Veedels-CheckWarum die gute Mischung in der Neustadt-Süd in Gefahr ist

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Veedelscheck Neustadt-Süd6

Häuserzeile in der Volksgartenstraße

  • Dieses Veedelsporträt ist Teil unserer großen Stadtteil-Umfrage, an der sich 33.000 Leser beteiligt haben.
  • Die Ergebnisse des Veedelschecks veröffentlichen wir nach und nach unter www.ksta.de/veedelscheck

Köln-Neustadt-Süd – Wer sich von Asja Bölke durch die Südstadt führen lässt, stellt fest, dass man sich diesem Viertel, das für viele Mythen steht, auch ganz nüchtern nähern kann. Wer die sozial bewegte Vergangenheit, die Verdrängungsängste der Alteingesessenen im am dichtesten besiedelten Stadtteil Kölns und die Kämpfe um die Deutungshoheit über seine Geschichte ausblendet, dem öffnet die Stadtführerin einen Blick auf das, was das Wesen des gesamten Stadtteils Neustadt-Süd mit Rheinauhafen, Südstadt, Volksgarten, Roonstraße, Rathenauplatz und Aachener Weiher schon immer mitbestimmt hat: Bölke erläutert die Bebauung.

Und immer fängt sie an mit der Stadtmauer, die für die Neustädte weichen musste. Platz für die Ende des 19. Jahrhunderts unter dem Druck der Industrialisierung rasant wachsende Stadt musste her. Die dichten Neustädte entstanden rund um die Altstadt – rasch, aber längst nicht planlos.

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Wer mit Bölke in die Hinterhöfe blickt, sieht, wie sich Baumeister Josef Stübben, dem die Gestaltung oblag, die moderne Stadt vorstellte. Er plante von der Stadtmauer zu den Ringen, von ihm als elegante Boulevards erdacht, und südlich davon neue Viertel. Auch enge Arbeiterhäuser sollten sich zwischen den großzügigeren Bürgerhäusern finden.

Das fällt längst nicht mehr sofort auf, weil manche Fassaden bürgerlich protzen und doch nur die Enge der Wohnungen dahinter verbergen. Weil mittendrin mit dem Volksgarten ein Park gestiftet wurde, der die umliegenden Straßen wie ein Villenviertel erscheinen lässt. Weil zuletzt die Wiederbelebung des Rheinauhafens seit Anfang des Jahrtausends zahlungskräftige Mieter und vermögende Eigentümer anzog. Weil immer mehr Altbauten saniert und Baulücken geschlossen wurden. Trotz allem wuchs aus Stübbens Plan später das, wofür besonders die Südstadt beliebt ist: Vielfalt auf engstem Raum.

Ein Beispiel: der Hinterhof an der Elsaßstraße. Väter spielen mit ihren Kindern Basketball. Andere bolzen auf die Metalltore, und am gegenüberliegenden Ende der Senke sitzen Heranwachsende auf Bänken vor Graffiti und kiffen. „Das war eigentlich immer eine Gegend, die als nicht so gut galt“, sagt Bölke.

Heute ist es kein Arbeiterviertel mehr. Aber die so begehrte große Altbauwohnung sucht man hier vergebens, und viele Familien wohnen immer noch in günstigen Wohnungen. So dicht gedrängt die sozialen Gegensätze, so kühn aufwärts gestapelt wirken die Rückseiten der Häuser. Der Anblick löst ähnliche Empfindungen aus, wie der Satz, der vielen auf der Zunge liegt, wenn sie die Frage hören, was ihr Viertel ausmacht. „Hier stimmt die Mischung“, sagen sie. Und oft folgt: „Noch“.

Hier zahlen die Bewohner die höchsten Mieten der Stadt

Inzwischen zahlen die Bewohner im Schnitt die höchsten Mieten der Stadt. „Die Mischung“, das ist das Nebeneinander von Kaffee-Röstereien, türkischen Friseuren, Hipster-Burgerlokal, Kölschkneipe und italienischem Laden auf der Bonner Straße. Das sind die Boutiquen auf der Merowingerstraße, die Restaurants auf der Alteburger Straße, das Boxcenter, Discounter und Handwerksbetriebe am Bonner Wall, das irre Treiben am Wochenende auf der Zülpicher Straße und das befriedete Viertel direkt daneben am Rathenauplatz, wo Anwohner einen familienfreundlichen Biergarten betreiben.

Und zur Mischung trägt sicher auch die Nähe zum Vringsveedel bei, im Nachbarstadtteil gelegen und viele Jahre als Sanierungsgebiet vor Veränderungen geschützt. Theoretisch verläuft die Grenze entlang der Ringe. Die Südstadt, das gefühlte Veedel mit dem größten Identifikationspotenzial in der Neustadt, sprengt diese Zuordnung aber. Sie umfasst – je nachdem, wen man fragt – verschiedene Teile der südlichen Alt- und Neustadt.

Gemeint ist mit der Bezeichnung aber ohnehin eher ein Milieu. Legendär ist das Nachtleben, das sich in den 1970er und 1980er Jahren hier ausgebreitet hat. Befördert wurde die Entwicklung von der Stollwerck-Besetzung. Künstler, Musiker, Schauspieler und Studenten erkämpften sich Freiräume und entdeckten den günstigen Wohnraum in der Neustadt für sich. Vom „Eldorado der Szenekneipen“ spricht der Journalist und Stadtführer Martin Stankowski.

