Trotz weiter Schulwege, die behinderte Kinder nicht alleine zurücklegen können, wird der Transport zur weiterführenden Regelschule in Köln meist nicht bewilligt.
Eltern als jahrelanges TaxiSpießrutenlauf bei Stadt Köln – Familien mit Inklusionskindern werden benachteiligt
In Köln müssen ab dem Sommer wegen des Schulplatzmangels erstmals sogar Grundschulkinder weite Wege zurücklegen. Ohne Elterntaxi werden es viele Erstklässler zumindest am Anfang nicht zur Schule schaffen. Das sei schlimm, sagt Eva-Maria Thoms, Vorsitzende von mittendrin e.V. Gleichzeitig ist es für den Verein, der sich in Köln für Familien von Kindern mit Beeinträchtigungen einsetzt, wichtig, dass bei der Debatte endlich eine Gruppe in den Fokus rückt, der das „Zwangselterntaxi“ seit Jahren über die gesamte Schulzeit zugemutet wird und die nicht die Kraft hat, laut zu werden: Eltern von Inklusionskindern, die in Köln auf eine Regelschule gehen.
Wegen sehr begrenzter Inklusionsplätze an den Gesamtschulen wird den Kindern oft eine Schule zugewiesen, die mit einem weiten Schulweg verbunden ist. Die geistig oder körperlich beeinträchtigten Kinder haben aber – anders als ihre Altersgenossen - keine Chance, den Weg zur Schule mit wachsender Selbstständigkeit selbst zu bewältigen.
Stadt Köln lehnt Anträge auf Beförderung in der Regel ab
Das Problem: Der Antrag auf Beförderung der Inklusionskinder wird nach Angaben von "mittendrin" von der Stadt Köln – anders als in Nachbarstädten wie Bonn oder Ahrweiler – in den meisten Fällen nicht bewilligt. Ganz anders, wenn Eltern ihr Kind an einer Förderschule anmelden: „Dann wird der Antrag auf Beförderung unserer Erfahrung nach quasi automatisch von der Stadt bewilligt. Das Kind wird mit einem Bus morgens abgeholt und nachmittags wieder gebracht", berichtet Thoms.
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Für sie ist in Köln die traurige Wahrheit, „dass Eltern es sich hier leisten können müssen, ihr Kind in der Inklusion anzumelden – finanziell und auch kräftemäßig“. Was damit gemeint ist, wird deutlich, wenn man Eltern zuhört, die diesen Spagat zwischen Elternschaft und Berufstätigkeit jeden Tag leisten müssen: Da ist Isabell Paustian, die ihren zehnjährigen Sohn mit Down-Syndrom jeden Tag in die zehn Kilometer entfernte Max-Ernst-Gesamtschule in Bocklemünd bringen muss. Für Bringen und Holen bedeutet das für sie in Summe 40 Kilometer am Tag mitten durch die Stadt.
Ute Berger, deren Tochter (13) mit Down-Syndrom die Heliosschule besucht, braucht morgens und nachmittags je 50 Minuten, sie zu bringen und zu holen. Berger ist selbstständig und es sind mindestens acht Stunden, die ihr dadurch wöchentlich für die Arbeit fehlen. „Alle stocken ihre Berufstätigkeit auf, wenn die Kinder in die weiterführende Schule kommen. Nur Eltern von behinderten Kindern müssen ihre Arbeit reduzieren, wenn sie ihre Kinder inklusiv beschulen lassen“, sagt Berger
Wer einen Antrag auf Schulbeförderung bei der Stadt stellt, den erwarte ein Spießrutenlauf, erzählt Angelika Stellmacher, deren jüngste Tochter (14) körperlich behindert ist. Sie hat ihn gestellt, weil weder sie noch ihr Mann es vor Arbeitsbeginns schaffen, die Tochter zu bringen: „Ich musste die Stechuhr-Zeiten der letzten drei Monate einreichen“, erzählt sie. Es werde auf die Minute kalkuliert. Anschließend wurde der Antrag trotzdem abgelehnt. Sie müsse nun einen Antrag stellen, die Arbeitszeit zu reduzieren.
