Serie „Zwei Kaffee“Kölner Modedesignerin übt scharfe Kritik an Bekleidungsindustrie

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Caro Wilbertam Tisch eines Cafés

Die Kölner Modedesignerin Caro Wilbert

Wie reagieren Menschen - was erzählen sie, wenn man sie auf der Straße anspricht und zu einem Kaffee einlädt? Darum geht es Susanne Hengesbach in ihrer Rubrik „Zwei Kaffee, bitte!“

Heute stelle ich mich aufgrund des gruseligen Wetters auf schwierige Gesprächsverhandlungen ein, aber dann erwische ich auf der Zülpicher Straße buchstäblich einen Sonnenstrahl. Caro Wilbert trägt so ein leises Lächeln vor sich her, das mit ihrer „Montagskundin“ zusammenhängt. Was genau es mit dieser Frau auf sich hat, erfahre ich beim Cappuccino im Bistronomia.

Caro, eigentlich Caroline Valerie Wilbert, ist Modedesignerin und hat, wie sie mir erzählt, während ihrer Ausbildung in München, Japan und Paris nicht nur Entwurf und Schnitttechnik, sondern auch das Schneidern gelernt. Das kommt ihr entgegen, weil sie in ihrem Geschäft ausschließlich eigene Kreationen verkauft; sowohl Alltagsmode, wie sie sagt, aber auch viele Abend- oder Hochzeitskleider. Das seien vielfach anspruchsvolle Arbeiten, aber nicht annähernd zu vergleichen mit den Entwürfen für ihre Montagskundin.

„Die schönsten Kleider, die man sich vorstellen kann!“

Seit 15 oder 16 Jahren, also praktisch seitdem sie „Cava“, ihr nach den beiden Anfangsbuchstaben ihrer beiden Vornamen benanntes Geschäft eröffnet habe, komme diese Frau jeden Montag zu ihr in den Laden wegen eines Kleidungsstücks. Natürlich lasse sie sich nicht jede Woche etwas machen, sondern ein oder zweimal im Jahr; aber es seien „die schönsten Kleider, die man sich vorstellen kann!“ Manchmal Korsagen-Kleider, manchmal Röcke aus Tüll – „immer unglaublich weiblich“, beschreibt Wilbert und strahlt.

Bei dieser Kundin handele es sich keineswegs um eine Millionärsgattin aus der „Geld-spielt-keine-Rolle“-Fraktion, sondern um eine Angestellte, die mit ihrem ganz persönlichen Stil eigentlich in ein anderes Jahrhundert gehöre. „Und das macht die, um…“ – „Nein, nicht um aufzufallen“, beendet Wilbert lächelnd meine Frage. Dafür sei die gar nicht der Typ. Auch nicht, um ihrem Mann zu gefallen. „Das macht sie ganz allein für sich!“

„Für meinen Stundensatz würde manch einer nicht mal aufstehen!“

„Toll!“, stelle ich fest, „aber das kostet ja sicher auch eine Kleinigkeit.“ Das  bestätigt Wilbert nickend. „Aber bei dieser Kundin nehme ich nicht meinen normalen Stundensatz, und nach 40 Stunden Arbeit höre ich sowieso auf zu zählen.“ Sie lacht. Denn im Gegensatz zu ihren anderen Entwürfen, die verkaufbar sein müssten, könne sie sich hierbei so richtig austoben. „Und das macht mir selber wahnsinnig Spaß.“

Diesen Spaß hat die dreifache Mutter nicht immer. Wenn Kundinnen mit dem teuersten Kinderwagen-Modell reinkommen und um Rabatte feilschen wollen, vergeht er ihr beispielsweise. „Wissen Sie, für meinen Stundensatz würde manch einer nicht mal aufstehen“, sagt Wilbert. „Wenn das Auto kaputt ist, die Toilette verstopft oder die Waschmaschine nicht abläuft, blättert man für den Handwerker ohne mit der Wimper zu zucken dreistellig Beträge hin.“ Aber wenn der Eigenentwurf einer Hose 150 Euro kostet, ist man empört.

„Es gibt zwei Konsumwelten und die werden immer extremer“

„Glücklicherweise nicht alle“, betont Wilbert. Sie habe auch Kundinnen, die nicht nach dem Preis fragten, sondern sagten: „Es kostet, was es kostet“, was in ihren Augen „ein unglaublicher Vertrauensbeweis“ sei. „Haben Sie den Eindruck“, frage ich, „dass auch in Ihrer Sparte die Schere immer weiter auseinandergeht? – Die 44-Jährige nickt. „Es gibt zwei Konsumwelten, und die werden immer extremer. Und dazwischen ist praktisch nichts.“

Diese beiden Welten – auf der einen Seite Luxus oder Extra-Anfertigung und auf der anderen Seite Textildiscounter wie Primark – hätten auch nichts mit Gesellschaftsschichten zu tun. „Ich habe Kundinnen, die sparen gezielt auf ein bestimmtes Stück hin.“ Kürzlich sei eine gekommen, die schon seit Wochen um ein bestimmtes Kleid geschlichen sei, und habe ihr das Geld dafür in lauter Fünf-Euro-Scheinen hingelegt“, erzählt Wilbert sichtlich gerührt.

„Die Bekleidungsindustrie ist die allerschlimmste“

„Für diese Menschen hat Kleidung noch eine Wertigkeit“, betont die Geschäftsfrau und berichtet von Kleiderinseln oder Klamottenbergen wie in der Atacama-Wüste: Für einen Appel und Ei in China gefertigt und schon wenig später in Chile gesorgt. „So viele Kleider, wie da verrotten, kann die Menschheit gar nicht mehr tragen!“, klagt die 44-Jährige. „Das ekelt mich an wie Kükenvernichtungsanlagen und Massentierhaltung.“

Sie selber, erzählt sie, wasche jeden einzelnen Stoff vor dem Nähen erstmal zu Hause in ihrer Maschine. Weshalb sie das tut, wird mir klar, als sie anfängt, Bilder zu zeichnen von Menschen in Indien oder China, die mit nackten Beinen in einer hochgiftigen Suppe aus Schwermetallen und Chemikalien stehen, die von den Färbereien oft illegal in die Flüsse geleitet würden. „Glauben Sie mir: Die Kleidungsindustrie ist die allerschlimmste!“

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