Metzgereien in KölnDer Fleischwurst-Blues

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Sein Sohn Jakob Bernhard steht hinter der Theke, Ehefrau Edith in der Küche.

Sein Sohn Jakob Bernhard steht hinter der Theke, Ehefrau Edith in der Küche.

Köln – Wenn Jakob Höller nachts um 3 Uhr aufsteht, um in seine Metzgerei zu fahren, kontrolliert er vorher seinen Blutzucker. Ist er zu niedrig, isst der 73-Jährige ein Stück Schokolade. Nach einer Katzenwäsche fährt er in den Betrieb an der Dellbrücker Hauptstraße. Opa Jakob hat hier Fleischwurst, Leberwurst, Blutwurst, Schinken und Knacker hergestellt, als Deutschland noch einen Kaiser hatte. Dessen Sohn Jakob hat den Betrieb samt Wurstrezepten nach dem Zweiten Weltkrieg übernommen. Die Metzgerei Höller zählt zu den ältesten der Stadt. 1957 ist Jakob Höller als dritter Metzger ins elterliche Geschäft eingestiegen. Seit zehn Jahren ist sein Sohn Bernhard Jakob verantwortlich, Höller Senior steht nach wie vor sechs Tage die Woche um 3.30 Uhr vor dem Fleischwolf, dem so genannten Kutter, um Speck, Barteln und Backen von Rind und Schwein in Wurst zu verwandeln. Für ihre Fleischwurst ist die Metzgerei Höller bekannt.

Geschäftesterben

Der Beruf des Metzgers hat sich in 114 Jahren wenig verändert. Die Einstellung der Menschen zum Fleisch radikal. Und damit nicht nur der Ruf des Metzgers: Die Zukunft der Zunft ist unsicher geworden. In Köln gab es Mitte der 1950er Jahre über 450 Fleischerfachgeschäfte. 1970 waren 365 Metzger bei der Kölner Fleischer-Innung registriert. Schlachten galt da noch als Teil der öffentlichen Daseinsvorsorge, den Schlachthof betrieb die Stadt. Aktuell gibt es in Köln 44 Innungsbetriebe. „Wir gehen davon aus, dass in den nächsten 25, 30 Jahren rund 30 Metzgereien überleben werden“, sagt Artur Tybussek, Geschäftsführer der Fleischer-Innung Köln.

Es liegt nicht daran, dass die Menschen weniger Fleisch verzehren – obwohl es mehr Vegetarier und Veganer gibt: Seit Jahrzehnten isst der Durchschnittsdeutsche 60 Kilo Fleisch pro Jahr. 39 Kilo Schwein, 11 Kilo Geflügel, neun Kilo Rind und Kalb. „Geflügel wird mehr nachgefragt, Schwein weniger“, sagt Jakob Höller. Dem Familienbetrieb hat das Aufkommen der großen Supermärkte Ende der 1960er Jahre zu schaffen gemacht, später dann die Expansion der Discounter.

Sohn Bernhard Jakob glaubt, dass die Skandale dem Geschäft am meisten schaden. „BSE, Gammelfleisch, Pferdelasagne, Hühnerpest. Immer, wenn so was aufkommt, ist bei uns Flaute im Laden. Und ein paar Kunden kommen nicht mehr wieder.“

Die Herkunft der Tiere

In Dellbrück hat es zu Wirtschaftswunder- und Sonntagsbratenzeiten 13 Metzger gegeben. Heute gibt es den Betrieb der Höllers und den Biometzger Krentzel. „Wir stören uns nicht groß“, sagt Höller senior, „von Bio halte ich nicht so viel, aber die Leute wollen es halt.“ Es gehe darum, wie ein Tier getötet wird und wo es herkomme, sagt Höller. „Und das wissen wir. Die herkömmliche Landwirtschaft und die Bio-Produkte können die Menschen nicht ernähren.“ Jakob Höller hat die Tiere früher selbst geschlachtet. „Ich könnte es nicht mehr, mir würde dann schlecht“, sagt er. Aber sein Betrieb bekommt noch ganze Schweine geliefert. Höller weiß, wovon er redet, wenn er von Nutztieren spricht.

Am Mittwochvormittag ist an der Theke eine kleine Schlange. Die Dellbrücker Hauptstraße ist eine Einkaufsmeile aus vergangenen Zeiten. Eigentümergeführte Geschäfte, Schreibwarenhandel, Bäckereien, Eiscafé, inzwischen auch Bio-Laden und Bio-Metzger. Die Menschen, die zu den Höllers kommen, werden indes älter.

Und für das Geschäft findet sich kein Nachwuchs. Schon lange sucht der Betrieb einen jungen Metzger, der gut Wurst machen kann. Weil junge Menschen den einst angesehenen Handwerksberuf nicht mehr erlernen wollen – und auch, weil „in vielen Betrieben nicht mehr gut ausgebildet wird“, sagt Höller.

