Dem Tod so nah26-jährige Kölnerin bereitet Verstorbenen einen Abschied in Würde

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Gina Ebner

Bestatterin Gina Ebner.

Köln – Bedacht streicht Gina Ebner den Anzug von Herrn Wagner glatt und richtet die Krawatte. Behutsam ergreift sie seine alten Hände und faltet sie auf seiner Brust, verharrt einen winzigen Moment auf ihnen, ehe sie die Decke glatt zieht. Gleich kommen die Angehörigen des Toten, um sich von dem 90-jährigen Vater und Opa zu verabschieden.

„Ich mag die ruhige Atmosphäre, wenn ich den Verstorbenen herrichte“, meint die 26-Jährige. Wenn man die junge Bestatterin bei ihrer Arbeit im Kölner Bestattungshaus Müschenborn beobachtet, fällt einem der Begriff „Würde“ ein.

Sie spricht mit den Toten

Der Tote bleibt ein Mensch, das ist Ebner schon von Beginn ihrer Ausbildung an wichtig gewesen. „Wenn ich den Verstorbenen wasche, Haare shamponiere, föhne, eincreme und anziehe, dann spreche ich mit ihm und sage ihm, was ich als nächstes tue. Ob er mich hört? Ausschließen kann ich es nicht, denn ich war ja noch nicht tot“, meint sie lachend.

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Dass die zierliche, lebensfrohe junge Frau einmal wie sie es formuliert den „Tod als Arbeitgeber“ wählen würde, das habe sich einfach so ergeben. Als sie in der Oberstufe keine Ahnung hatte, wo es hingehen könnte, ist sie mit ihrem Vater die Liste der Ausbildungsberufe durchgegangen und „intuitiv“ bei der Bestattungsfachkraft hängen geblieben. „Wobei in der Familie einige meinten, ich habe da schon als Kind von gesprochen.“

Als damals ihr Opa starb, wurde er im heimischen Wohnzimmer auf der Couch aufgebahrt, erinnert sie sich. Während die Verwandtschaft im Wohnzimmer Kaffee trank, hockte die Elfjährige neugierig neben dem Opa und schaute sich den Toten genau an. Warum der Opa sich so kalt anfühlt, warum er lila Flecken im Gesicht hat, all das wollte sie wissen.

Eventplaner für Beerdigungen

Aus der anfänglichen Neugier auf den Tod als unbekanntes Land wurde im Tun der damals 20-Jährigen die Gewissheit, das Richtige gefunden zu haben. Besonders die Vielfalt des Berufs hat es ihr angetan: „Wir sind Eventplaner für Trauerfeiern, wenn etwa der Opa sich zum Abschied ein fröhliches Gartenfest mit seinem Sarg unter seinem heimischen Lieblingsbaum wünscht. Wir kümmern uns um Formalitäten, müssen sehr viel Einfühlungsvermögen mitbringen im Umgang mit den Angehörigen und sehr gut zuhören können.“

Es ist ein handfester und sozialer Beruf gleichzeitig. „Ich liebe die Geschichten über die Menschen, die da vor mir liegen. Wenn die Angehörigen erzählen, was der Verstorbene für ein Mensch war, was er mochte und was ihn ausgemacht hat, dann wird er vor mir lebendig.“ Man spüre in der Zusammenarbeit mit den Angehörigen meist sehr viel Liebe zu den Verstorbenen. Auch das sei eine schöne Seite des Berufs.

Frauen bewerben sich häufiger

Den Ausbildungsberuf der Bestattungsfachkraft gibt es erst seit 2005. Seither sei der Andrang der jungen Leute immer größer geworden, erzählt Ebners Chef, der Kölner Bestatter Brian Müschenborn. Anders als etwa Handwerksberufen wie Bäcker oder Metzger könne er sich seine Azubis wirklich aussuchen. 40 bis 50 Bewerbungen auf eine Lehrstelle bekomme er. Es gebe eine Art Faszination am Tod. „Dabei sind wir Frauen sogar inzwischen in der Überzahl“, vermerkt Ebner nicht ohne Stolz.