Eltern überlegen aus Erschöpfung, einen Wechsel an die Förderschule
Der Kampf mit den Behörden koste unheimlich Kraft und fülle Ordner, sagt die Mutter. In Momenten der Erschöpfung überlegt sie, die Tochter auf die Förderschule umzumelden. „Da habe ich dann ein Rundrum-Sorglos-Paket und kann anderthalb Stunden am Tag mehr arbeiten.“
Cristina Tettamanze, deren Sohn Lukas Downsyndrom und Autismus hat, wechselt im Sommer auf die weiterführende Schule. Lukas kann keine Sekunde allein gelassen werden, sodass die Familie das knappe Stunden-Kontigent des familienentlastenden Dienstes für eigene Arztbesuche oder Zeiten in den Schulferien dringend benötigt. An Tagen, wo sie das Bringen und Holen arbeitstechnisch nicht organisieren kann, nutzt sie das eng begrenzte Kontingent nun aber für den Schultransport, weil es anders nicht geht. Dass sie diese Entlastung nun dafür aufbrauchen soll, dass ihr Kind zur Schule kommt, macht sie ohnmächtig und wütend.
Kerstin Bekel ist verwitwet, muss ihre drei Kinder allein großziehen und als Grundschullehrerin die Familie finanzieren. Der mittlere Sohn (8) hat das Down-Syndrom. Sie hat kein Auto, müsste zweimal mit öffentlichen Verkehrsmitteln umsteigen und den Weg zur Schule mit ihm zurückzulegen - und das viermal am Tag. Bekel legte Bescheinigungen von der Arbeit und vom Kinderarzt vor, druckte KVB-Pläne aus und legte sie bei. Trotzdem wurde ihr die Beförderung des Sohnes von der Stadt zunächst abgelehnt.
„Ich war völlig verzweifelt, psychisch und physisch an meiner Grenze. In meinem Innern schwenkte ich schon um an eine Förderschule – obwohl ich das für ihn nie wollte.“ Nach einem Widerspruch und einem Brief an Oberbürgermeisterin Henriette Reker kam dann doch die Härtefall-Bewilligung – allerdings nur für ein Jahr. „Quasi auf dem Gnadenweg“, so empfindet sie das. Nun bangt sie wieder, weil sie im Mai wieder einen Antrag für das neue Schuljahr stellen muss.
Es sei zynisch, dass die Umsetzung der Inklusion – immerhin Teil der UN-Behindertenrechtskonvention - den Eltern überlassen werde, findet Thoms. Noch zynischer sei, wenn im Schulausschuss festgestellt werde, der Elternwille gehe wieder mehr zur Förderschule – verbunden mit dem Beschluss zwei neue Förderschulen zu bauen. „Nach dem Warum fragt keiner.“ Die Stadt bestritt die Vorwürfe der betroffenen Eltern. Alle Anträge nach Maßgabe von Schulgesetz und Schülerfahrtkostenverordnung des Landes NRW geprüft. Dabei werde nicht nach unterschieden, ob die Schülerin oder der Schüler eine Regel- oder eine Förderschule besuchen.
Die Eltern von Inklusionskindern haben nun die Aktionsgruppe „Schluss mit dem Zwangs-Elterntaxi!“ gegründet. Gemeinsam wollen sie durch möglichst viele dokumentierte Einzelfälle der Stadt glaubhaft machen, wie dringlich das Problem ist und was die Ablehnung des Transports für einzelne Familien bedeutet. „Es geht darum, gemeinsam die Stadt Köln dazu zu bringen, diese Ungerechtigkeit zu beheben“, sagt Ute Berger. Die Aktionsgruppe fordert einen Schülerspezialverkehr für alle Schülerinnen und Schüler mit Behinderung, die ihre Schule nicht selbstständig erreichen können. „Wenn die Stadt keine wohnortnahen Schulplätze anbieten kann, dann ist sie verpflichtet, einen Schulbusverkehr zu organisieren“, fordert Thoms.
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