Premiere für Schüler15-Jähriger predigt mit Spickzettel in der Kölner Lutherkirche

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Die beiden stehen vor dem Altar. Hinter dem Altar hängt ein großes rötliches Tuch.

Jonathan Öhlmann (l.) und Hans Mörtter in der Kölner Lutherkirche.

Jonathan Öhlmann hatte am Wochenende seinen großen Auftritt in der Südstadt. Ähnlich wie ein Schulreferat bereitete er eine Predigt vor.

Wer am letzten Sonntag den Gottesdienst in der Lutherkirche in der Kölner Südstadt besucht hat, der konnte eine Premiere erleben. Die Predigt wurde von Jonathan Öhlmann, einem 15-Jährigen, gehalten. Die Idee, einen Schüler predigen zu lassen, hatte der ehemalige Gemeindepfarrer Hans Mörtter

„Als Pastor Mörtter mich gefragt hat, ob ich die Predigt übernehmen wolle, habe ich sofort zugesagt. Da bei dem Gottesdienst zwei Kinder getauft werden sollten, war mir auch klar, dass ich meinen Taufspruch ,Alle Dinge sind möglich dem, der da glaubt’ aus dem Markus-Evangelium zum Thema machen würde“, sagt Jonathan, zieht seinen Spickzettel aus der Hosentasche, geht zum Mikrofon und beginnt völlig unaufgeregt zu sprechen.

Kölner Pfarrer: „Wir müssen uns von der Depressionsnummer befreien“

„Ich kenne Jonathan seit seiner Geburt, ich habe ihn getauft. Er ist ein Kind der Südstadt. Der Junge ist klar in seinen Gedanken, er kann Sachen sehr präzise benennen, er beobachtet gut und ist ein sehr wachsamer Zeitgenosse. Ich wollte einfach ausprobieren, ob es funktioniert“, sagt Mörtter. Der Pastor im Ruhestand, der für seine unkonventionellen Ideen und Vorgehensweisen bekannt ist, findet, dass der Service in der Kirche nicht mehr zeitgemäß ist. Die Gottesdienste müssten anders gestaltet werden, die Musik und die Lieder moderner werden, die Orgel anderen Instrumente weichen. Die gesamte Liturgie mit den immer gleichen Texten müsse auf den Prüfstand.

Ich habe die Predigt wie ein Schulreferat vorbereitet
Jonathan Öhlmann, Schüler

„Mit der Predigt von einem 15-Jährigen möchte ich ein Zeichen setzen. Wir Älteren müssen den Jüngeren zuhören, erfahren, was sie von der Kirche erwarten und die Botschaft umsetzen, damit der Kirchgang für junge Familien und auch Jugendliche wieder in den Blickwinkel rückt. Wir müssen uns von der Depressionsnummer befreien, nicht immer beten: ,das ist meine Schuld’ oder ,führe mich nicht in Versuchung’. Die Botschaft muss lauten: ,Du bist nicht alleine im Universum, du brauchst dich nicht zu fürchten’.“ Das Experiment des pensionierten Südstadtpfarrers scheint zumindest an diesem Sonntag gelungen.

Lutherkirche in der Südstadt: Besucher applaudieren 15-Jährigem

Nach der Predigt, die Jonathan Öhlmann in freier Rede gehalten hat, gab es Applaus und viel Lob von den Gottesdienstbesuchern. „Ich fand es hervorragend, dass so ein junger Mensch hier mal vorne stand und seine Gedanken ausgesprochen hat. Seine Botschaft, es sei alles möglich, dem der daran glaubt, ist in diesen schwierigen politischen Zeiten sehr berührend“, resümierte Angela Hombach. „Ich fand das sehr inspirierend. Für das, was er sagen wollte, hat er sehr gute Worte gefunden. Ich glaube, dass die Idee, die Jugend mit einem zentralen Gottesdienst-Element zu betrauen, sehr weitsichtig ist. Die Kirche braucht dringend eine Öffnung“, betonte Petra Pisu.

Jonathan selbst sagte im Anschluss an den Gottesdienst, er habe die Situation etwas unterschätzt. „Ich habe die Predigt wie ein Schulreferat vorbereitet. Das Ganze hatte einen roten Faden, aber ich muss noch üben, wie man vor Publikum richtig vorträgt, damit das Gesagte auch ankommt.“ Jonathan Öhlmann kommt aus einem engagierten christlichen Elternhaus, er hat noch einen jüngeren Bruder und zwei kleine Schwestern. In zwei Jahren möchte er am Hildegard von Bingen-Gymnasium sein Abitur machen und dann am liebsten Medizin studieren.

„Ich bin Goldschürfer, was die Menschen angeht. Ich entdecke gerne Talente, und Jonathan ist so eine Entdeckung“, sagt Pfarrer Mörtter nach dem Gottesdienst und fügt schmunzelnd hinzu: „Wenn ein Unternehmen weniger Umsatz macht, dann muss es sich auf dem Markt neu orientieren. Nun sind Kirchen keine Unternehmen. Aber wenn ich als Pfarrer merke, es kommt keiner zu den Gottesdiensten, dann kann ich doch nicht die Hände in den Schoß legen, sondern ich muss handeln.“

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