„Jeder ist hier wie alle und doch ein wenig anders“

Der Schriftsteller Dieter Wellershoff beschrieb 1989 die „Kneipentouristen“, die aus der ganzen Stadt kamen, um im Opera, im Out, im Radio, im Filos oder im Chlodwigeck zu trinken: „Jeder ist hier wie alle und doch ein wenig anders, und miteinander spielen sie das durch: Wer bist du? Wer bin ich?“ Und er versuchte das Versprechen zu fassen, das dem innewohnte: „Wo so viele zusammenkommen, besteht begründeter Verdacht, dass jederzeit das Leben beginnen könnte.“ Gilt das noch? 

Viele der Künstler sind weg, manche der Kneipen ebenfalls. Geblieben sind die, die sich die Mieten noch leisten können. Und die, die irgendwann Eigentum erworben haben. Böse Zungen hegen den Verdacht, dass diejenigen, die früher am längsten an der Theke standen, heute die ersten sind, die die Polizei rufen, wenn es ihnen draußen zu laut wird. Und natürlich sind Neue hinzugekommen: solche, die die hohen Mieten bezahlen können oder solche, die nicht viel Platz brauchen. Die Veränderungen sind gewaltig, und manch einer erkennt sein Veedel nicht wieder. 

Derzeit diskutiert die Südstadt hitzig über ein Straßenfest. Die Veranstalter, junge Leute aus der Gastronomie und Veranstaltungsbranche, nennen es Nachbarschaftsfest und orientieren sich am autofreien „Tag des guten Lebens“. Die Kritiker, darunter prominente Protagonisten der wilden Jahre und Kneipenwirte, die lange vom zechfreudigen Publikum profitiert haben, fühlen sich bevormundet. „Wir brauchen niemanden, der uns zeigt, wie Nachbarschaft funktioniert“, sagen sie. Die Hedonisten, die Jungen, die inzwischen erfolgreich im Nachtleben mitmischen, gelten ihnen als unpolitisch, als „zu kommerziell“.

Ausverkauf der Südstadt?

Sie werfen ihnen den Ausverkauf der Südstadt vor und verbünden sich mit denen, die ohnehin immer wollen, dass alles so bleibt, wie es früher nie war. Ob sich die Veränderungen mit der Einstellung aufhalten lassen? Wenn in ein paar Jahren die Innenstadt nach Süden erweitert wird, wenn der Großmarkt im angrenzenden Bayenthal zur Parkstadt wird, fallen Hunderte Arbeitsplätze für Ungelernte weg.

Die Wohn- und Bürogebäude, die stattdessen gebaut werden, stehen künftig direkt am verlängerten Grüngürtel. Welche Auswirkungen das auf die Südstadt haben wird, ist offen. Sicher ist: Um Stübbens Mischung wird das gesamte Viertel kämpfen müssen. 

Die Veedels-Geschichte der Neustadt-Süd

Die Stadterweiterung, mit der die Neustadt-Süd entstand, begann  1880 mit dem Abriss der mittelalterlichen Stadtmauer. Die Größe der Stadt verdoppelte sich damit. Etwa zeitgleich entstanden die Pläne für den Rheinauhafen. Bis ins erste Jahrzehnt des 20. Jahrhunderts wurden die Neustädte bebaut. Viele Straßen wurden sternförmig angelegt und dort, wo sie sich treffen, sind Plätze oder markante Bauten wie die Lutherkirche zu finden. 1890 wird der Volksgarten eröffnet, 1892 das erste städtische Elektrizitätswerk am Zugweg. 

Die Gründerzeithäuser überstanden den Krieg zwar vergleichsweise gut, wurden allerdings danach in großer Zahl abgerissen. Sie galten als wenig modern. Oft fehlten Bäder und Toiletten. Später erfuhr die Architektur des Historismus, so der Fachbegriff der Kunsthistoriker, wieder größere Wertschätzung, auch dank der günstigeren Mieten in den – damals abschätzig so genannten – Altbauten. (phh)

Die größten Baustellen der Neustadt-Süd

Heute muss die Neustadt-Süd oft herhalten, wenn Gentrifizierung beklagt wird: die Aufwertung von Quartieren und die Verdrängung der weniger zahlungskräftigen Bewohner. Soziologen sind der Ansicht, dass diese Entwicklungen besonders in der Südstadt zu beobachten sind. Die soziale Mischung wäre damit in Gefahr und viele fürchten, dass auch der Zusammenhalt schwindet. Stadtplaner und Soziologen sind sich einig, dass sich das effektiv nur verhindern lässt, wenn genug neue und bezahlbare Wohnungen entstehen. Enorme Bedeutung zumindest für die Südstadt haben deshalb die Pläne für die Parkstadt Süd. Auf dem heutigen Großmarktgelände, das unmittelbar angrenzt, sollen bis zu 4000 Wohnungen entstehen. Ein Drittel müsste nach geltenden Vorgaben als Sozialwohnungen ausgewiesen werden.

Wenn ein weiterer nennenswerter Anteil von Unternehmen wie etwa Genossenschaften oder kirchlichen Unternehmen errichtet wird, besteht die Chance, dass anschließend auch Mietswohnungen im mittleren Preissegment angeboten werden. Für das künftige Viertel, aber auch für die heutigen Bewohner der Neustadt, ist außerdem die Verkehrsanbindung eine großes Problem. Verstopfte Hauptstraßen, Schleichverkehr in den Wohnvierteln, volle Busse und Bahnen – vielleicht sorgt die Nord-Süd-Stadtbahn für Entlastung, wenn sie eines Tages die Einsturzstelle am Waidmarkt passieren kann. (phh)

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