Serie Köln früher und heuteDer Wilhelmplatz ist seit 125 Jahren das Herz von Nippes

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Der Wilhelmplatz in einer Aufnahme von 1934.

Der Wilhelmplatz in einer Aufnahme von 1934.

Schon im Jahr 1900 gab es auf dem Wilhelmplatz in Nippes Markttage. Fast 125 Jahre später gibt es dort an sechs Tagen pro Woche frische Lebensmittel.

Schon frühmorgens erwacht auf dem Wilhelmplatz das Leben. Obst- und Gemüsehändler Recep Özel jedenfalls beginnt um 6 Uhr mit dem Aufbau seines Stands, vorher hat er schon seine Einkäufe auf dem Großmarkt erledigt. Um 8 Uhr kommen dann die ersten Kunden, testen kritisch Erdbeeren, kaufen Weintrauben, Tomaten oder Kartoffeln.

Auch auf anderen Märkten hat der 27-Jährige schon gearbeitet, aber vor allem samstags sei es nirgends so voll wie auf dem Wilhelmplatz in Nippes. Und dann gibt es natürlich das Alleinstellungsmerkmal, das auch Recep Özel nicht ohne Stolz hervorhebt: Der Wilhelmplatz sei der einzige Platz in Köln, auf dem an allen sechs Werktagen Wochenmarkt stattfinde.

Köln: Die Geschichte des Wilhelmplatzes ist als Buch erhältlich

Als „Bauch von Nippes“ wurde das knapp 3500 Quadratmeter große Beinahe-Quadrat deshalb schon bezeichnet. Angelegt wurde es 1899 nach Plänen des Kölner Stadtbaurats Hermann Josef Stübben, damit auch die nicht landwirtschaftlich tätige Bevölkerung wie Beamte oder Arbeiter mit frischen Lebensmitteln versorgt werden konnte. Für Reinhold Kruse ist es vielmehr „dat Hätz vun Neppes“.

Der Nippeser hat die Chronik des Wilhelmplatzes in einem Buch festgehalten. „Der Nippeser Markt ist heute der einzige Kölns, der wegen seines Publikums, seiner Beschicker und seines Angebotes an einen Basar erinnern lässt, hier gehen Orient und Okzident ineinander über“, resümiert er darin. Marthe Berens, Mitinhaberin des „Kaffeekiosks“ am Rande des Marktgeschehens, sieht es ähnlich: „Ein bunteres Publikum als hier gibt es an keinem Platz, hier mischen sich die Hipster mit Alteingesessenen.“

Das Foto zeigt den Wilhelmplatz.

Der Wilhelmplatz in Nippes 2023

Das Nippeser Herz schlägt nun seit fast 125 Jahren. Der allererste Markttag auf der ursprünglich „Wilhelmsplatz“ getauften und danach mal mit und mal ohne „s“ bezeichneten Fläche datiert auf den 24. Juli 1900. Die „Markt-Polizeiverordnung“ regelte damals, was noch heute gilt: „In Nippes wird an jedem Wochentage auf dem Wilhelmsplatz (…) Markt gehalten.“ Doch kurz darauf war es damit schon wieder vorbei, es fehlte an Käufern und in der Folge auch an Verkäufern.

Der Markt sei „endlich wieder eingegangen“, schrieb der „Kölner Stadt-Anzeiger“ 1901: „Den Hausfrauen wird der Einkauf von Gemüsen und dergleichen auf andere Weise bequemer gemacht. Zahlreiche herumziehende Händler, Männer und Frauen, bieten tagsüber auf den Straßen ihre Waren feil und melden sich durch Rühren der Hausklingeln sowie durch Ausrufe an, die ihrer melodischen Vielseitigkeit wegen bei der Jugend ein tausendfältiges Echo finden.“ 1904 startet ein erfolgreicher Versuch, den Markt wiederzubeleben. 1914 können erstmals Bananen angeboten werden.

