Serie„Zwei Kaffee, bitte!“Zulieferer prangert Hygienemängel in Kölner Restaurants an

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Rocco Conte sitzt in einem Café.

Rocco Conte beliefert Kölner Restaurants.

Wie reagieren Menschen, was erzählen sie, wenn man sie auf der Straße anspricht und zum Kaffee einlädt? Darum geht es Susanne Hengesbach in ihrer Rubrik „Zwei Kaffee, bitte!“

Selten ist mir so sehr der Appetit vergangen wie im Gespräch mit diesem Mann, der seit 20 Jahren genau das tut, was seiner Meinung nach in Köln viel zu selten passiert: Rocco Conte schaut in Restaurant-Küchen. Über das, was er da sieht, ist er häufig selber erschrocken und mitunter fassungslos. Allenfalls fünf Prozent der Gastronomiebetriebe, so seine Schätzung, hielten sich in puncto Sauberkeit, Qualität und Nahrungsmittelhygiene an die Vorgaben.

Woher er das wisse, frage ich. Er versorge Restaurants, die italienische beziehungsweise mediterrane Küche anbieten, mit Produkten. Daher habe er Einblick in die Bereiche, die dem Gast in der Regel verborgen bleiben. „Sie sehen alles?“ Conte nickt. „Io vedo tutto“ bestätigt der 39-Jährige auf Italienisch und meint damit nicht nur die Küche, sondern auch Keller, Kühlräume und Lager. Seiner Mimik nach zu urteilen sind vor allem Letztere oft in einem Zustand, den er lieber nicht näher beschreibt. 

Susanne Hengesbach

Susanne Hengesbach

Mitglied der Lokalredaktion des „Kölner Stadt-Anzeiger“ seit 1985. In ihren knapp 38 Dienstjahren interessierten sie immer wieder Geschichten von und über Menschen – ungewöhnliche wie auch alltägliche...

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Ich laufe Conte auf der Dürener Straße über den Weg, wo er gerade ein Lokal mit Lebensmitteln beliefert hat. Er würde gerne mit mir sprechen, versichert er, aber er wolle natürlich keinen Betrieb reinreißen. Das verstehe ich gut. Mich interessiert, wo es seiner Meinung am meisten im Argen liegt. „Ich kenne die Restaurant-Szene in dieser Stadt sehr gut“, unterstreicht er. Ein großes Problem sei, dass die HACCP-Regeln (Hazard Analysis Critical Control Points), die laut Lebensmittelverordnung für alle Betriebe, die Lebensmittel verarbeiten oder produzieren, bindend seien, viel zu wenig beachtet würden; auch deshalb, weil den meisten Menschen, die in Küchen beschäftigt seien, diese in Hinblick auf Sauberkeit wichtigen Kontrollpunkte gar nicht bekannt wären.

Auf den Boden gefallenes Fleisch wird zurück in die Pfanne geworfen

Ich bitte Conte um Beispiele. „Da wird der gefrorene Fisch auf dem Tisch liegen gelassen – ungeachtet einer Temperatur von 26, 28 oder sogar 30 Grad im laufenden Küchenbetrieb.“ Da werde tiefgekühlte Ware – Fleisch oder Fisch – einfach mit heißem Wasser übergossen, damit sie schneller auftaut. Da werden Fleischstücke, die beim Ruckeln der Pfanne auf dem Herd über den Rand hüpfen und zu Boden fallen, aufgehoben und zurück in die Pfanne geworfen. Da werden Lappen am Ende des Tages nicht in einer Chlorlösung desinfiziert, sondern tagelang weiterbenutzt. Eigentlich muss der Kühlschrank jeden Abend gesäubert werden.

Auf meine Frage nach dem Händewaschen zieht Conte eine Grimasse. Kürzlich, berichtet er, habe er einen Pizzabäcker beobachtet, der unmittelbar nach der WC-Nutzung wieder mit den Händen am Mehl herumgefuhrwerkt habe. Mein Gegenüber spricht von Rost und Schimmel in Küchen, von völlig verdreckten Arbeitsplatten, von alten Fettresten in Pfannen, abgelaufenen Teigwaren und Kühlräumen, in denen sowohl offene Lebensmittel als auch Bierfässer gelagert werden, die zuvor über die Straße gerollt worden sind. „Wenn ich weiter spreche, Signora, wollen Sie nie mehr essen gehen!“

