„Granatsplitter in allen Körperteilen“Kölner Arzt behandelt Kriegsverletzte aus der Ukraine

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Ein Airbus A310 MedEvac der Bundeswehr startet vom Flughafen Köln/Bonn, um kriegsverletzte Ukrainer nach Deutschland zu holen.

Ein Airbus A310 MedEvac der Bundeswehr holt vom Flughafen Köln/Bonn aus kriegsverletzte Ukrainer zur Behandlung nach Deutschland.

Bertil Bouillon, Chef der Unfallchirurgie und Orthopädie in Merheim, spricht über die Behandlung von Kriegsverletzten aus der Ukraine. 

In deutschen Kliniken sind seit der russischen Invasion in der Ukraine viele Hundert Kriegsverletzte operiert worden. Wie wird die Versorgung der Patienten organisiert?

Prof. Bertil Bouillon: Wir haben das Kleeblattsystem aus der Corona-Pandemie reaktiviert, um die strukturierte und bedarfsgerechte Behandlung zu gewährleisten. Die Betroffenen werden zunächst in einen europäischen Pool aufgenommen, Katastrophenschutz und Gesundheitsbehörden kümmern sich dann um die Verteilung. Parallel dazu haben wir unser bestehendes Trauma-Netzwerk benutzt, dem in Deutschland 650 Kliniken angeschlossen sind.

Porträt von Bertil Bouillon, Direktor der Klinik für Orthopädie, Unfallchirurgie und Sporttraumatologie am Klinikum Köln-Merheim

Bertil Bouillon, Direktor der Klinik für Orthopädie, Unfallchirurgie und Sporttraumatologie am Klinikum Köln-Merheim

Welche Rolle haben Sie?

Alles zum Thema Kliniken der Stadt Köln

Prof. Lechleuthner, Leiter des städtischen Rettungsdienstes in Köln, organisiert die Verteilung der Verletzten in Nordrhein-Westfalen. Er kontaktiert mich mit einer aktuellen Liste, ich mache einen Vorschlag, wer mit welchem Verletzungsmuster wo am besten aufgehoben wäre, er entscheidet. Über einige Monate war das eine große Herausforderung, weil doch sehr viele Menschen hier versorgt wurden. 

Die meisten Menschen aus Kriegsgebieten kommen mit schwersten Verletzungen, Granatsplitter in allen Körperteilen
Prof. Bertil Bouillon

Sie haben in Merheim selbst Kriegsverletzte operiert. Mit welchen Verletzungen kommen die Menschen aus der Ukraine zu Ihnen?

In Merheim sind bislang zwölf Patienten gelandet, die auf offiziellem Weg über das Kleeblatt gekommen sind – dazu deutlich mehr auf privatem Weg. Die meisten Menschen aus Kriegsgebieten kommen mit schwersten Verletzungen, die meistens mindestens zwei Wochen alt sind. Die offenen Wunden sind oft mit Bakterien infiziert. Viele Antibiotika kommen dagegen nicht an. Klassisch sind Schussverletzungen.

Granatsplitter in allen Körperteilen. Kopf, Rumpf, Arme, Beine, Gefäße und Nerven sind verletzt, viele Quetschverletzungen, auch Querschnittslähmungen. Besonders erinnere ich mich an ein elfjähriges Mädchen, das Metallsplitter im Hirn hatte. Wir konnten sie erfolgreich operieren, aber sie wird bleibende Schäden haben.

Viele der Patienten sind nicht nur körperlich verletzt.

Das ist eine besonders große Herausforderung. Die meisten Kriegsverletzten sind schwer traumatisiert. Das elfjährige Mädchen zum Beispiel dachte bei jedem der Frachtflugzeuge, die nachts in kurzen Abständen über Merheim fliegen, es sei Fliegeralarm, sie müsse in den Bunker. So geht es vielen Menschen, die wir behandeln.

Wie bereiten Sie sich auf die Operation von Verletzungen vor, die in Friedenszeiten nicht vorkommen?

„Die Toten des Terrorangriffs von  Bataclan waren ein Gamechanger“

Wir haben uns auch aufgrund von Terrorangriffen wie jenem im Pariser Bataclan-Viertel auf solche Szenarien vorbereitet. Die insgesamt 130 Toten dort waren für uns ein Gamechanger: Seitdem stehen regelmäßige Kurse mit Medizinern der Bundeswehr auf der Tagesordnung.

Es gibt einen engen Austausch und Fortbildungen zu Schuss- und Kriegsverletzungen. Die Stichverletzungen haben in den vergangenen Jahren leider auch ohne Kriege zugenommen.

Woran liegt das aus Ihrer Sicht?

Wir wissen es nicht. Vermuten lässt sich, dass die Hemmschwelle für brutale Gewaltanwendungen gesunken ist. Wir behandeln allein in Merheim im Schnitt jede Woche vier bis fünf Menschen mit Stichverletzungen, mindestens ein oder zwei von ihnen landen im OP. Solche Fallzahlen gab es vor 20 oder 30 Jahren bei weitem nicht.

Die Behandlung von Kriegsverletzten ist aufwendig und oft auch teuer. Wird sie refinanziert?

Die Fallpauschalen gelten auch für die Patienten aus der Ukraine. Und die sind nicht kostendeckend, weil wir für überdurchschnittlich viele Menschen an die letzten Antibiotika-Reserven gehen müssen. Da kann allein das Medikament 6000 Euro pro Tag kosten – es gibt Fälle, da zahlen wir allein 60.000 bis 80.000 Euro für die Antibiotika – das deckt keine Fallpauschale ab. Wenn wir die Patienten bestmöglich versorgen, gucken wir allerdings nicht aufs Geld.

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