Stadt Köln unterbricht OMZ-Projekt„Sehe die Gefahr, dass manche bis September gestorben sind“

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Weißer Lieferwagen vor einem blau angemalten, heruntergekommen aussehenden Gebäude.

Die Bewohner des Projekts „Obdachlose mit Zukunft“ (OMZ) müssen aus dem Gebäude in Deutz ausziehen.

Das Projekt „Obdachlose mit Zukunft“ ist vorerst bis September auf Eis gelegt – vielen Bewohnern fehlt eine Zwischenlösung.

Ein Mann sitzt mit zwei Sporttaschen auf einer Bordsteinkante wenige Meter von der Lanxess-Arena entfernt. Wie es für ihn weitergehe? „Ich weiß nicht.“ Wo er die Nacht verbringen werde? „Im Zelt.“ Und dann mal sehen. Der Mann, Ende 40 vielleicht, gebrochenes Deutsch, will lieber nicht in der Zeitung zu sehen sein, war einer von rund 25 Bewohnern in der Gummersbacher Straße 25, an der das Projekt „Obdachlose mit Zukunft“ (OMZ) bis Mittwoch zuhause war.

Die Stadt kündigte an, ab Juni Anzeigen zu stellen, wenn sich Menschen weiterhin in dem Gebäude aufhalten sollten. Im Lauf des Vormittags kommen immer mehr Männer aus dem Haus, laden ihre Möbel in zwei Transporter – die Stadt hatte versprochen, sie aufzubewahren – und gehen ihrer Wege, die sie oft selbst nicht kennen. Es gibt verschiedene Perspektiven auf die Vorgänge.

Die Stadt, mit einem Hausrecht ausgestattet und somit Herrin des Verfahrens, hält die Zustände für gefährlich. Das Haus werde beschädigt, die Gewalt nehme Überhand, Zwangsprostitution, ein Angriff mit einer Axt. Die einzige Lösung demnach: Ein klarer Schnitt, kein nahtloser Übergang. Im September soll das Projekt OMZ dann in Merheim neu starten. Diesmal nicht selbstverwaltet, sondern mit einem Träger – vermutlich dem Sozialdienst katholischer Männer (SKM) und dem Sozialdienst katholischer Frauen (SkF).

OMZ in Köln: 50 Menschen demonstrieren gegen Räumung

„Für uns als Stadt war es schwierig, dieses eigentlich gute Projekt zu begleiten“, sagte Sozialdezernent Harald Rau. „Wir setzen Leute nicht auf die Straße, jeder auf diesem Gelände hat ein Angebot, auch wenn er es nicht hören möchte.“ Als Rau auf der Mahnwache, bei der am Mittwoch rund 50 Menschen für den Erhalt des selbstverwalteten OMZ demonstrierten, das Wort ergriff, wurde er nach einigen Minuten unterbrochen. Die Demonstranten fingen an, Musik zu spielen. Zu groß ist die Wut auf die Stadt. Denn die Perspektive vieler Unterstützer ist eine andere.

Mann mittleren Alters mit weißem Hemd und blauer kappe, der in die Kamera schaut

Harald Rau macht sich vor Ort ein Bild der Lage.

Ihnen zufolge hat die Stadt es schlicht versäumt, ihr Hausrecht ausreichend zu nutzen – und Gewalttäter an der Gummersbacher Straße nicht aufgehalten. „Es geht nur noch darum, eine Übergangszeit von drei Monaten zu überbrücken. Jeder Mensch in Deutschland zieht erst dann aus, wenn er in eine neue Wohnung einzieht. Bei Obdachlosen sagt man jetzt: Die können jetzt erstmal ein paar Monate auf der Straße leben oder in menschenunwürdigen Notunterkünften“, sagt Marc Kersten aus dem OMZ-Unterstützerverein.

Viele Menschen aus dem OMZ wissen nicht, wo sie heute Nacht schlafen
Marc Kersten, OMZ-Unterstützerverein

Das Verfahren für die Übergangsunterkünfte sei intransparent, kompliziert und es stünden nicht genug Plätze zur Verfügung. Auch der bürokratische Weg in die neue Unterkunft überfordere viele Bewohner. „Viele Menschen aus dem OMZ wissen nicht, wo sie heute Nacht schlafen“, so Kersten, der auch Mitglied der Grünen ist. Auch in seiner Partei schwelt ein Konflikt zum Thema: Einem Parteitagsbeschluss zufolge, den Kersten erwirkt hat, soll es einen nahtlosen Übergang geben.

