Auf der Venloer Straße hat sich ein neuer Drogenbrennpunkt etabliert. Stadt, Politik und Kirchen suchen nach Lösungen.
Anwohner in SorgeDrogenszene vom Neumarkt verlagert sich in die Veedel – Ehrenfeld wird zum Hotspot

Teile der Crack-und Obdachlosenszene vom Neumarkt haben sich vor die Kirche St. Joseph auf der Venloer Straße in Ehrenfeld verlagert.
Copyright: Alexander Schwaiger
Ein Nachmittag Anfang Juli auf der Venloer Straße in Ehrenfeld: Auf dem Gehweg vor dem Rewe-Supermarkt gegenüber der Kirche St. Joseph wird es plötzlich laut: Drei Männer, die schwanken und sich kaum noch auf den Beinen halten können, brüllen sich gegenseitig an, einer wirft eine volle Getränkedose nach einem anderen, der schubst den Werfer gegen eine Wand. Passanten weichen aus oder wechseln erschrocken die Straßenseite. Dort, auf den Kirchenstufen, sitzen mehrere Männer und Frauen und trinken Flaschenbier, eine Person liegt zusammengerollt und reglos zu ihren Füßen. Daneben stehen Einkaufswagen mit Habseligkeiten. Der neue Alltag auf Ehrenfelds größter Einkaufsstraße.
Stadt Köln schätzt Gruppe Drogenabhängiger auf 30 Personen
Seit Polizei, Ordnungsamt und Kölner Verkehrs-Betriebe (KVB) in der Innenstadt vermehrt die Rauschgiftszene kontrollieren, Anzeigen gegen Dealer schreiben und Platzverweise erteilen, hat sich ein Teil der Szene vom Neumarkt verlagert – auf die Venloer Straße. Der Ehrenfelder Bezirksbürgermeister Volker Spelthann (Grüne) bestätigt das im Gespräch. „Die ersten Hinweise von Anwohnern habe ich im Herbst des vergangenen Jahres bekommen“, sagt er. Im Frühling sei die Gruppe, die sich regelmäßig rund um St. Joseph aufhält, größer geworden. Laut dem Aufsuchenden Suchtclearing (ASC) handelt es sich um drogenabhängige Menschen, die sich vorher am Neumarkt und am Friesenplatz aufhielten. Das ASC ist eine Einrichtung der Suchthilfe in Kooperation zwischen der Stadt Köln und mehreren freien Trägern.
Je nach Tag und Uhrzeit versammeln sich laut der Stadt Köln inzwischen bis zu 30 Menschen im Bereich um die U-Bahnhaltestelle Körnerstraße. Manche rauchen stark süchtig machendes Crack, sie hinterlassen Müll und Fäkalien und urinieren gegen die Kirche und gegen Wände in der U-Bahnhaltestelle Körnerstraße. Viele betteln in den umliegenden Geschäften um Geld oder Essen. „Hin und wieder geben wir ihnen eine Suppe mit Brot, einen Kaffee oder Tee“, erzählt der Mitarbeiter eines türkischen Cafés. „Aber wenn man das einmal macht, dann kommen alle. Manche belästigen auch unsere Gäste, das geht natürlich nicht.“ Anwohner berichten, sie hätten auch schon Drogendeals beobachtet.
Alles zum Thema Kölner Verkehrs-Betriebe
- Fast 10.000 Unterschriften Bürgerin startet Petition gegen Einschränkungen der KVB-Linie 18
- Sommerferien 2025 Diese Baustellen in Köln behindern den Verkehr
- Zehntausende betroffen Kölner Hauptbahnhof für zwei Jahre von Bonn und der Eifel abgeschnitten
- Ende eine Ära Über das alte Gleis von Bergisch Gladbach nach Bensberg fährt nie mehr ein Zug
- Autor Norbert Klein aus Troisdorf erzählt Kölner Kriminalgeschichten aus den 50er Jahren
- Unfall in Köln Frau am Aachener Weiher von KVB-Bahn erfasst und schwer verletzt
- Bahn tauscht „Idiotenbrücke“ aus Innere Kanalstraße im August an zwei Wochenenden gesperrt

