„Die Wiedergutmacher“-SerieDer 73-Jährige Rolf Teichmann ist Kölns „Pullidoc“

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Rolf Teichmann mit einer gefalteten Stoffrolle, die nun gedampft wird. Deutschlandweit ist er der Einzige, der das Handwerk noch ausübt.

Köln – Anders als die meisten Menschen hat Rolf Teichmann keine Abneigung gegen Motten. Er kennt ihren exzellenten Geschmack und weiß, dass sie Kaschmir besonders goutieren. „In Synthetik geht keine rein“, weiß der 73-Jährige, greift neben sich in einen Wäschekorb und zieht einen grauen Pullover heraus. Einen von vielen Hundert oder sogar Tausend, die im Laufe von knapp vier Jahrzehnten zur Ausbesserung bei „Plissee Becker“ abgegeben wurden. Es werde ja kaum noch gestopft, stellt der Experte fest. Wenn Mütter in sein Geschäft kämen, um ein Kleidungsstück der Tochter abzuholen, falle häufig der Satz: „Die kann das ja nicht. Das lernt man doch nicht mehr!“

Teichmann kennt seine Kunden - und die besten Flicktechniken

Das Ergebnis vom Kunststopfen, wie es das 1951 gegründete Unternehmen auf der Benesisstraße anbietet, „ist immer vom Material abhängig, mit dem Sie es zu tun haben“, erklärt Teichmann, erhebt sich von seinem Bürostuhl und verschwindet in einem der verschachtelten Räumlichkeiten.

Beim Zurückkommen hat er einen Kleiderbügel in der Hand, an dem ein dunkles Sakko hängt.

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Schneiderin Lisa Kretschmer arbeitet an einem Pullover, in dem sich ein Loch befand. Diese Arbeit nennt man Kunststopfen.

„Der hat Geld, der steigt im Excelsior Ernst ab“, sagt der gelernte Bankkaufmann über den Jacket-Träger und zeigt auf ein briefmarkengroßes, kaum sichtbares Rechteck im seidig glänzenden Stoff. Der Kunde sei wohl in Eile irgendwo mit dem Ärmel hängengeblieben. In dem Fall werde nicht gestopft, sondern irgendwo an versteckter Stelle ein winziges Stück Stoff entnommen. Eine Einwebarbeit nennt der Fachmann diese Form der Reparatur.

Der „Pullidoc" ist nicht nur in Köln gefragt

Bei einem Loch im Pulli begibt man sich ebenfalls an versteckten Stellen auf die Suche nach einem Faden, den man zum Stopfen verwenden könnte. Meistens wird Teichmann in der Seitennaht fündig. Heikel kann es werden, wenn der Pulli in einem Stück gestrickt wurde und demzufolge gar keine Seitennaht aufweist. Dann könnte man beispielsweise an der Innenseite eines Kragenbündchens nach einem Stopffaden forschen.

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Rolf Teichmann mit Schneiderin Lisa Kretschmer. Sie plissieren, also falten einen Stoff. 

Plissee Becker macht rund die Hälfte seines Umsatzes mit Reparaturen. Tendenz steigend. Seitdem Teichmann sich online als „Pullidoc“ anbietet, werden ihm nicht nur aus Deutschland Kleidungsstücke zugeschickt. Das betrifft allerdings auch die einstige Kernkompentenz des Geschäfts: das Plissieren.

Über die „Die Wiedergutmacher“-Serie

Immer mehr Menschen möchten kaputte Dinge nicht einfach wegwerfen und durch neue ersetzen, sondern suchen nach Fachleuten, die sie reparieren können. In unserer Serie „Die Wiedergutmacher" stellen wir die Interessantesten aus Köln vor. 

Das berühmte Sonnen-Plissee

Plissee ist ein Begriff, der von vielen als Synonym für kleine Falten verstanden wird. Dabei geht es mehr um das Verfahren; nämlich einem Stoff mittels einer Schablone sowie Hitze und Druck eine haltbare Struktur beizubringen. Im hintersten Raum des Ladenlokals kann man einen Blick auf teilweise über 20 Jahre Schablonenrollen werfen – unzählige Meter von in Falten gelegter Pappe. Dabei natürlich auch die Vorlage für das berühmteste aller Plissees, das „Sonnen-Plissee“, das durch ein weißes Neckholder-Kleid Berühmtheit erlangte.

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Die Materialien der Schneider. 

Seitdem Marilyn Monroe 1954 in dem Film „Das verflixte siebte Jahr“ den vom Luftstrom aufgewirbelten Faltenwurf zu bändigen versucht, erlebt Teichmann alle 15 bis 20 Jahre eine Renaissance der Plissee-Röcke. Glücklicherweise ist die Mariechen-Mode im Kölner Karneval dauerhafter, deswegen wird Teichmann wohl nie auftragslos. Denn weitermachen möchte er schon noch ein paar Jahre. 

Das Thema Nachhaltigkeit zieht immer weitere Kreise

Wäre nicht diese Pandemie dazwischen gekommen, „hätten wir jetzt einen richtigen Boom“, betont der Mann, der das Geschäft 1984 von seiner Mutter übernommen hatte. Das Thema Nachhaltigkeit ziehe immer weitere Kreise. Ein anderer Faktor, der ihm zuspielt, ist der Umstand, dass es viele gute alte Dinge nicht mehr – oder nur noch für viel Geld gibt. Das sechs Meter lange Tafeltuch, in das ein Gast mit seiner Zigarette ein Loch gebrannt hat, werde heute nicht mehr weggeworfen. „Ein Stück abscheiden geht auch nicht, schließlich wollten Weihnachten wieder alle am großen Tisch zusammensitzen." Also lässt man kunststopfen; denn das funktioniert nicht nur bei Sakkos und Pullis.

www.plisseebecker.de

Plissee Becker, Benesisstraße 40, Innenstadt. Telefon: 0221-2580946 Notdienst-Öffnungszeiten: montags bis freitags von 10-15 Uhr.

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