Der ehemalige luxemburgische Außenminister sprach bei einem Vortrag im Berufskolleg an der Lindenstraße über Geschichte und Chancen der EU.
Europapolitik im FokusJean Asselborn spricht am Berufskolleg Lindenstraße über die EU

Schulleiterin Alexandra Langner, Jean Asselborn und Frauke Wittmütz in der Aula des Berufskollegs an der Lindentstraße.
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Jean Asselborn ist ihrer Einladung in das Berufskolleg an der Lindenstraße tatsächlich gefolgt. Lehrerin Frauke Wittmütz freut sich sehr. Und der ehemalige luxemburgische Außenminister ergreift die Gelegenheit beim Schopfe, der in der Aula für seinen Vortrag versammelten Lehrerschaft etwas beizubringen, über das Glück, in einer Gemeinschaft zu leben, der Europäische Union.
Die Anfänge als Friedensprojekt
Am Anfang war die Vernunft: Nach den Weltkriegen, mit Millionen von Toten, habe man versucht, ein friedliches Europa zu schaffen, als Basis für einen Wohlstand für alle, betont Asselborn. Die sechs Gründerländer seien zwei Schienen gefahren. Zum einen habe man auf Erweiterung gesetzt, als Friedensprojekt. Man sei so auf 28 Mitglieder angewachsen, habe aber dann durch den Brexit mit Großbritannien ein überaus wichtiges Mitgliedsland verloren. „Ich bin aber überzeugt, dass die Briten irgendwann noch einmal an unserer Tür anklopfen“, so Asselborn.
Die Wiedervereinigung Deutschland sei geschmeidig über die Bühne gegangen, weil das Gerüst der Europäischen Union bestand.
Die Aufnahme weiterer Länder im Osten gestalte sich aus verschiedenen Gründen aktuell schwierig. Die Visegrad-Länder würden ausscheren. Ungarn habe sich im Hinblick auf die Ukraine gar zum „U-Boot der EU“ entwickelt. Leider sei bei Entscheidungen zum Umgang damit Einstimmigkeit erforderlich. „Man könnte das morgen ändern“, sagt Asselborn, „aber dazu braucht man etwas und das heißt: Einstimmigkeit.“
Friede durch Demokratie und Verteidigungsbereitschaft
Die zweite Schiene, die die EU verfolge, sei die der Integration, mit der Prämisse, sich grundsätzlich nicht einzumischen. Wenn es aber in einem der europäischen Länder ein Problem mit der Gewaltentrennung gäbe, dann ginge das die ganze Europäische Union an. Friede können nur garantiert werden, wenn die Werte der Demokratie gelebt würden.
Die EU sei nicht gebaut worden, um eine militärische Großmacht zu sein. Europa sei nun aber auf sich selbst gestellt. „Wir müssen weiter der Ukraine helfen, damit sie sich wehren kann“, so Asselborn. „Ich denke nicht, dass Putin Frieden will. Er will siegen.“ Seine Vermutung: „Nach einem Sieg wird er nicht in der Ukraine und auch nicht im Donbass stehen bleiben.“ Die EU müsse schauen, dass sie konventionell dagegenhalten könne. Die nukleare Abschreckung, die über die Transatlantik-Schiene aufgebaut worden sei, habe lange verhindert, dass aus dem kalten Krieg ein warmer hätte werden können. Es war der Schutz der Nato, deren wichtiges Mitglied die USA seien.
„Wichtige Wahlen werden die Midterms, die Halbzeitwahlen, im kommenden Jahr in Amerika sein“, prophezeit Asselborn. „Das könnte einen großen Einfluss auf Trump haben.“ Überhaupt Trump: Wenn er Frieden in der Ukraine schaffen könne, solle er den Nobelpreis haben. „Das ist mir dann auch egal.“
Die Gefahr des Chaos in Frankreich
In dieser politisch schwierigen Zeit sei es wichtig, dass die EU auf Deutschland zählen kann. „Die Deutschen sollten vielleicht weniger zerknirscht sein, ein bisschen optimistischer“, schlug Asselborn vor. Er hoffe, dass die Regierungskoalition eine gewisse Stabilität ausstrahlen könne. Ihn beunruhige Frankreich viel mehr. „Was sich dort zuträgt, ist Chaos und davon profitiert nur einer: das Rassemblement National“, so der Europapolitiker. Wenn die Partei bei der kommenden Präsidentschaftswahl gewinne, wäre die Europäische Union in Gefahr. „Diese Partei ist antieuropäisch, antideutsch, Putin- und gewissermaßen auch Trump-afin.“ Da könne man die Grenzen nur noch schließen. Es würde etwas entstehen, was die jungen Menschen in Europa, die nun die Schule besuchen, nicht brauchen. Auch sie wollten schließlich 80 Jahre in Frieden leben.
Genaueres zu Jean Asselborn ist in der neuen Biografie von Michael Merten zu lesen, „Jean Asselborn – Die Tour seines Lebens“, Berg & Feierabend Verlag, 320 Seiten, ISBN-10: 3948272301, 24,99 Euro

