift wiederholt“. Sollte er verurteilt werden, werde Drach „bei einer unabhängigen Staatsanwaltschaft“ Anzeige gegen die Anklägerin erstatten: „Und ob Frau Heimig in zwei Jahren immer noch Staatsanwältin ist oder Bleistifte spitzt, das werden wir dann sehen.“

04.01.2024, Köln: Prozess gegen Thomas Drach am Landgericht Köln.
Ausstehend ist das letzte Wort.

Foto: Michael Bause

Thomas Drach am Tag der Urteilsverkündung im Kölner Landgericht.

Drach wiederholte seine oft artikulierte Verschwörungstheorie, wonach die Staatsanwältin Zeugen als Spitzel gekauft habe, die ihn belasten sollten. Dabei handelte sich etwa um einen ehemaligen Mithäftling, der Drach belastet hatte. Der Mitgefangene habe im Hobbyraum der JVA Köln Wortfetzen aufgeschnappt „und daraus eine neue Geschichte gestrickt“. Der Kronzeuge hatte behauptet, Drach habe ihm gegenüber drei der vier angeklagten Überfälle auf Geldboten gestanden.

Landgericht Köln: Drach kündigt bereits Revision an

Drach deutete an, die ihn belastende DNA-Spur an einem Fluchtwagen könne damit erklärt werden, dass er in den Niederlanden Zugriff auf das Auto gehabt habe. Es soll einem Bekannten gehört haben. Dann sei der Wagen geklaut worden. Drach: „Damit endet die Geschichte.“ Seit 30 Jahren würden ihm Handel mit Drogen und Waffen und Geldwäsche vorgeworfen. Auch bei Überfällen auf Geldtransporter falle immer wieder sein Name. Und nie sei am Tatort ein Haar oder eine andere DNA-Spur gefunden worden. „Und warum? Weil das alles dummes Geschwätz ist.“

Drach hat nach der Urteilsverkündigung noch im Gerichtssaal angekündigt, beim Bundesgerichtshof gegen seine Verurteilung vorzugehen. Wer die Revisionsbegründung schreibt, ist aber unklar. Mit seinen aktuellen Anwälten Andreas Kerkhof und Dirk Kruse hatte sich Drach nämlich überworfen. Sollte das Urteil gekippt werden, dann ginge die große Drach-Show im Landgericht von vorne los.

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