Bewohner des OMZ „enttäuscht und wütend“

Die Fraktion, die eng mit Rau, selbst Grünen-Mitglied, zusammenarbeitet, hält dies nicht mehr für denkbar – und kämpft unterdessen für möglichst viele Übergangswohnungen. Die Stadt habe nicht genug investiert, heißt es von vielen aus dem Unterstützerkreis: Zu wenig Sozialarbeit, zu wenig Securitydienst, zu wenig Kontrolle. Dann gibt es noch den Blick derjenigen, die ihre Lebensgrundlage mit dem selbstverwalteten OMZ am Mittwoch verloren haben.

„Ich habe mir hier eine Existenz aufgebaut. Die Menschen, die ich hier kennengelernt habe, kann ich als meine Familie bezeichnen“, sagt einer der Bewohner, der sich Spike nennt. „Ich bin enttäuscht und wütend.“ Ja, es habe Gewalt gegeben, sagt Spike, doch man habe die Täter der Stadt genannt. Die Stadt habe die Gewalttäter nicht rausgeworfen. Sozialdezernent Rau räumt ein, dass die Stadt womöglich nicht oft genug von ihrem Hausrecht Gebrauch gemacht habe.

Junger Mann in einem schwarzen Tanktop mit einem Fokuhila und einem Kettenschloss um dem Hals

Auch Bewohner Spike muss ausziehen.

Von fünf Bewohnern, die laut Spike gewalttätig sind, seien vier noch im Haus. Die eigentliche Katastrophe sei der Übergang in die neue Einrichtung: Drei Monate müssen die Menschen nun warten, teilweise – wie Spike – in Wohnungen, die sie von der Stadt vermittelt bekommen haben. Teilweise ohne. „Es kann sein, dass Leute in der Zeit auf die Straße kommen, ich sehe die Gefahr dass manche wieder abrutschen, nachdem sie sich gefangen haben“, sagt Spike. „Ich sehe die Gefahr, dass manche am Ende nicht mitkommen, weil sie bis September gestorben sind.“

Gwalt auf der Straße noch größer als im OMZ

Es gebe Alkoholiker und Drogenabhängige, die ohne das soziale Umfeld, das sie aktuell haben, in große Probleme kommen würden. Diese Gefahr sehen auch rund 50 Menschen, die vor dem Gebäude am Mittwochvormittag gegen das Vorgehen der Stadt demonstrieren. In Redebeiträgen wird davor gewarnt, dass Menschen, die auf einem guten Weg waren, nun wieder abstürzen könnten. Die Gewalt, die die Stadt im OMZ bemängelt, gebe es auf der Straße erst recht – hier werde sie bloß nicht gesehen.

Im hellblauen Haus selbst kommen am Mittwoch immer mehr Menschen mit ihren Koffern heraus. Drinnen surren Fliegen, es riecht süßlich und stechend zugleich, die Luft ist klamm. Einigen Zimmern ist ihr fluchtartiges Verlassen anzusehen, hier türmen sich Klamotten, Flaschen, Möbel, Überreste des Alltags. Andere sind bereits leergezogen und von der Stadt zugemauert worden.

Mann mit einem schwarzen Tanktop, einer beigen Jacke und einer schwarzen Mütze

Eduard Bäcker kann mit seinem Bruder in einer Übergangswohnung unterkommen. Dieses Glück hat nicht jeder Bewohner.

Einer fünfköpfigen Gruppe polnischer Bewohner konnte kurz vor dem Auszug noch geholfen werden. Die Stadt vermittelt ihnen derzeit Minijobs, damit sie einen Aufenthaltstitel erhalten, der ausreichen könnte, um am Ende nach Merheim zu ziehen. Auch Eduard Becker wusste am Mittwochvormittag nicht, wo er am Abend schlafen werde. „Ja, wo? Im Zelt“, sagt er nach dreieinhalb Jahren im OMZ. 

Bewohner hat kein Vertrauen mehr in die Stadt

„Niemand weiß, wieso wir ausziehen müssen“, sagt er. Vertrauen in die Stadt hat er nicht mehr. „Ich denke, wir bekommen im September auch nichts.“ Wenige Stunden später gibt es für ihn doch noch ein wenig mehr Klarheit: Gemeinsam mit seinem Bruder, ebenfalls OMZ-Bewohner, hat er eine Übergangswohnung vermittelt bekommen. Andere stehen vor dem Nichts.

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