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„Zeitreise des Kakaos“Kölner Schokoladenmuseum stellt sich  unbequemen Fragen

Lesezeit 4 Minuten

Henriette Reker, Christian Unterberg-Imhoff, Museumschefin Annette Imhoff und Ministerpräsident Hendrik Wüst bei der Eröffnung der neuen Ausstellung im Schokoladenmuseum.

Das Schokoladenmuseum hat seine neue Ausstellung „Zeitreise des Kakaos“ eröffnet. Die Präsentation stellt sich vielen unbequemen Fragen.

Mit einem prächtigen Fest am Rheinufer hat das Schokoladenmuseum seine neue Ausstellung eröffnet. Seit 2018 hat Kölns Publikumsmagnet insgesamt rund zehn Millionen Euro in die Modernisierung gesteckt. Den Abschluss bildet nun die „Zeitreise des Kakaos“, für die über drei Millionen Euro investiert wurden. Das Museum spricht vom „kulturgeschichtlichen Herzstück“. Es zeigt die Geschichte der Schokolade, wie sie in der über dreißigjährigen Entwicklung von Kölns erfolgreichsten Museums noch nicht zu sehen war. Die wichtigste Neuerung: Die Ausstellung stellt sich intensiver allen unbequemen Fragen. Die Geschichte der Schokolade ist eng verknüpft mit kolonialistischer Ausbeutung, Zwangsarbeit und Sklaverei. Die Präsentation thematisiert rassistische Werbung genauso wie die ökologischen Folgen des Kakao-Anbaus. Den Ausstellungsmachern um Kuratorin Andrea Durry ist es gelungen, die schwierigen Themen in ein weiterhin sehr sinnliches Ausstellungserlebnis zu integrieren.

Einladung zum Perspektivwechsel

Zur Eröffnung führte Museumschefin Annette Imhoff NRW-Ministerpräsidenten Hendrik Wüst und Oberbürgermeisterin Henriette Reker durch die neu gestalteten Räume. Die Zeitreise durch die rund 5000 Jahre lange Geschichte beginnt im tropischen Dickicht des Amazonasbeckens, wo der Kakao auch medizinische und religiöse Bedeutung hatte. Die Sammlung von Original-Exponaten indigener Kultur verbindet sich mit multimedialen und interaktiven Präsentationen, die zum Perspektivwechsel einladen. Die Ausstellung zeigt, wie mit den Kakaoplantagen der Kolonialherren der Siegeszug der Schokolade in Europa begann. Sie erzählt das Kapitel des „blutigen Kakaos“ nicht mehr als Heldengeschichte europäischer Entdecker und Eroberer. Sie lädt dazu ein, die Sicht der Ausgebeuteten einzunehmen.

Das geschieht auf angenehm sachliche Art und Weise. So wurde im Vorfeld des Umbaus auch über den Umgang mit der weltbekannten Figur des „Sarotti-Mohrs“ gestritten. Die Ausstellungsmacher entschieden sich dafür, ihn weiter zu zeigen und dabei so zu nennen, wie er Generationen in Erinnerung geblieben ist. Zur Einordnung in den Kontext rassistischer Werbung sind nicht viele Worte und kein erhobener Zeigefinger nötig. Neben der Figur empfiehlt eine Schrifttafel darüber nachzudenken, „was Millionen erleiden mussten, bevor du mit mir für ein Foto posierst“. Über dem Jungen mit rot-blauem Turban steht „Ich bin ein Sklave!“ 

Ein Schokoladenservice aus dem 18. Jahrhundert aus Meißen

Mit Liebe und Leidenschaft für das Thema des Museums präsentierte Imhoff der Prominenz aus Politik und Stadtgesellschaft ihr Lieblingsausstellungsstück aus der Zeit, als heiße Schokolade zum Luxusgut der europäischen Oberschicht wurde: Eine „Zittertasse“ aus Porzellan mit einem auf der Untertasse montierten Geländer sollte verhindern, dass Kakao auf die Laken tropfte, während man das Heißgetränk schon vor dem Aufstehen im Bett genoss. Im 19. und 20. Jahrhundert wurde die Schokoladen zunehmend zum Genussmittel für jedermann. Im Museum wird am Beispiel der beliebten Leckerei die Geschichte der Industrialisierung erzählt, bevor man schließlich in einem knallbunten „Karussell der Gefühle“ voll eigener Kindheitserinnerungen landet.

Ein knallbuntes Karussell voller Kindheitserinnerungen

Die Beschäftigung mit der weltumspannenden Geschichte der Schokoladenproduktion soll für die Gegenwart inspirieren, so die Museumschefin, die nach einer bemerkenswerten Rede auf der Terrasse des Museums anhaltenden Applaus der vielen Gäste der Eröffnungsfeier bekam. Annette Imhoff erinnerte an ihren Vater und Museumsgründer Hans Imhoff. Der Schokoladenfabrikant und Kölner Ehrenbürger hatte behauptet, dass er wohl der einzige Mensch sei, der ein „Herz aus Schokolade“ habe. „Er hatte oft Recht, aber hier irrte er sich“, sagte Imhoff, um dann aus dem sinnlichen Bild des Vaters einen Gegenentwurf zum „Herz aus Stein“ zu machen. Sie warb für Empathie und kritisierte aktuelle Trends, wie sie in den USA bereits umgesetzt werden: „Im Land der Sklavenbefreiung und der Bill of rights ist es Regierungsangestellten neuerdings verboten, in offiziellen Mitteilungen die Worte black, racism oder diversity zu nutzen.“ Die radikalen Kürzungen in der Entwicklungshilfe würden die Nachfahren derer treffen, die früher als Sklaven und Zwangsarbeiter ausgebeutet wurden, so Imhoff. All das würde eher in längst vergangene Zeiten passen, als der Staatsrechtler Montesquieu noch lapidar feststellte: „Sklaverei muss sein. Sonst wird der Zucker zu teuer.“ Ohne ihn namentlich zu nennen, nahm Imhoff Donald Trump ins Visier: „Die Welt als Markt, der Deal als das Maß aller Dinge. Wer daran glaubt, hat sicher kein Herz aus Schokolade.“ Klar sei: „Ein Selbstläufer ist die Idee von Kultur und Menschenwürde nicht. Sie muss sich immer wieder neu begründen.“

Das waren überraschende Worte zur festlichen Eröffnung mit „Bio-Entenleber im Schokoladen-Anis-Crêpe“ und „Fiocchi queso y peras auf Zartbitter-Schokoladen-Creme“. Politik am Schokoladenbrunnen ­– da staunten auch Ministerpräsident und Oberbürgermeisterin, die sich das in ihren Reden offensichtlich nicht getraut hatten. Die neue Ausstellung wird zu weiteren Diskussionen anregen, vielleicht auch museumsintern. Denn eine Achillesferse ist bei aller kritischer Bestandsaufnahme doch geblieben. Das Schokoladenmuseum ist seit 2006 eng mit der Firma Lindt verbunden, die für das Museum produziert und das Restaurant beliefert. Der Schweizer Schokoladenhersteller steht in der Kritik, weil mutmaßlich manches von dem, was das Museum nun thematisiert, bei seiner Produktion nicht beachtet wird. So gibt es Kritik an intransparenten Lieferketten und Nachfragen zu ökologischen Standards. 2024 ging eine Reportage des Schweizer Fernsehens dem Verdacht nach, dass Lindt von Kinderarbeit in Ghana profitieren könnte.