„Viele der Leute, die sich bei uns vorstellen, wissen nicht mehr, wie man ein Schwein zerteilt“, sagt Günter Kirfel, der seit 40 Jahren mit Jakob Höller Würste macht. Kirfel spritzt Fleischmasse mit Hilfe eines so genannten Vakuumfüllers in rote Naturin-Därme, keine 20 Sekunden braucht er für eine Fleischwurst. Jakob Höller kommt wie ein gutmütiger Riese daher, Kirfel ist bissiger. „Viele, die sich vorstellen, haben zwar Abitur und einen Meister, können aber das Handwerk nicht“, sagt er. „Unsere Lehrlinge kamen oft aus Bayern“, erinnert sich Höller. „Dort haben die Leute einen anderen Bezug zum Fleisch.“

Fleischer-Kooperationen gab es in Köln schon zur Römerzeit. Bis 1348 war üblich, das Fleischgewicht zu schätzen, der Rat drang darauf, zu wiegen. Die Politik löste nach einem Streit die Fleischerkorporation auf.

Anfang des 15. Jahrhunderts wurde der Schlachthauszwang eingeführt, 1869 die Cölner-Metzger-Innung gegründet. Der Ehrenfelder Schlachthof öffnete 1895. 44 lnnungsbetriebe gibt es aktuell in Köln. (uk)

40 Kilo Fleisch, ein Eimer Eis

Kirfel zeigt eine Fleischwurst im hellen Naturdarm: „Die könnten Sie so nicht verkaufen, die Farbe sieht zu sehr nach Tier aus.“ Die Menschen, sagt er, „wollen nicht mehr wissen, was Wurst ist“.

Mittwoch ist Brühwursttag. Kirfel fertigt Fleischwürste, Höller bestückt den 65000 Euro teuren Kutter. Zu 40 Kilo Fleisch kommt ein Eimer Eis – die Masse muss kalt bleiben, damit das Eiweiß nicht ausflockt. Das Duo trägt Plastikschürzen, auf denen Fleischstückchen und Blut kleben. Ihre Handflächen sind rissig. Sechs Tage in der Woche verarbeiten sie zusammen Vieh.

Höller schneidet eine noch warme Fleischwurst auf. „Mein zweites Frühstück“, sagt er. „Aber ich esse weniger inzwischen. Alles in Maßen. Ich habe ja Zucker.“ Seine Frau Edith steht in der Küche, belegt Brötchen und schweißt Aufschnitt ein. Wie ihr Mann sorgt sie sich um die Zukunft des Familienbetriebs. Sohn Bernhard hat noch keine Kinder. „Aber er ist ja erst 42. Wir hoffen noch.“ „Aber sie muss wohl aus einer Metzgerfamilie kommen, sonst gibt es zu wenig Verständnis“, sagt ihr Mann.

Edith Höller kommt aus einer Kölner Metzgerfamilie. Die 71-Jährige kennt es nicht anders, als zu arbeiten. Um kurz nach sieben kommt sie in die Küche, um Salate zu machen. Gegen 18.30 Uhr verlässt sie das Geschäft. „Die Ansprüche der Kunden sind größer geworden“, sagt sie. „Je weniger Geld da ist, desto mehr wollen die Leute haben.“ Kürzer treten? Würde sie gern, ja. Aber auch die Metzgersküche und die Verkaufstheke sind bei der jüngeren Generation nicht beliebt. „Im vergangenen Jahr ist unsere Küchenfee gestorben“, sagt Edith Höller, die sich wie ihr Mann erstaunlich frisch gehalten hat. Eine neue Fee haben die Höllers bislang nicht gefunden. Sie grübeln, wie ihr Laden überleben kann, wenn sie irgendwann nicht mehr können und ihr Sohn alleine hinter der der Theke steht. „Ich denke jeden Tag darüber nach“, sagt Jakob Höller. „Ich glaube, es gibt keine Lösung.“

Hohe Auflagen

Sohn Bernhard Jakob sagt, den kleinen Metzgereien wäre schon geholfen, wenn die Auflagen nicht ständig erhöht würden. Zuletzt mussten die Höllers neue Türen anbringen, Lichtschranken installieren und Rohre, aus denen sofort heißes Wasser kommt. „Das sind Auflagen wie in der Industrie.“ Jakob Höller senior wünscht sich manchmal, er wäre in Frankreich. „Da liegen die Hähnchen und Schweineköpfe in den Auslagen. Uns würden sie den Betrieb sofort zumachen bei so etwas. Dem Franzosen ist Fleisch noch was wert. Dem Deutschen leider nicht.“

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