Die Kirche St. Joseph auf der Venloer Straße in Ehrenfeld. Foto: Alexander Schwaiger
Copyright: Alexander Schwaiger
Die Polizei führt den Bereich um die Kirche und die KVB-Haltestelle seit einigen Monaten als „konzeptionierten Schwerpunktbereich“. Seit April seien bei neun Großkontrollen 160 Personen überprüft worden, viele seien „stark verwahrlost“ und der Rauschgift-, Obdachlosen- und Starktrinkerszene zuzuordnen, berichtet ein Polizeisprecher. Die Beamten sprachen 122 Platzverweise aus. Dealer seien bei Kontrollen bislang nicht angetroffen worden, sagt der Sprecher. Auch andere Straftaten seien nicht bekannt, mit Ausnahme einer „signifikanten Zunahme“ von Belästigungen seit Oktober 2024.
Kölner Gesundheitsdezernent warnt vor Verdrängungseffekten
Das Aufsuchende Suchtclearing hat laut der Stadt neben der Venloer Straße weitere Verlagerungen weg vom Neumarkt beobachtet. Teile der Drogenszene halten sich demnach seit einigen Monaten verstärkt an der Straße Alte Mauer am Bach im Bereich der KVB-Haltestelle Poststraße, im Griechenmarktviertel und rund um die Mauritiuskirche auf. Gesundheitsdezernent Harald Rau warnt vor diesen Verdrängungseffekten. Es sei zwar wichtig, dass Polizei und Ordnungsamt auf Plätzen wie dem Neumarkt präsent sind, auf denen das Sicherheitsgefühl der Menschen alarmiert sei. „Dauerhafte, verstärkte Kontrollen können allerdings zu Verdrängungseffekten führen. Nun müssen wir uns gemeinsam mit der Polizei dafür einsetzen, dass sich an anderen Orten keine Szenen verfestigen“, sagt Rau. Die Stadt und die Polizei befänden sich dazu in einem engen Austausch.
Die Katholische Kirche hat den Zuständen auf der Venloer Straße in ihrem Pfarrbrief einen Artikel gewidmet, Überschrift: „Situation der Menschen ohne Obdach an der Kirche St. Joseph“. „Mit Sorge“, so heißt es in dem Text, werde beobachtet, dass der Zugang zur Kirche „teilweise schwierig“ sei und die Aggression „zeitweise eskaliert“. Kirchenvorstand, Pfarrbüro und weitere Gemeindemitglieder äußern sich im Pfarrbrief „betroffen von der Not der Menschen dort, aber auch besorgt über die zunehmenden Eskalationen“. Für Donnerstag, 10. Juli, lädt Bezirksbürgermeister Spelthann zu einem öffentlichen Informationsabend in die Kirche St. Joseph unter dem Motto: „Informieren Sie sich, stellen Sie Fragen, bringen Sie Ihre Perspektive ein.“ Beginn ist um 19 Uhr.

Kirche, Politik und Stadt suchen nach Lösungen, um die Situation rund um die Kirche St. Joseph zu entschärfen.
Copyright: Arton Krasniqi
„Unser Ziel besteht darin, dass sich die Situation hier nicht verstetigt“, sagt Spelthann. Es handelt sich um eine dicht besiedelte Wohngegend, unmittelbar gegenüber der Kirche befindet sich eine Kindertagesstätte. Der Bezirksbürgermeister will möglichst frühzeitig verhindern, dass die Gruppe der vom Neumarkt Verdrängten in den nächsten Monaten weiter wächst.
Pfarrer will das Kirchengebäude schützen und trotzdem helfen
„Manchmal liegen Menschen da, als seien sie bewusstlos, nicht ansprechbar“, schildert Jutta Himmelsbach vom Kirchenvorstand. „Das berührt einen, aber das beängstigt einen auch, es holt uns aus unserer Komfortzone. Man weiß nicht genau, wie man reagieren soll. Muss man die Polizei anrufen, das Ordnungsamt, den Rettungsdienst?“
Auch Pfarrer Klaus Thranberend ist hin- und hergerissen. „Die Menschen sollen bleiben können“, sagt er. „Aber das Dealen muss aufhören.“ Auch schwer crackabhängige Menschen hätten ihre Würde, „und die kann und darf ihnen niemand nehmen.“ Das sei eine Haltungsfrage. Seine Notdurft in der Öffentlichkeit zu verrichten, sei demütigend. „Wir müssen aber auch das Kirchengebäude schützen, weil es ein Gebäude für alle ist.“ Der Pfarrvikar regt an, über Toiletten nachzudenken und auch über einen Konsumraum. „Wir sind als Kirche bereit, da mitzudenken und Ressourcen zur Verfügung zu stellen.“
Auch für Jutta Himmelsbach ist die Grenze des Erträglichen erreicht, wenn Straftaten geschehen. „Und ich finde, mit Drogen zu dealen und auch das öffentliche Konsumieren sind eine Grenze. Dafür muss man Lösungen finden.“