Köln: Müll und Verkehr am Wilhelmplatz werden heiß diskutiert

Die meisten der benötigten Grundstücke für den Markt bekam die Stadt von Branntweinbrenner und Gastronom Paul Bolder überlassen. Angeblich mit der Auflage, dass sie täglich als Markt und nachmittags als Spielplatz genutzt werden. „Aber dafür haben wir keinen Beleg gefunden“, sagt Reinhold Kruse. Trotzdem wird das Gerücht noch in den 1970er Jahren von protestierenden Eltern herausgekramt, die beklagen, dass ihre Kinder auf dem Wilhelmplatz nicht spielen können, weil dort Autos parken.

Ohnehin wird in all den Jahren hart um den Wilhelmsplatz gerungen, Müll und Verkehr sind immer wieder heiß diskutierte Themen. 1970 werden Pläne bekannt, wegen des steigenden Parkdrucks unterhalb des Platzes eine Tiefgarage zu bauen. Erst 1988 werden sie nach Protesten begraben. Auch Überlegungen, die Zahl der Markttage zu reduzieren, müssen mehrfach zu den Akten gelegt werden.

Deutsche Geschichte verdichtete sich auf dem Wilhelmsplatz wie unter einem Brennglas. 1923 trieb die Hyperinflation die Preise für ein Pfund Tomaten auf fünf Millionen Mark. Kommunisten und Nationalsozialisten gingen sich an die Wäsche, bevor ab 1933 die Nazis das Ruder übernahmen. „Hering, Hering, so dick wie der Göring“, soll ein holländischer Fischverkäufer gerufen haben und dafür ein paar Tage in Haft genommen worden sein. Danach soll er nur noch gerufen haben: „Hering, Hering, so dick wie vörje Woch!“

Köln: Die Nazis nutzten den Wilhelmplatz als Treffpunkt

Hitlerjugend und „Bund deutscher Mädel“ nutzten den Platz als Treffpunkt, jüdische Anwohner wurden drangsaliert und deportiert und viele Gebäude schließlich durch alliierte Bombardierungen zerstört. Darunter auch das stattliche Postamt an der Ecke Wilhelmstraße/ Christinastraße, dessen Turm so sehr einem Kirchturm ähnelte. Die Post gibt es an derselben Stelle noch immer, allerdings in einem Nachkriegsbau.

Bei allem Schrecken und Ärger: Auch zum Feiern treffen und trafen sich die Nippeser gern auf dem Wilhelmplatz, der nach der angrenzenden Wilhelmstraße benannt ist. 1960 eröffnete die Nippeser Bürgerwehr zum ersten Mal hier den Straßenkarneval – zwei Stunden, bevor es auf dem Alter Markt losgeht. „Das Dreigestirn kommt schon um 9.11 Uhr und zieht dann in die Innenstadt“, sagt Reinhold Kruse nicht ohne schelmische Freude: „Und da erzählen sie um 11.11 Uhr, sie würden den Straßenkarneval Kölns eröffnen.“

Einen weiteren Aufreger will der Nippeser Stadtteil-Chronist allerdings nicht unerwähnt lassen. Der multifunktionale Pavillon, unter dessen Dach Anfang der 1990er Jahre Toiletten, Kiosk, Trafostation und Bühne zusammengefasst wurden, sei architektonisch „total misslungen“. Schon bei der Eröffnung sei Oberbürgermeister Norbert Burger 1992 ausgebuht worden. Marthe Berens, die ihren Kiosk in einem der beiden Pavillon-Sockel betreibt, hat sich allerdings arrangiert mit dem von Burger als „Tadsch Mahal von Nippes“ titulierten Bauwerk. Sogar „ein bisschen liebgewonnen“ habe sie es. Denn auf den Stufen unter dem riesigen Dach könne sich jeder hinsetzen und sein Bierchen trinken. „Praktisch und sonderbar“ sei das doch. Das trifft im Grunde auf den ganzen Wilhelmplatz zu.


Reinhold Kruse, „100 Jahre Markt auf dem Wilhelm(s)platz“, Edition Nippes, ISBN 3-9804119-2-3 www.nippes-geschichte.de

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