„Die Wiedergutmacher“-SerieKölner Sattlerin Ina May repariert alte Ledertaschen

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Spezialistin für Taschenreparatur: Ina May in ihrer Lederwerkstatt

Köln – Ein Blick auf den Arbeitstisch der Werkstatt ist wie eine kleine Reise durch die Zeit: Hier eine Bügeltasche aus Reptilienleder, wie man sie heute kaum noch sieht; daneben die schon ziemlich brüchig aussehende Shopping-Variante eines französischen Luxuslabels. Weiter vorn eine ausgefranste Fahrradtasche und an der Tischkante das typische Nachkriegsmodell einer hellbraunen Aktentasche mit brüchigem Griff, aufgesprungenen Nähten und abgewetzten Kanten. „Leider auch kaum gepflegt“, bemerkt Ina May, nachdem sie das Metallschloss hat aufschnappen lassen und den Innenzustand des alten Schätzchens begutachtet hat. Der heutige Besitzer, ein Zahnarzt, möchte es unbedingt erhalten. 

Behältnisse, die dem Laien wie ein hoffnungsloser Fall erscheinen, stellen für die Sattlermeisterin oft eine besondere Herausforderung dar; jedoch keine, die sie scheut. Das liegt daran, dass Sie ihre Ausbildung vor vierzig Jahren bei einem Reitsport-Sattler absolviert hat – im kleinen Örtchen Amelsen, knapp hundert Kilometer von ihrer Geburtsstadt Hannover entfernt. Damals, sagt die 57-Jährige, wurden dem Berufsnachwuchs noch Dinge beigebracht, die heute kaum mehr jemand wirklich beherrsche. Sie nimmt eine spitze Lederahle zur Hand. „Damit richtig nähen ist Knochenarbeit.“

Markentaschen bürgen nicht mehr für Qualität

Als May sich vor gut acht Jahren unweit des Weißhaus-Kinos niederließ, war sie sich „noch relativ unsicher“, ob ihr Know-How dort überhaupt gefragt sein würde. Heute kann sie sich für ihre Sattlerei und Täschnerei keinen besseren Standort vorstellen. Sie empfindet es als Glück, dass ihre Kundschaft vielfach aus Menschen besteht, „die noch die gute alte Zeit im Kopf“ haben. Oft seien es Selbstständige, die sich nur schwer damit arrangieren könnten, dass so viele Fachgeschäfte aus Köln verschwunden beziehungsweise von Billigshops verdrängt worden seien und auch an anderen Stelle nicht wiederkämen. Ihre Hoffnung, „allein durch meine Hände Arbeit Erfolg zu haben“, wurde bei weitem übertroffen, sagt sie.

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Hochwertige Taschen werden bei Ina May abgegeben.

Zu Mays Kundschaft gehören auch immer mehr jüngere Leute. „Die sind nicht mit allem einverstanden. Mein Metier ist nun mal Leder.“ Nun gibt es jedoch mindestens zwei Motive, am Material festzuhalten: Entweder aus Gründen der Nachhaltigkeit oder weil man irgendwann so viel Geld für eine Tasche bezahlt hat, dass Wegwerfen indiskutabel wäre. Denn eines ist sicher: Solange es Menschen gibt, die ein Statussymbol zum Umhängen brauchen, werden Handwerker wie Ina May benötigt.

Großkonzerne benutzen Nähautomaten

„Unter den Herstellern gibt es nur noch ganz wenige, die sich eine Serviceabteilung leisten, die Reparaturen einschließt.“ Das wäre weniger tragisch, wenn die Beschaffenheit nicht so nachgelassen hätte. „Bedauerlicherweise glauben viele Leute noch immer, dass sie bei bestimmten Markentaschen hundertprozentig Qualität erwerben“. Dabei arbeiteten die Großkonzerne nicht nur in der Schuhindustrie zunehmend mit Nähautomaten, für die keine menschlichen Kräfte mehr benötigt würden. „Ich kenne inzwischen etliche Taschenbesitzerinnen, die sagen: ‚Nie wieder Nobelmarke!‘“

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May greift auf ihren Arbeitstisch zu einem braunen Exemplar mit den charakteristischen ineinander gestellten Doppelbuchstaben. Seitdem eine ihrer unter meinen Kundinnen gepostet hat, dass May in der Lage ist, im Rahmen einer ziemlich komplizierten Operation per Hand Ringkappen anzubringen, um die Henkeltasche auf hippe Umhängetasche umzurüsten, bekomme sie einen Auftrag nach dem anderen.

Oft fehlt die Zeit für eigene Kreationen

Auch jetzt, in der Corona-Zeit kann sie sich nicht über ausbleibende Arbeit beklagen. Ein bisschen bedauert die 57-Jährige jedoch, dass angesichts all der Reparaturen so wenig Zeit für eigene Kreationen bleibt. Die vielen Häute in allen erdenklichen Farben, die man in ihrem Lederlager sehen kann, schreien nach Selbstverwirklichung. In Zeiten von Robotern und computergesteuerten Hightech-Anlagen wirkt das Herzstück der Werkstatt, die mindestens 70 Jahre alte Sattler-Nähmaschine wie ein Relikt aus der Vergangenheit. „Ohne die könnte ich gar nicht“, stellt May lachend fest. Und irgendwie ist dieser gusseiserne Koloss dann doch wieder sehr passend für ein Material wie Leder: „Bei guter Pflege verzeiht es ganz viel und macht viel mit. Und dann ist eine Tasche ein Begleiter für ein komplettes Leben.“

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