Vom Unterschlupf zur grünen OaseWie sich die Funktion von Kleingärten in Köln verändert hat

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Verschiedene Pflanzenarten wachsen und blühen in den Klettenberger Kleingärten.

Verschiedene Pflanzenarten wachsen und blühen in den Klettenberger Kleingärten.

Nach dem Zweiten Weltkrieg kamen in den Kleingärten viele Menschen unter, was heute verboten ist. Stattdessen erfüllen sie nun ganz andere Zwecke. Eine Zeitreise.

Ein Schmetterling flattert durch den Garten im Kleingärtnerverein Klettenberg. Sein Pächter, der Gartenfachberater des Vereins, Raimo Becker-Haumann, ist begeistert: „Ein Schwalbenschwanz. Den haben wir hier schon seit Jahren nicht mehr gesehen.“ Das Insekten- und Artensterben ist mittlerweile ein Thema in den Kleingärten, genauso wie ökologische Zusammenhänge und der Klimawandel.

Vieles hat sich geändert, seit der Verein vor 100 Jahren gegründet wurde, wie sehr viele andere dieser Grünanlagen in Köln auch. Es waren keine Hobbyvereine. Die ersten Gärten entstanden aus der puren Not. Im Ersten Weltkrieg beackerten die Menschen jedes freie Stückchen Land, Öd- und Brachland, Schuttstellen und Ziegellöcher. Nach der Erlaubnis der Eigentümer fragte niemand. Nach dem Krieg beendete die Stadt das anarchistische Kleingärtnern, forderte die Gründung von Gartenbauvereinen.

Nach dem Ersten Weltkrieg: Kleingärten dienten zum Anbau von Gemüse und der Erholung

Der damalige Oberbürgermeister Konrad Adenauer sprach sich höchstpersönlich dafür aus, dass der ärmeren Bevölkerung Gärten zur Pacht überlassen werden. Pachtgärten wurden durch die Hyperinflation und die dadurch bedingte Not wieder zu einer wichtigen Möglichkeit, sich mit Obst und Gemüse selbst zu versorgen. Aber auch der Erholungswert spielte eine Rolle sowie ein gesellschaftlicher Auftrag: Die Kinder sollten von der Straße geholt werden und die Männer aus der Kneipe. Die Kleingärten sollten aber auch Bestandteil der grünen Lunge der Stadt sein.

Raimo Becker-Haumann vor seinem Garten in Klettenberg.

Raimo Becker-Haumann vor seinem Garten in Klettenberg.

Auch nach dem Zweiten Weltkrieg spielte er zur Selbstversorgung der Bevölkerung eine große Rolle, aber nicht nur. Ausgebombte Bürger errichteten dort Behelfsheime, wohnten notdürftig in Lauben. Die Wohnungsnot führte allerdings auch dazu, dass die Hälfte der ursprünglich 900 Klettenberger Kleingärten in den 50er-Jahren Neubauten weichen musste. Mit dem wirtschaftlichen Aufschwung sank der Stellenwert der Gärten. Gartenzwerge hausten nun dort hinter akkurat geschnittene Hecken. „Die buchstabengetreue Erfüllung der Kleingartenordnung stand im Mittelpunkt des Geschehens“, schildert Becker-Haumann. „Das wird heute allerdings eher mit Nasenrümpfen bedacht.“

Klettenberger Kleingärten versorgen die Stadt mit Frischluft

Die Kleingärten haben wieder an Bedeutung gewonnen, in anderer Hinsicht als früher: „Das Alleinstellungsmerkmal des Kleingärtnervereins Klettenberg besteht darin, dass er wichtiger Teil eines Frischluftkorridors ist, durch den Wind aus südwestlichen Richtungen in die Stadt zieht, zur Belüftung“, sagt Becker-Haumann. „Wir liegen in der Vorzugswindrichtung.“

Auch die Bepflanzung der Anlage hat sich geändert. Die Ziergehölze der Gartenzwergzeit sind verschwunden, Thujahecken verboten. Heimische Pflanzen sollen Insekten als Nahrung dienen, die wieder Fledermaus- und Vogelfutter sind. „Zur möglichst ökologischen Gartengestaltung“, erläutert Becker-Haumann, „gehört auch, dass es kleine Ecken gibt, in denen sich einmal ein Igel zurückziehen kann, und einen Saum, in dem Schmetterlingslarven und Käfer den Winter überstehen können, sowie dass Laubstreu unter Hecken und Gehölzen Schutz bietet für allerlei Getier.“

Kleingärten in Köln: Blaukugeldisteln, Kürbisse und Zucchini ziehen Schmetterlinge an

Der Boden solle möglichst bepflanzt sein. „Das Laub und absterbende Wurzeln bilden Humus und befördern das Bodenleben. Regenwürmer, Asseln und andere Tiere spalten die pflanzlichen Abfallstoffe weiter auf, sodass sie Pflanzen als Nährstoffe zur Verfügung stehen“, führt Becker-Haumann aus. Die Bewässerung in Zeiten der Klimaerwärmung spielt ebenso eine Rolle. Von Pächtern aus der Türkei haben die Klettenberger Kleingärtner etwas gelernt: „Sie haben uns gezeigt, wie man Pflanzen in Kuhlen setzt“, sagt Becker-Haumann. „So werden sie weniger stark besonnt. Die Vertiefung bietet einen Windschutz. Wasser sammelt sich darin.“

In seinem Garten stehen Apfelbäume, wachsen Blaukugeldisteln, Kürbisse, Zucchini, Kartoffeln, Artischocken, Rhabarber, Tomaten, Mangold, Rote Beete und Doldengewächse, denen ein gewisser Schmetterling nicht widerstehen kann: der Schwalbenschwanz.


Kleingartenvereine in Köln in Zahlen

In Köln gibt es derzeit 116 Kleingartenvereine mit rund 13.000 Kleingärtnern und Kleingärtnerinnen. Insgesamt verteilen sich auf städtischem Gebiet in etwa 625 Hektar Kleingartenfläche. Dies entspricht rund 1,5 Prozent des rund 40.500 Hektar großen Stadtgebietes. Der Generalpächter, der Kreisverband Kölner Gartenfreunde e.V., verpachtet diese weiter an die Vereine.

Er wurde ebenfalls bereits 1920 gegründet. Vertreter des Verbandes haben mit Mitgliedern des Stadtrats, des Beirats bei der Unteren Landschaftsbehörde und der Stadtverwaltung die neue Kleingartenordnung erarbeitet, die am 1. Januar 2023 in Kraft trat. Nach deren Präambel dienen die Kleingärten der Eigenversorgung, der Gesunderhaltung und Erholung, der sinnvollen Freizeitgestaltung und dem Erhalt beziehungsweise der Verbesserung der ökologischen Verhältnisse (Klima- und Artenschutz). (se)

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