„Eigentlich müsste heutzutage jedes Lokal eine Behinderten-Toilette haben“, fährt mein Gegenüber fort. Eigentlich müssten Abzugssysteme so konstruiert sein, dass sich niemand draußen von Geruch belästigt fühlen könne. „Es gibt heute Dunstabzugshauben, die saugen jeden Geruch auf.“ Eigentlich müsse jeden Abend der Kühlschrank ausgeräumt, gereinigt und desinfiziert werden. Eigentlich müsse die Küche einmal im Jahr mit einer abwaschbaren Farbe neu gestrichen werden. Conto formuliert noch weitere Sätze mit „eigentlich“, und ich glaube ihm sofort, dass er nach besonders ekligen Beobachtungen mitunter Salbe gegen Lippenherpes braucht.

Zu wenig Kontrollen in Kölner Restaurants

„Wie viel Prozent der Küchen, die Sie sehen, sind völlig indiskutabel?“, frage ich. Rund 65 Prozent seien „schifoso“, sagt der Italiener, was so viel wie ekelhaft oder fies heißt. „Oh Gott!“, stöhne ich. „Wo kann ich denn guten Gewissens hin?“ – Aus seiner Sicht ist zum Beispiel das Etrusca und das Restaurant von Luis Dias vorbildlich. Aber viele andere seien… Er macht eine wegwerfende Armbewegung. 

„Woran liegt das Ihrer Meinung nach?“, frage ich. – „Es gibt viel zu wenig Kontrollen!“, betont Conte. Bevor ein Betrieb seine Konzession erhalte, komme das Ordnungsamt und überprüfe die Örtlichkeiten. „Aber da wird oft ein Auge zugedrückt.“ Das habe durchaus auch wirtschaftliche Ursachen, glaubt mein Gegenüber. Würde all das überprüft, was laut Vorschrift vorhanden sein müsste – auch die Einhaltung der HACCP-Vorschriften – hätte kaum ein Lokal eine Chance, eröffnet zu werden. Für die Lebensmittelhygiene sei ohnehin das Veterinäramt zuständig, und das schreite nur dann ein, wenn eine Beanstandung vorliege. „Also praktisch erst, wenn bereits jemand im Krankenhaus liegt.“

„Vielen Gastronomen ist die Gesundheit ihrer Gäste gleichgültig“

Was ihn richtig fuchsig mache, sei nicht nur die Tatsache, dass praktisch keine Nahrungsmittel- bzw. Lebensmittel-Hygiene-Kontrollen stattfinden, sondern dass vielen Gastronomen „das Wohl und die Gesundheit ihrer Gäste“ augenscheinlich gleichgültig sei.

Er selber sei vielfach auch entsetzt über das, was seine Landsleute ihrer Klientel als vermeintlich italienisches Produkt vorsetzen. Das fange beim schlechten Cappuccino an, gehe mit gepanschtem Wein oder Olivenöl weiter und setze sich beim Parmaschinken fort, der zwar als „made in Italy“ deklariert, aber in Rumänien oder anderswo produziert werde. „Signora, ich frage Sie – was hat billiger, geschmolzener Gouda auf einer original italienischen Pizza zu suchen?“

39 Betriebe wurden geschlossen

„Nichts - niente“, stimme ich zu. Aber ist es tatsächlich so schlimm um hiesige Gastronomie-Küchen bestellt? Das möchte ich jetzt auch von der Stadt Köln wissen. Die Antwort: Bei den insgesamt 1609 Plankontrollen sowie den 488  außerplanmäßigen Kontrollen (etwa aufgrund von Beschwerden), die in diesem Jahr bis Mitte Dezember in Restaurants und Imbissbetrieben durchgeführt wurden, hat man in 208 Fällen keine Beanstandungen festgestellt. In den übrigen Fällen gab es Mängel (zumindest kleine) und in 39 Fällen waren sie so gravierend, dass der Betrieb geschlossen werden musste.

Nach Angaben der Stadt sind 28 Lebensmittelkontrolleure und -kontrolleurinnen im Einsatz, die auch die Eigenkontrollsysteme (HACCP-Richtlinien) im Auge haben. Ob wirklich nur fünf Prozent aller Betriebe vorbildlich sind, wie Rocco Conte meint, kann die Stadt nicht beantworten, „da wir nur Momentaufnahmen des baulichen und hygienischen Zustands einer Küche sehen“.

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