„Absolut schrecklich“Kölner Schneiderin gibt ihren Laden in Sülz auf

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Eine Frau mit langen braunen Haare steht lächelnd an einem Schneidertisch.

Nicole Schönemann, Inhaberin der Boutique und Schneiderei N.Schönemann auf der Berrenrather Straße

Der Sülzer Schneiderin Nicole Schönemann fällt der Abschied von ihrer Heimatstadt nicht schwer, sondern nur der von den Menschen in Köln. 

Nach fast sieben Jahren Fernbeziehung habe irgendwann die Frage im Raum gestanden: „Zieh’n wir zu mir oder zu Dir?“, erklärt sie lachend. Köln habe ihr die Entscheidung leicht gemacht. „Schauen Sie sich hier doch mal um!“, sagt die 53-Jährige und deutet zur Straße.

Köln-Sülz: Viele Leerstände auf der Berrenrather Straße

Auf der einen Seite der heruntergekommene, seit mindestens fünf Jahren stillgelegte Kiosk nebst der verwaisten Textilreinigung daneben. Auf der anderen Seite ein ebenfalls seit kurzem leergeräumtes Ladenlokal, gegenüber die Milchglasfenster des bis 2019 bestehenden Stempel- und Gravurladens. Der Abschnitt sei zum schlimmsten Stück der Berrenrather Straße verkommen. „Absolut schrecklich!“

Vier Jahrzehnte lang war die Boutique und Schneiderei ein Paradebeispiel für inhabergeführten Einzelhandel „mit persönlicher Betreuung“, wie Sebastian Berges, der Apotheker aus der Nachbarschaft betont. Und nun wieder ein Stück Vielfalt fort. 

Schon die Mutter schneiderte Damengarderobe in Köln-Sülz

Schönemanns Mutter Hannelore Gebel begann 1984 mit dem Entwerfen und Schneidern von Damengarderobe und hatte die Idee, auch individuelle Karnevalskostüme zu schneidern. Im Jahr 2000 übernahm Tochter Nicole das Geschäft. Sie fokussierte sich noch mehr auf jecke Entwürfe, sodass sie heute mit Fug und Recht behaupten kann, Tausende von Kölnerinnen mit einzigartigen Kostümen ausgestattet zu haben. Wer für die kommende Session noch ein Original-Schönemann-Teil tragen möchte, muss sich sputen.

Eine Ladenfront ist zu sehen, auf dem Fenster prangt der Schriftzug Sale.

Das Ladenlokal der Schneiderei von Nicole Schönemann. Sie hört Ende des Jahres auf.

Außerhalb der Session fertigte die Schneiderin seit jeher Damenkleider nach Wunsch. „Ich habe Stammkundinnen, die ihre gesamte Garderobe bei mir in Auftrag gegeben haben“, erzählt die Kölnerin, deren älteste Auftraggeberin eine 93-Jährige ist. „Aber jetzt habe ich das Gefühl, dass es reicht.“ Ihrem eigenen „Bedürfnis nach krasser Veränderung“ stehe der Eindruck entgegen, dass in ihrer Stadt „nichts mehr passiert“.

Liebe zu Köln sei einem Heimatgefühl gewichen

Wenn sie ab und zu mal in die Innenstadt komme – etwa, wenn sie einen besonderen Reißverschluss benötige – denke sie jedes Mal: „Was ist denn hier los?“ Überall Baustellen. Leerstand, Dreck. „Als Kölnerin empfinde ich das als sehr befremdlich!“ Ihre einstige Liebe zu Köln habe nicht mehr viel mit der Stadt zu tun, „sondern eher mit einem Heimatgefühl“, weil Familie und Freunde hier seien.

Dass die liebevoll dekorierten Schaufenster des Geschäfts im Frühjahr anonymen Milchglasscheiben weichen werden, steht indes nicht zu befürchten. Tochter Jocelyn und Sohn Philipp werden sich ab Mai 2024 in den Räumlichkeiten verwirklichen. Sie selber werde natürlich noch regelmäßig zu Besuch kommen.

Stammkundinnen, die jetzt schon mit Tränen in den Augen im Laden stehen und fragen: „Was sollen wir ohne Sie nur machen?“, werden künftig aus dem neuen Atelier in Leipzig versorgt. Natürlich tragen dann auch die Uniformen des Karnevalsvereins Schnieke-Funke 0815 e.V., deren Mitglied und Gewandmeisterin Nicole Schönemann ist, nicht mehr das Label „Made in Cologne“.

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