Trotz des Tabus, das der Tod konkret im Alltag ist, sind die meisten Menschen abstrakt sehr an dem Thema interessiert. Das merkt Gina, wenn sie etwa auf Partys auf Nachfrage ihren Beruf nennt und dann als Expertin für den Tod ausgequetscht wird: Da seien so viele Märchen in den Köpfen unterwegs, vom Leichengift bis zum Beinebrechen wegen der Totenstarre. Alles Quatsch. „Ich finde gut, wenn ich pro Party ein paar Mythen abräumen kann.“

Den Umgang mit Verstorbenen üben

Jeder angehende Azubi muss bei Brian Müschenborn erst einmal ein Praktikum machen, um herauszufinden, ob der Arbeitgeber Tod wirklich der richtige ist: So viel Sterben muss man auf Dauer ertragen können. „Denn der Tod ist nicht immer schön“, sagt Müschenborn. Es ist eben nicht nur der 90-jährige Senior, der sanft entschläft. Gina Ebner erinnert sich noch sehr gut an das erste Kind, das sie bestattet hat: eine Vierjährige, die an Krebs gestorben war. „Da habe ich die Spieluhr der Kleinen immer wieder aufgezogen, als ich sie zurecht gemacht habe. Bei Kindern gebe ich mir immer besonders viel Mühe. Da gehst du auch nach Hause und bist einfach einen Tag lang traurig.“

Manchmal sei das Sterben auch ein Kampf und manche Tote sind gezeichnet, wenn sie oft noch übersät von Schläuchen aus dem Krankenhaus hierher gebracht werden, oder übel zugerichtet sind durch einen Unfall, sagt Müschenborn. „Da muss man mit umgehen lernen und die richtige Balance finden. Aus Distanz, um die Arbeit überhaupt zu schaffen, und gleichzeitig Zugewandtheit, um den Menschen in seiner Würde zu bewahren und ihn auch wieder in einen würdigen Zustand zu bringen. Und dann gibt es die inneren Widerstände, die es bei jedem Toten zu überwinden gilt: Denn zum Fertigmachen des Leichnams gehören auch Tätigkeiten wie das Verschließen aller Körperöffnungen mit Tamponade, um ein Austreten von Flüssigkeiten zu vermeiden. „Natürlich kostet das Überwindung. Immer wieder. Aber die Hürden werden kleiner. Es ist wie in der Altenpflege: Das kann man einfach, oder man kann es nicht,“ so Ebner.

Wichtig ist Gina Ebner, dass die Verstorbenen möglichst gut für einen Abschied von ihren Lieben vorbereitet werden, weil der in ihren Augen für die Trauerarbeit so wichtig ist. „Ich versuche auch unsichere Angehörige, davon zu überzeugen, diese Chance zu nutzen, ihren Lieben noch ein letztes Mal zu sehen. Wer den Tod nicht begreifen konnte, hat später Schwierigkeiten ihn zu verstehen.“ Besonders das Weghalten der Kinder von den Verstorbenen findet die Mutter eines siebenjährigen Sohnes schlimm. „Weil man ihnen etwas nimmt. Wenn der Opa zum Beispiel immer dick, fröhlich und laut gewesen ist, kann das Kind auf der Beerdigung nicht verstehen, dass der jetzt in der Urne sein soll.“ Wer dagegen einen Toten sehe und anfasse, der begreife sofort, dass da keiner schläft.

Von 100 Menschen sterben 100. Daher sollte man sich schon zu Lebzeiten damit beschäftigen, wie man das für sich nach dem Tod halten will, meint Ebner. „Ich habe alles schon geplant, sogar den Sarg ausgesucht. Ein heller Bambussarg. Mein bester Freund ist Musiker, der wird – sollte er mich überleben – singen. Für sie kommt nur eine Erdbestattung in Frage. In einem Ofen verbrannt zu werden, um dann als ein Häuflein Asche in eine Plastikkapsel gefüllt zu werden, sei ihre Sache nicht. „Da geht für mich jeder Bezug zu dem ursprünglichen Menschen verloren.“ Zumal das mit den Würmern, die einen ja dann angeblich zerfressen, auch so ein Mythos sei: „So tief kommen die im Grab gar nicht.“

Die junge Frau, die nebenher noch in einer Disco kellnert, und es durchaus auch mal schrill und laut mag, liebt die ruhige Atmosphäre auf Friedhöfen, besonders auf ihrem Lieblingsfriedhof Melaten. „Das hat so etwas Entschleunigendes dort einfach spazieren zu gehen, ganz ohne Jogger.“ Friedhöfe mit ihren uralten Gräbern vermitteln das Gefühl, Teil eines größeren Zusammenhangs zu sein: Vor mir waren Menschen hier, nach mir werden Menschen hier sein. Lebt man intensiver, wenn man dem Tod täglich begegnet? „Intensiver würde ich nicht unbedingt sagen. Aber der Tod vermittelt mir eine Haltung zum Leben. Ich versuche mit dem zufrieden zu sein, was ich bin und habe. Und was immer ich tue: Ich entscheide es nach dem Kriterium, ob ich damit gut leben kann, wenn ich morgen sterben würde.“

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