Geboren 1924 in der Kölner Südstadt, hat sie ein Deutschland ohne Demokratie erlebt – ein Grund, sich noch immer für sie einzusetzen.
„Unserer Demokratie geht es schlecht“Lydia Mörs-Plattes hilft mit über 100 Jahren noch an der Wahlurne

Wahlhelferin Lydia Mörs-Plattes hilft im Wahllokal in der Johannes-Guttenberg-Schule Godorf bei den Kommunalwahlen 2025.
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Lydia Mörs-Plattes ist mit ihren 100 Jahren die älteste Wahlhelferin in Köln. Schon seit 7.30 Uhr sitzt die kleine Frau an einem Schultisch der Johannes-Gutenberg-Realschule in Godorf. Sie hat sich auf einen langen Wahltag vorbereitet: An ihrem Holzstuhl lehnt ein geflochtener Weidenkorb mit geschmierten Broten und an der Garderobe dahinter hängt ihre rosafarbene Strickjacke.
„Den weißen Stimmzettel in diese Urne einwerfen, den grünen hier, den roten dort“, erklärt Lydia Mörs-Plattes einem jungen Wähler. Mit unverändert energischer Stimme und schlagfertigen Kommentaren sorgt sie dafür, dass die Wahlzettel in den richtigen Urnen landen. Mörs-Plattes weiß, wie die Dinge hier ablaufen – es ist immerhin schon ihr sechster Einsatz als Wahlhelferin. Bei der Bundestagswahl 2025 überreichte Oberbürgermeisterin Reker ihr als Anerkennung dafür sogar einen Karnevalsorden.
Als Jugendliche erlebte sie noch ein Deutschland ohne Demokratie
„Eigentlich wollte ich dieses Mal nicht mehr helfen“, sagt sie. „Aber unserer Demokratie geht es schlecht.“ Sie schaut nachdenklich auf den Gehstock, der vor ihr am Tisch lehnt. Als Jugendliche erlebte Mörs-Plattes noch ein anderes Deutschland, eines ohne Demokratie. Als der Zweite Weltkrieg endete, war sie 20 Jahre alt. „Ich hätte nicht gedacht, dass die Menschen nach diesem Krieg noch einmal so wenig von der Demokratie halten würden“, sagt sie. Als Wahlhelferin wolle sie ihren Teil beitragen. Abgesehen davon mache ihr die Arbeit aber auch einfach Spaß.
Mörs-Plattes wurde 1924 in der Südstadt geboren und kennt Köln schon seit einem Jahrhundert. Als gelernte Expedientin arbeitete sie am Güterbahnhof Gereon, dort, wo heute der Mediapark liegt. Sie organisierte die Verladung der Waren, die damals noch mit Pferdekutschen zu den Kunden in die ganze Stadt transportiert wurden. Sie lacht bei der Erinnerung daran. Vieles habe sich seitdem verändert.
Wahrscheinlich ihr letzter Tag als Wahlhelferin
Früh begann sie, sich auch für Politik zu interessieren. „Alles ist Politik“, sagt sie. „Sogar, ob wir Essen und Trinken haben.“ In den 1970er- und 1980er-Jahren engagierte sie sich in der Friedensbewegung. Sie sei bei jeder großen Demo dabei gewesen, sagt sie – so auch bei der Friedensdemonstration im Bonner Hofgarten 1981 gegen Aufrüstung und Atomwaffen. Im Alten Wartesaal am Hauptbahnhof versorgte sie zudem Obdachlose mit Weihnachtsessen und beriet Suchtgefährdete am Telefon.
An diesem Sonntag hilft sie stattdessen an der Wahlurne. An der Tür des Klassenzimmers bildet sich eine Menschenschlange, der Wahlraum ist kurz vor der Mittagszeit gut besucht. Mörs-Plattes lässt sich nicht ablenken und gibt den Wählenden freundliche, aber bestimmte Anweisungen. „Wahl geschafft“, ein Mann wirft seine Stimmzettel in die Urnen. „Für jetzt“, sagt Mörs-Plattes. Die nächsten Wahlen werden kommen. „Aber ich glaube, für mich ist das heute mein letzter Tag als Wahlhelferin.“