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Interview

Kölner Raubermittler
„Wir versuchen, in die Köpfe der Täter zu schauen“

Lesezeit 6 Minuten
16.05.2025, Köln: Wolfgang Burger: Der langjährige Leiter des Raubdezernats der Kölner Polizei geht in den Ruhestand und berichtet über seine spektakulärsten Fälle  Foto: Arton Krasniqi

Der spektakulären Raubüberfall auf das Mare Atlantico einen Tag vor Heiligabend 2021 ist bis heute ungeklärt – ein Fall, den der scheidende Ermittler Wolfgang Burger unbedingt noch lösen will.

Nach 13 Jahren als Leiter des Raubkommissariats bei der Kölner Polizei geht Wolfgang Burger in Kürze in den Ruhestand. Im Gespräch mit dem „Kölner Stadt-Anzeiger“ gibt er einen tiefen Einblick in die Ermittlungsarbeit seines Teams.

Herr Burger, seit fast 13 Jahren sind Sie beim Raub, seit elfeinhalb Jahren als Kommissariatsleiter. Sie kennen die Tricks der Täter, haben schwer verletzte Opfer und viel Leid gesehen. Können Sie privat noch entspannt durch die Stadt laufen?

Ich sage es mal so: Wenn ich abends zum Kegeln fahre, würde ich mir nicht unbedingt eine Rolex anziehen (lacht). Aber im Ernst: Ja, das kann ich. Ich bin überzeugt, dass man sich sicher in dieser Stadt bewegen kann. Eine gewisse Vorsicht ist natürlich geboten. Ich selbst achte immer auf die Hände der Menschen und gucke: Was machen sie damit? Darauf bin ich als Polizeibeamter geschult, das steckt einfach in mir drin.

Wie kann man sich vor Raubüberfällen schützen?

Was ich grundsätzlich jedem empfehlen kann, ist, möglichst viel Selbstbewusstsein auszustrahlen. Täter gucken sich als Opfer oft Menschen aus, die einem Blick nicht standhalten können, die sofort auf den Boden sehen, wenn sie angeschaut werden. Das Gros der 1000 bis 1200 Taten jedes Jahr in Köln ist der klassische Straßenraub in der Innenstadt, vor allem abends und am Wochenende. Oft trifft es Betrunkene auf dem Heimweg, aus Sicht der Täter sind das leichte Opfer. Viele Raubdelikte geschehen aber auch im Milieu, rund um Neumarkt und Ebertplatz, auf den Ringen, am Friesenplatz. Das sind Menschen, die sich untereinander angehen wegen Unstimmigkeiten oder Rauschgiftgeschäften.

16.05.2025, Köln: Wolfgang Burger: Der langjährige Leiter des Raubdezernats der Kölner Polizei geht in den Ruhestand und berichtet über seine spektakulärsten Fälle  Foto: Arton Krasniqi

16.05.2025, Köln: Wolfgang Burger: Der langjährige Leiter des Raubdezernats der Kölner Polizei geht in den Ruhestand und berichtet über seine spektakulärsten Fälle Foto: Arton Krasniqi

Was reizt Sie am Bereich Raub? Was ist Ihr Antrieb?

Mich hat der Beruf über Jahre gefesselt und fasziniert, das Sicherheitsgefühl der Bevölkerung stand für mich immer im Mittelpunkt. Ein Ermittlungsverfahren von Beginn bis zum juristischen Abschluss vollständig zu begleiten, war eine Triebfeder meiner Arbeit. (Wolfgang Burger schiebt ein Foto über den Tisch, es zeigt das blutüberströmte Gesicht eines Mannes mit einer tiefen Schnittwunde auf der Wange.) Wenn Sie montagmorgens zur Arbeit kommen und solche Bilder sehen, dann wissen Sie, warum Sie diesen Job machen. Das hier war eine äußerst brutale Tat vor eineinhalb Jahren in der Innenstadt. Vier Täter, sechs Taten an zwei Samstagen. Die haben Männer auf dem Weg zur Bahnhaltestelle überfallen und ihre Wertsachen geraubt. Völlig ohne Not haben sie denen dann noch ein Teppichmesser durchs Gesicht gezogen. Die Täter konnten wir ermitteln, es waren Jugendliche, die vor Gericht zu hohen Strafen verurteilt wurden.

Haben sich Taten und Beute, Täter und ihre Motive in den vergangenen Jahren verändert?

In der heutigen Zeit muss man immer damit rechnen, dass ein Täter bewaffnet ist. Messer gab es zwar auch schon, als ich 2012 beim Raub angefangen habe, aber sie spielten nicht die gravierende Rolle wie heute. Was die Beute betrifft, sind Handys und Bargeld nach wie vor am begehrtesten. Je nach Tätergruppierung auch Uhren. Viele Täter sind drogenabhängig, sie stehen unter hohem Druck, es geht ihnen ums schnelle Geld. Wenn sie für 300 oder 500 Euro Beute mit einem Messer in einen Kiosk rennen, machen sie sich keine Gedanken darüber, dass sie – juristisch betrachtet – fünf Jahre Haft vor der Brust haben.

23.03.2022, Nordrhein-Westfalen, Köln: RECROP - Der Angeklagte Thomas Drach (M) kommt mit dem Hubschrauber auf dem Gelände des Justizzentrums Köln an. Er wurde unter höchsten Sicherheitsvorkehrungen aus der JVA Ossendorf zu seiner Verhandlung im Kölner Landgericht geflogen. Foto: Thomas Banneyer/dpa +++ dpa-Bildfunk +++

Schwer bewaffnete Polizisten begleiten Thomas Drach im März 2022 aus der JVA Ossendorf zu seiner Verhandlung im Kölner Landgericht.

