Werkstatt in der Kölner SüdstadtEin Leben für die Geigen – und ein Saxofon

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Das Saxofon spielt Markus von Wrochem, der Sohn von Klaus dem Geiger, ganz intuitiv. Der Geigenbau ist seine Leidenschaft.

Das Saxofon spielt Markus von Wrochem, der Sohn von Klaus dem Geiger, ganz intuitiv. Der Geigenbau ist seine Leidenschaft.

Innenstadt – „Möchten Sie mir etwas vorspielen?“ Mit einem Kopfnicken folgt Markus von Wrochem der Bitte. Doch nicht zu seiner Geige, die stumm auf dem Tisch liegen bleibt, geht der Griff. Von Wrochem geht schweigend durch den Raum, zieht in einer Ecke behutsam ein Saxophon aus seinem Etui, streicht über das Instrument und setzt es an die Lippen. Sofort beginnen seine Hände wie schwerelos über die Tasten zu fliegen, von Wrochem schließt die Augen. Es scheint, als gelte seine ganz große Liebe dem Blasinstrument. Dabei ist der 51-Jährige der Sohn von Klaus dem Geiger, einer lebenden Kölner Legende – und selbst Betreiber einer eigenen Geigenwerkstatt in der Südstadt.

Schwerelos scheinen nicht nur die Finger des 51-Jährigen, als sie über das Saxophon gleiten. Schwerelos fliegen auch die Melodien durch den Raum und füllen ihn wie einen riesigen Resonanzkörper. Es sind keine bekannten Stücke, die der Kölner da spielt, sondern spontane Zufallsprodukte.

Kurz melancholisch, plötzlich wieder aufgeweckt und fröhlich. Eine Kehrtwende folgt der nächsten. Von Wrochem nimmt das Instrument wieder von seinen Lippen. „Ich spiele immer auf Klang“, sagt er. „Von Noten will ich nicht viel wissen.“ Seine musikalischen Sinne hat von Wrochem trainiert, seitdem er auf der Welt ist.

Eine Familie voller Profigeiger

Geboren ist er in eine Familie voller Profigeiger, von Wrochem vergleicht sie lächelnd mit der Kelly-Family. „Man muss erst laufen lernen, um zu sehen, wie schön das Laufen ist. Das ist beim Geigenspielen genauso“, erinnert er sich daran, wie ihm seine Mutter, ebenfalls Profigeigerin, schon als Fünfjährigem das Geigespielen beibrachte. Wenn von dem heute 51-Jährigen die Rede ist, dann ist es aber oft sein Vater, der im Fokus seiner Vita steht: Unter dem Künstlernamen „Klaus der Geiger“, machte sich Klaus von Wrochem als linksalternativer Straßenmusiker über die Grenzen Kölns hinaus einen Namen, demonstrierte mit Geige und in Latzhose immer wieder gegen Castortransporte, Rassismus oder den NATO-Doppelbeschluss. „Ich bin sehr stolz auf meinen Vater“, sagt von Wrochem. „Aber es ist falsch, dass er immer als mein Lehrmeister gilt. Mit ihm bin ich erst als 16-Jähriger losgezogen und habe Straßenmusik gemacht“, sagt er. Schon oft haben ihn Journalisten gefragt, wie es sich denn anfühle, Sohn des bekannten Straßenmusikers zu sein, wie das auf seine Person abgefärbt habe, warum er in dessen Fußstapfen getreten sei. „Das bin ich nämlich nicht“, sagt von Wrochem, seine Stimme wird leiser.

Markus von Wrochem baut am liebsten selbst Geigen. Meist repariert er Instrumente, die ihm gebracht werden.

Markus von Wrochem baut am liebsten selbst Geigen. Meist repariert er Instrumente, die ihm gebracht werden.

Schon früh nämlich habe er gemerkt, wie schwer es für ihn geworden wäre, ebenfalls professioneller Geigenspieler zu werden – bei dem meisterhaften Geigentalent seiner Eltern hätte er sich schließlich mit ihnen messen lassen müssen. „Hätte ich mich auch auf die Straße gestellt und Protestlieder gesungen, hätte ich mich immer fragen müssen, ob ich wirklich wegen meiner eigenen Leistung gefragt bin. Da habe ich gesagt: Nö, das machst du nicht“, sagt der 51-Jährige wieder bestimmter. Seine Geigenwerkstatt in der Mainzer Straße versteht er deshalb gewissermaßen als Gegenentwurf zu dem Wirken seiner Eltern. Mit seiner kubanischen Band, in der er Saxofon spielt, ist es sicher ähnlich. „„Sohn von„ zu sein, das ist vorbei“, sagt der Kölner.

