Kampf gegen ZwangselterntaxiEltern müssen Inklusionskinder bis zu 40 Kilometer zur Schule fahren

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Eltern von Inklusionskindern demonstrieren vor dem Rathaus gegen das „Zwangselterntaxi“

Eltern von Inklusionskindern demonstrieren vor dem Rathaus gegen das „Zwangselterntaxi“. Unter ihnen ist auch Isabell Paustian (2.v.r.).

Für Inklusionskinder an Regelschulen wird die Beförderung in Köln viel öfter abgelehnt als für Förderschüler.

Isabell Paustian muss ihren elfjährigen Sohn mit Down-Syndrom seit dem Ende der Sommerferien jeden Tag 40 Kilometer durch die Stadt fahren. Zwei Stunden Fahrzeit am Tag fürs Bringen und Holen. Der Junge hat einen Inklusionsplatz an der Max-Ernst-Gesamtschule in Bocklemünd bekommen. Den Weg kann er aufgrund seiner Beeinträchtigung nicht allein zurücklegen.

Die von den Eltern beantragte Beförderung zur Schule hat die Stadt abgelehnt. Mit Down-Syndrom sei der Junge in der Lage, den Schulweg per ÖPNV allein zurückzulegen. Nach Berechnungen der Stadt im Ablehnungsschreiben sind das eine Stunde und 40 Minuten täglich. Das Gesundheitsamt hatte nach Angaben der Mutter dagegen schriftlich bescheinigt, dass der Elfjährige dazu nicht in der Lage ist.

Wie viele andere Eltern von Inklusionskindern, die ihr Kind in einer Regelschule im Gemeinsamen Lernen anmelden, muss Paustian nun ihre Berufstätigkeit deutlich reduzieren, um ihrem Sohn diese Teilhabe zu ermöglichen. Das Problem ist, dass es auf Gesamtschulen nur eine begrenzte Anzahl an Plätzen für Inklusionskinder gibt und die zugewiesene Schule oft so weit entfernt ist, dass das Kind diesen Weg aufgrund der Beeinträchtigung nicht selbstständig zurücklegen kann.

Kölner Schulausschuss will Erklärungen 

„Wenn Eltern ihr Kind dagegen auf der Förderschule anmelden, wird der Transport unserer Erfahrung nach problemlos bewilligt“, sagt Uta Berger, Sprecherin der Initiative „Zwangselterntaxi“, in der sich betroffene Eltern zusammengetan haben, um Druck auf die Politik aufzubauen, die ungleiche Praxis zu ändern. Mit Plakaten standen sie vor dem Schulausschuss, wo ihr Anliegen auf der Tagesordnung stand.

Mit dabei auch Familie Özemir-Balyk. Die Beförderung für ihren Sohn wurde mit der Begründung abgelehnt, der Zehnjährige mit Autismus und Down-Syndrom könne ja eine Stunde vor der Schule auf den Vater warten, wenn der nicht pünktlich abholen könne.

Es gibt keine Unterschiede zwischen Schülern im Gemeinsamen Lernen und denen an Förderschulen
Robert Voigtsberger, Schuldezernent

Grüne, CDU und Volt hatten die Verwaltung in einem Antrag aufgefordert, Zahlen vorzulegen und darzulegen, ob es wirklich so ist, dass bei Förderschulkindern der Transport bevorzugt bewilligt wird. „Es gibt keine Unterschiede zwischen Schülern im Gemeinsamen Lernen und denen an Förderschulen“, konstatierte dagegen Schuldezernent Robert Voigtsberger im Schulausschuss. Bei allen Anträgen würden wie vorgesehen die Regelungen der Schülerfahrtkostenverordnung des Landes NRW angewendet. Das Schulministerium habe bestätigt, dass diese Schülerfahrtkostenverordnung die Belange der Schüler mit Handicap angemessen berücksichtige.

Mehr als 60 Prozent der Anträge werden abgelehnt

Die Zahlen, die die Verwaltung vorlegte, belegten bei Förderschülern für das vergangene Schuljahr bei 1312 Anträgen 83 Ablehnungen für Beförderung. Bei Schülerinnen und Schülerinnen des Gemeinsamen Lernens wurden von 166 Anträgen 52 abgelehnt. Bei den Anträgen der Gruppe der Kinder mit Förderschwerpunkt geistige und körperliche Entwicklung wurden an den Förderschulen von 678 Anträgen der Eltern lediglich zwei nicht genehmigt. Bei den Kindern im Gemeinsamen Lernen waren es bei 37 Anträgen 17 Ablehnungen und sechs nur teilweise Genehmigungen.

Für die Initiative sind die gelieferten Zahlen der eindeutige Beleg für die angeprangerte Ungleichbehandlung. Betrachte man allein den Förderschwerpunkt geistige und körperliche Entwicklung – also die Gruppe der Inklusionskinder, die anders als etwa Kinder mit sozial-emotionaler Beeinträchtigung nicht allein den Schulweg meistern kann – sei der Unterschied eklatant, analysiert Berger. „Bei diesem Förderschwerpunkt werden bei Anmeldung an Regelschulen über 60 Prozent der Anträge abgelehnt. Bei den Förderschulen sind es unter einem Prozent.“

Viele Eltern können den Transport nicht leisten und melden ihr Kind dann doch in der Förderschule an
Ute Berger, Initiative „Zwangselterntaxi“ und betroffene Mutter

Durch diese Praxis könnten in Köln viele Schüler mit Behinderung nur dann eine inklusive Regelschule besuchen, wenn ihre Eltern sich leisten können, die Arbeitszeit zu reduzieren, um den Fahrdienst zu übernehmen. Und das über zehn Jahre hinweg. „Viele Eltern können das nicht und melden ihre Kinder dann doch in Förderschulen an“, so Berger, die auch in dem Inklusionsverein „mittendrin e.V.“ engagiert ist. In den Förderschulen werde der Fahrdienst dann genehmigt und von der Stadt finanziert.

Schulpolitische Sprecher kritisieren Praxis der Stadt

„Wir möchten wissen, wie der Unterschied bei den Ablehnungen zu erklären ist“, forderte Bärbel Hölzing, schulpolitische Sprecherin der Grünen. Und auch, warum in Bonn die Bewilligung viel großzügiger erfolge – auf Grundlage derselben Fahrkostenverordnung. Inklusion dürfe nicht daran scheitern, dass Eltern das Kind nicht zur Schule bringen könnten, ergänzte Constanze Aengenvoort, schulpolitische Sprecherin der CDU.

Hier müssten Ermessensspielräume ausgelotet werden. „Es muss die Frage beantwortet werden, warum nicht alle gleichbehandelt werden. Und zwar zügig“, fasste Ausschussvorsitzender Helge Schlieben (CDU) die Lage zusammen. Die Verwaltung bot nun ein Fachgespräch an, um mit allen Beteiligten nach Lösungen zu suchen.

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