15 ukrainische Schüler und zwei Lehrkräfte sind zu Gast am Hansa-Gymnasium. Motto des Austauschs: Für drei Wochen dem Krieg entkommen.
Samba statt SirenenSo erleben ukrainische Schüler in Köln eine Auszeit vom Krieg

Abschalten beim Samba-Trommel-Kurs istnur einer der Programmpunkte des Recreation-Projekts der Unesco-Kommission zwischen den Projektschulen Hansa-Gymnasium in Köln und dem Lyzeum 23 in Zhytomyr.
Copyright: Janne Ahrenhold
Es sind die bunten Bilder vom Karneval in Rio, die vielen beim Gedanken an Samba in den Sinn kommen dürften. Im Hansa-Gymnasium in Köln zeigt sich am Donnerstag ein etwas anderes Bild – weniger schrill, aber trotzdem im Takt der Sambaklänge. 15 ukrainische Austauschschüler stehen dort im Klassenraum hinter den verschiedenen Instrumenten. Langsam finden sie zusammen den richtigen Rhythmus. „Boom, boom, boom, hey“, gibt Trommellehrer Thomas Sukiennik den Beat vor.
Auch kleidungstechnisch passen sich die Jugendlichen dem Karnevalsgedanken an. Die meisten tragen ihre klassische Nationaltracht: bunt bestickte Blusen, Hemden und Kleider. „Wyschywanka“ werden die Strickmuster genannt, die sonst bei besonderen Anlässen und Nationalfeiertagen in ihrer Heimat in der Ukraine angezogen werden.
Am Recreation-Projekt der Unesco-Kommission nehmen 13 deutsche Projektschulen teil
Ansonsten mag aber niemand so richtig an zuhause denken. Die Konzentration gilt dem Trommelrhythmus. Vorher tanzen die Kinder gemeinsam mit Lehrerin Gülsen Le Mharchi. „Musik ist multikulturell, das verbindet“, sagt sie und freut sich darüber, mit den ukrainischen Gästen ein paar gute Stunden zu erleben.

„Herzlichen Willkommen in Köln“ – so begrüßte das Hansa-Gymnasium die ukrainischen Gäste in Köln.
Copyright: Janne Ahrenhold
Auch sonst ist das dreiwöchige Programm der Gruppe eng getaktet. Holz- und Tonarbeiten, Kunst- und Fotoworkshops, Frauen-Bundesliga im Franz-Kremer-Stadions und vieles mehr. „Wir sind gut beschäftigt und voller positiver Gefühle“, sagt Svitlana Melnyk, Vizepräsidentin der Partnerschule in der Großstadt Zhytomyr, etwa 120 Kilometer westlich von Kiew gelegen.
Abschalten, genau das ist die Idee des sogenannten Recreation-Projekts, initiiert von der Unesco-Kommission und gefördert vom Auswärtigen Amt. Als Unesco-Projektschule ist das Kölner Hansa-Gymnasium Gastgeber. Untergebracht sind Schüler und Lehrer in Gastfamilien. Mithilfe eines vielseitigen kulturellen Bildungsprogramms sollen die Kinder Abstand von ihrem Alltag gewinnen, insbesondere vom Krieg, der weiterhin das Leben in der Ukraine bestimmt.
Auszeit vom Krieg in Köln: Durchschlafen ohne Furcht vor Sirenen
So ganz verdrängen lassen sich die Eindrücke der vergangenen eineinhalb Jahre jedoch nicht, selbst im Antlitz des Kölner Doms. „Wir lesen jeden Tag die Nachrichten“, erzählt Deutsch-Lehrerin Ciliia Chernii, die die Gruppe gemeinsam mit Svitlana Melnyk begleitet. Neben den lauten Sambatrommeln sind es deshalb vor allem die leise erzählten Geschichten aus ihrer Heimat, die in der friedlichen Umgebung des Hansa-Gymnasiums am Klingelpützpark schwer begreifbar sind.
„Ruhe und Sicherheit, das ist gerade das Wichtigste für uns“, so Melnyk. Einfach mal durchschlafen, ohne in der Nacht das Heulen von Sirenen befürchten zu müssen, sei einer der bedeutendsten Unterschiede zwischen den Nächten in Zhytomyr und Köln, erzählen die Kinder. Alle wissen, wie sie sich bei Raketenbeschuss zu verhalten haben. „Inzwischen sind wir daran gewöhnt“, sagt die 13-jährige Kliana Malafiichuk. Sie erzählt auch von anderen Städten, in denen die Lage noch weit schlimmer sei.
Klianas Bruder ist beim Militär, ihre Eltern sind Ärzte, sie sind wichtiger Teil der ukrainischen Infrastruktur. Urlaub, Wegfahren, Rauskommen – all das sei für diese Familien momentan weit entfernt. Auch deshalb wurde Kliana für den Deutschland-Trip ausgesucht, genauso wie viele der anderen mitgereisten Schüler. „Auszeit vom Krieg“ nennt sich das, und: „Einfach nur Kind sein“, so beschreibt Johanna Ruebke, Referentin der Unesco-Kommission, die Idee hinter dem Projekt. Nicht nur in Köln würde das Konzept aufgehen, auch in anderen Städten werden die Kurzaufenthalte organisiert.
Trotz des Kriegs-Fokus betonen die Teilnehmenden vor allem eines: Europa sehen, eine neue Kultur kennenlernen und die Sprache verbessern seien das, was ihnen besonders gefalle. Fast fließend sprechen die meisten bereits Englisch, einige auch Deutsch. „Ich fühle mich viel selbstbewusster, seit wir hier sind“, sagt Kliana. Weniger Sorgen, Zeit mit der Gastfamilie, Kölner Kultur und eine gemeinsame Samba-Session – fast klingt das doch nach einem normalen Schüleraustausch einer 13-Jährigen.