Coldplay dröhnt aus den Lautsprechern des grauen Radios. Es ist zusammen mit dem Licht angegangen, als von Wrochem den Stromstecker in die Steckdose steckte. Das Radio schaltet er aus, das Licht in seiner Werkstatt lässt er an. Es fällt auf eine Arbeitsplatte, auf der Farbflaschen neben Kaffeetassen stehen, auf Regale voller Werkzeuge und Flaschen mit Flüssigkeiten, auf unzählige Geigen, die hier sorgsam befestigt in einer Reihe an der Wand hängen – große, kleine, besaitet, unbesaitet.

„Ich bin kein Händler, ich bin Künstler“

Der schmale, schummrig beleuchtete Raum hinter seinem Atelier ist sein Rückzugsraum. In einer Ecke seines Ateliers steht ein alter Computerbildschirm. „Der funktioniert nicht“, meint er lächelnd. „Alles was mich abhält von meiner Arbeit, meiner Muße, versuche ich aus den Räumen zu verbannen.“

Oft verbringt er ganze Tage in seiner Werkstatt, bei Geigen mit gerissenen Saiten, bei Celli mit abgebrochenen Hälsen, bei Instrumenten, die einfach nicht so klingen, wie sie klingen sollten. Das sind die Momente, die von Wrochem Geduld, Sitzfleisch, ruhige Hände abverlangen – vor allem aber erstklassige Ohren. „Ich bin kein Händler, ich bin Künstler“, sagt von Wrochem. „Wenn ein Kunde mit einer Geige kommt und ich das Problem ausfindig machen will, dann vertiefe ich mich ganz in das Instrument, gehe ganz weg von dem ganzen wirtschaftlichen und materiellen Kram.“

Gedanken an Geld sind von Wrochem ohnehin lästig, schaffe es doch nur Abhängigkeiten. Manche seiner Geigen vermietet er quasi kostenlos an Bedürftige, an eine Expansion seiner Geigenwerkstatt hat er nie gedacht. Einmal, so erzählt er, während er behutsam mit einem dünnen Pinsel Farbe auf die Rückseite einer Geige aufträgt, hatte er sogar schon mal eine Stradivari zur Bearbeitung in seiner Werkstatt.

„Das ist aber nicht unbedingt das, was ich haben will“, meint von Wrochem. „Du stehst da und hast plötzlich zwei Millionen im Haus stehen.“ Am liebsten baut er Geigen selbst. Etwas Neues schaffen, ganz auf sich und auf den Geigenbau konzentriert – auch das ist Kunst, ist von Wrochem sicher. Einmal im Jahr schaffe er das zwischen all dem, was sonst anfalle. „Solch etwas Selbstgeschnitztes in der Hand zu halten, das dann Musik machen und Menschen unabhängig von der Sprache, die sie sprechen, berühren kann, ist das Größte“, schwärmt er.

Der Neubau ist das, was er von der Pike auf gelernt hat. Seine Ausbildung zum Geigenbauer absolvierte er ab 1989 in Hamburg und in der Geigenbauermetropole Mittenwald in Bayern. Seitdem hat er immer wieder Aufs und Abs in seiner Branche erlebt. „Als ich angefangen habe, war der Neubau verpönt, nur alte Geigen waren gefragt. Dann wurde der Neubau populärer.“ Auch die Geige seines Vaters hat er gebaut. „Er war besonders kritisch.“

Schließlich greift er dann doch zu einer seiner liebsten Geigen. Sein Kopf schmiegt sich an das hölzernere Endstück, er schließt die Augen. Ob ihm in dieser Sekunde ein Gedanke durch den Kopf gehen mag? „Das Saxophon ist wie ein verlängerter Arm, kein Hindernis. Ich kann sofort meine Gefühle umsetzen, frei und losgelöst. Die Geige ist immer eine Bremse, weil sie nicht so unmittelbar sein kann“, hatte er noch wenige Minuten zuvor erzählt und dabei nachdenklich gewirkt.

Jetzt scheint das egal zu sein. Seine Hand umschließt den Bogen, sanft, fast spielerisch lässt er ihn über die Saiten gleiten. Er schließt die Augen, ein Lächeln umschmeichelt seine Lippen. Fröhliche, dann wieder nachdenkliche Melodien fliegen durch den Raum und füllen ihn wie einen riesigen Resonanzkörper. Schwerelos.

DIE WERKSTATT

Flagiolette – Atelier für Geigenbau und Musikinstrumente, Mainzer Straße 27, 50678 Köln, Öffnungszeiten: Mo bis Fr, 10- 13 und 15 bis 18 Uhr

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