Polizei ermittelt seit JahrenRätsel um unbekannten Toten aus Utrecht – Die Spur führt nach Köln

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Ein Mann in einem bunt karierten Hemd geht durch den Bahnhof Köln-Deutz/Messe.

Wer kennt diesen Mann? Das Foto wurde am 9. Juni 2020 im Bahnhof Köln-Deutz/Messe aufgenommen.

Am 9. Juni 2020 tötet sich ein Mann im niederländischen Utrecht mit einem Sprung vor einen Zug. Stunden zuvor war der Unbekannte noch in Köln.

In den Ermittlungsakten der niederländischen Polizei wird der Mann nur „Nomen nescio“ genannt, lateinisch für: „Ich kenne den Namen nicht.“ Am 9. Juni 2020 um 18.45 Uhr hat sich der 40 bis 50 Jahre alte Schwarze im Bahnhof von Utrecht vor einen Zug geworfen und ist an den Verletzungen gestorben. Bis heute fahndet die Polizei in den Niederlanden nach Hinweisen, wer der Mann sein könnte, sucht Zeugen, die ihn kannten – aber bisher war alle Mühe vergeblich. Der Fall gibt  Rätsel auf.

Auch in Dokumenten der deutschen Bundespolizei tauchte der unbekannte Tote aus Utrecht damals auf. Denn: Eine Spur zu ihm führt nach Köln. Wegen der gesetzlichen Löschungsfristen hierzulande sind inzwischen keine Daten mehr zu dem Mann vorhanden. „Wir haben nichts mehr“, sagt ein Bundespolizeisprecher dem „Kölner Stadt-Anzeiger“ auf Anfrage. Aber: Es existieren noch Bilder aus Überwachungskameras im Bahnhof Köln-Messe/Deutz. Die Bundespolizei hatte sie seinerzeit ihren Kollegen in den Niederlanden für deren Öffentlichkeitsfahndung übermittelt.

Köln: Überwachungskameras haben den Mann im Deutzer Bahnhof aufgezeichnet

Die Fotos zeigen den Mann, wie er am Vormittag des 9. Juni 2020 mit einer roten Plastiktüte in der Hand durch den Bahnhof Köln Messe/Deutz streift. Wie lange er sich dort aufgehalten hat, wie er dorthin gekommen ist, ob er nur auf der Durchreise war oder engere Bezüge nach Köln hatte, vielleicht sogar hier gelebt hat – all das ist bis heute unklar.

Der niederländische Journalist und Buchautor Hugo Verkley vermutet, dass es sich bei dem Mann um einen Flüchtling aus Westafrika handeln könnte. Verkley hat es sich zur Aufgabe gemacht, dem Toten nach so langer Zeit endlich einen Namen zu geben – und eine Geschichte. „Jeder Mensch hat das Recht darauf“, sagt Verkley im Gespräch mit dem „Kölner Stadt-Anzeiger“. Irgendwo habe der Mann Familie und Freunde. „Die werden ihn vermissen, sie fragen sich vermutlich bis heute, wo er ist und was mit ihm geschehen ist.“ Der freie Journalist hat mit Ermittlern in den Niederlanden gesprochen, mit potenziellen Zeugen, sogar mit dem Lokführer aus dem Utrechter Bahnhof. Aber all das führte zu nichts. „Nomen nescio“ heißt weiterhin „Nomen nescio“.

Von Köln-Deutz fährt der Mann mit dem ICE nach Amsterdam

Fest steht: An jenem Dienstagvormittag vor dreieinhalb Jahren spaziert der schlanke, mit einem auffälligen, bunt-karierten Hemd und einer Schiebermütze bekleidete Mann durch den Bahnhof Köln-Deutz/Messe. Um 10.07 Uhr filmt ihn eine Überwachungskamera. Um 10.36 Uhr besteigt er einen ICE nach Amsterdam. Dort angekommen spricht er gegen 13.30 Uhr mit einem Mitarbeiter der Niederländischen Eisenbahn. Dann nimmt der Mann einen weiteren Zug nach Utrecht. Dort wandert er mehrere Stunden durch den Bahnhof, unterhält sich mit einem Obdachlosen, dem er etwas in die Hand drückt, möglicherweise ein Handy. All das ist auf Videobildern zu sehen. Am frühen Abend schließlich nimmt sich der Unbekannte auf Gleis 18 das Leben.

Ein Mann in einem bunt karierten Hemd geht durch den Bahnhof Köln-Deutz/Messe.

Der unbekannte Mann läuft am 9. Juni 2020 durch den Bahnhof Köln-Deutz/Messe.

Die rote Plastiktüte trägt er da nicht mehr bei sich, er hatte sie vorher in einem Mülleimer entsorgt, die Polizei kann sie nicht mehr auftreiben. Allerdings finden die Beamten mehr als tausend Euro Bargeld in seiner Hosentasche, schreibt die niederländische Tageszeitung „AD“ (früher: „Algemeen Dagblad“). Das Blatt zitiert einen Kriminalpolizisten: „Es waren alles Scheine mit fortlaufenden Nummern aus derselben Serie, also hatte er das Geld irgendwoher. Aber wir wissen einfach nicht, woher.“

Der unbekannte Tote aus Utrecht wurde anonym beerdigt

Die Polizei gleicht die DNA des Toten und seine Fingerabdrücke mit europäischen Datenbanken ab. Rechtsmediziner untersuchen, ob er eine Prothese trug oder andere auffällige körperliche Merkmale aufwies, anhand derer eine Identifizierung leichter gelingen könnte – aber wieder nichts. Die Kripo startete eine Öffentlichkeitsfahndung in den Niederlanden, verbreitete ein Foto des Gesuchten in den Medien – auch das erfolglos. „Bisher hat sich noch niemand gemeldet und nach einem Mann gesucht, der seiner Beschreibung entspricht“, bilanziert der Ermittler in der Zeitung „AD“.

Journalist Hugo Verkley sieht derzeit nur noch eine realistische Chance: die vage Spur, die nach Köln führt. In Deutschland ist der Fall des unbekannten Toten aus Utrecht noch nie erzählt worden. Vielleicht, so hofft Verkley, kennt hier jemand den Gesuchten. Vielleicht hat der Mann vorübergehend in einer Kölner Flüchtlingsunterkunft gelebt.

Seine letzte Ruhestätte fand „Nomen nescio“ auf einem Friedhof in Utrecht. Die Bestattung wurde von der Gemeinde organisiert. Auf einer Tafel an seinem Grab steht: „Ruhe in Frieden. Name unbekannt.“


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