Wie läuft so eine Ermittlung dann ab? Wie gehen Sie vor?

Inzwischen konzentriert sich alles stark auf Daten, vor allem auf Videomaterial. Man sieht auf Videobildern nicht nur die Tat selbst, sondern auch oft auch die so genannte Vortatphase und die Flucht. Beute wird abgelegt, Waffen werden abgelegt. Die Videoauswertung ist das A und O der polizeilichen Ermittlung geworden. Im Vergleich zu anderen Bereichen bei der Kripo ist unsere Arbeit aber auch sehr davon geprägt, dass wir auf der Straße unterwegs sind. Beim Handtaschenraub gehört es zum Einmaleins, dass man die Umgebung des Tatorts nach der Tasche absucht, denn die ist ein guter Spurenträger, es geht ja um die DNA des Täters. Wir müssen einfach kreativ sein bei unseren Ermittlungen. Ich sehe den Kriminalbeamten als einen Künstler.

Ich sehe den Kriminalbeamten als einen Künstler
Wolfgang Burger, Leiter des Raubkommissariats der Polizei Köln

Das müssen Sie erklären.

Bei großen Fällen gibt es eine Ermittlungsgruppe mit mehreren Mitarbeitern. Da findet immer ein reger Austausch statt, weil immer wieder Kreativität gefragt ist – also ein ständiger Ideenfindungsprozess.

Können Sie ein Beispiel nennen?

Nehmen Sie die Ermittlungsgruppe Airport (Thomas Drach und ein Komplize sollen 2018 und 2019 drei Geldtransporter bei Ikea in Köln-Godorf, am Flughafen Köln-Bonn und in Frankfurt überfallen haben, das Gerichtsurteil zu 15 Jahren Haft und Sicherungsverwahrung gegen Drach ist noch nicht rechtskräftig, A. d. Red.). Wir haben bei den Ermittlungen versucht, in die Köpfe der Täter zu schauen, uns zu überlegen: Wie haben sie gedacht? Wie haben sie sich vorbereitet? Der Tatort am Flughafen lag direkt an einem Parkplatz. Wir waren überzeugt, dass die Täter vorher schon mal zum Ausbaldowern dagewesen sein müssen.

Was haben Sie gemacht?

Wir haben rekonstruiert, welche Fahrzeuge in den Wochen vor der Tat auf diesem Parkplatz waren. Tausende von Daten. Aber wir haben letztlich eine wichtige Spur rekrutiert: Etwa 14 Tage vor dem Überfall waren sie mit einem Auto am Tatort, das man ihnen zuordnen konnte. Oder ein anderes Beispiel: Dank privatem Videomaterial aus der Bevölkerung wussten wir irgendwann, dass sie gegen 7.20 Uhr einen zweiten Fluchtwagen in einer Sackgasse in Eil geparkt hatten, unweit des Flughafens. Die Tat war um 9.13 Uhr. Als Kriminalist überlegt man: Was haben die in diesen zwei Stunden gemacht? Die Vermutung liegt nahe, dass sie irgendwo Kaffee trinken gegangen sind. Wir haben versucht, Videomaterial zu sichern in umliegenden Cafés und Supermärkten mit Cafés. Aber wir hatten das Videomaterial aus der Sackgasse leider erst erhalten, als sämtliche Daten schon überschrieben waren. Nach einer möglichen weiteren Tat hätten wir das früher veranlasst, denn wir gingen davon aus, dass ihr Modus Operandi immer derselbe war.

Gibt es einen Cold Case, den Sie unbedingt vor Ihrer Pensionierung noch klären möchten?

Ja, zwei. Zum einen den Überfall auf den Feinkostladen Mare Atlantico am Tag vor Heiligabend 2021. Eine sehr brutale Tat mit vielen Menschen im Geschäft, die Angst hatten. Denen möchtest du als Polizei natürlich Antworten liefern. Zum anderen eine Serie von sechs Überfällen auf Banken und Poststellen, die erste Tat war 2002 in Kerpen, die letzten Taten 2014 in Deutz und Bickendorf. Es waren ungewöhnliche Überfälle, der Täter hat sich immer viel Zeit gelassen, hat viele Menschen geängstigt. In Bickendorf, wo er auch eine Geisel genommen hatte, konnten wir ihn fast stellen, es war haarscharf. Wir haben Bildmaterial von ihm, seine DNA, waren mit dem Fall bei „Aktenzeichen XY“ – wir haben alles getan, aber die Serie ist ungeklärt. Ich werte bis heute immer noch jeden einzelnen atypischen Banküberfall aus und frage mich, ob das unser Täter gewesen sein könnte. Ich möchte wissen: Was ist das für ein Mensch? Wie lebt er? Was hat er mit dem Geld gemacht? Warum hat er diese Taten begangen? Aber ehrlich gesagt glaube ich, er ist tot und hat sein Geheimnis mit ins Grab genommen.

Was wünschen Sie Ihrem Nachfolger?

Ich persönlich wünsche mir für ihn, dass es gelingt, eine zentrale Bearbeitungszuständigkeit bei der Staatsanwaltschaft für Raubdelikte zu installieren wie zum Beispiel auch bei Betäubungsdelikten oder Sexualdelikten, das heißt: immer dieselben Ansprechpartner, kurze Wege, enge Absprachen. Große Ermittlungserfolge gab es nur, weil wir gute Staatsanwälte gefunden haben. Sonst funktioniert das nicht. Ein Staatsanwalt, der gleichzeitig noch tausend andere Dinge auf dem Schreibtisch hat, kommt bei größeren Verfahren schnell an Grenzen. Aber ich formuliere diesen Wunsch schon seit Jahren. Ich fürchte, das bleibt ein immerwährender Kampf.