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Peter Brings befragt sein IdolUdo Lindenberg: „Ich höre Brings beim Joggen“

Lesezeit 8 Minuten
  1. Der kölsche Star Peter Brings trifft den nationalen Superstar Udo Lindenberg zum Interview.
  2. Ab 20. Mai ist Udo Lindenberg auf Tour, am 17. Mai wird er 70 Jahre alt.
  3. Am 29. April erscheint Lindenbegrs erstes Studioalbum seit acht Jahren.
  4. Peter Brings feiert das 25-jährige Band-Jubiläum mit einem Konzert im Rhein-Energie-Stadion.

Köln – Ich fühle mich wie ein kleiner Junge, der sein Idol trifft“, sagt Peter Brings im Foyer des WDR-Funkhauses. Nicht der Journalist, Brings wird heute die Fragen stellen.

Udo schlurft mit der obligatorischen Udo-Ausstattung in den Besprechungsraum: Zigarre, Sonnenbrille, Hut, grüne Socken. Udo nimmt Peter in den Arm, setzt sich, bläst den Rauch durch die markanten Lippen, sagt: „Ich bin die Reinkarnation von Helmut Schmidt, halte die Raucherfahne für ihn hoch, ne. Wie geht’s, wie steht’s, Peter?“

Peter Brings lacht, schon pocht sein Puls nicht mehr am Hals. Kölner Star trifft nationalen Superstar, zwei Reptilien mit Thekentimbre, Instinktmenschen, die blitzschnell erfassen: Alles easy, super Typ da.

Pioniere der deutschen Texte

Peter Brings: Mein erstes Album von dir war „Daumen im Wind“. Ich dachte: Revolution! Deutsche Texte und kein Schlager!Udo Lindenberg: Klar, deutsch, wir sind ja Pioniere, 1972 war das, irgendwann musste es ja klappen mit deutschen Texten.

Brings: Deine Texte waren für uns 20 Jahre später mit ausschlaggebend, dass wir Deutsch gesungen haben – das heißt: Kölsch.Lindenberg: Ja, Kölsch, cool, ich hör euch beim Joggen, AC/DC, Brings, Robert Schumann ...

Brings (lacht): Ende der 1970er kamt ihr mit eurer Tour Dröhnland-Symphonie in die Sporthalle, ich war 14. Du bist über die Bühne geschwankt, alle haben dich gefeiert – ich habe danach beschlossen: Den Job will ich auch.Lindenberg: Is ja auch ein geiler Job. Die Dröhnland-Symphonie hat ja Peter Zadek gemacht, Theater, Rockshow, mit Schlitten über die Bühne, schön breit, locker, leicht, schwanky, schwanky ...

Brings: Du hast den Leuten gesagt, sie sollen nicht so viel saufen, warst aber selbst total hacke.Lindenberg: Hauptberuflich Schluckspecht, klar, das war so, mache ich schon lange nicht mehr. Jetzt höchstens noch gezieltes Geballer, ansonsten fit bleiben für die Shows. Ich gehe jede Nacht joggen, das hält geschmeidig.

Brings: Nachts? Ich jogge jeden Tag. Hast du einen Fitness-Doc, der dir sagt, was du essen sollst, wann du laufen musst und so?Lindenberg: Ich habe eine Kickboxerin, die mit mir trainiert. Und ich mach Training mit Elektroschockern, so verkabelt. Zieht rein bis auf die Knochen.Brings: Vor der Tour die Folter ...Lindenberg: … nachts laufen, tags Stromschläge, muss sein.

Warum Musiker wie Wein sind

Man stellt sich Udo Lindenberg jetzt verkabelt vor, sehr dünn, blass, zuckend – ein Überlebender des Rock’n’Roll, alles für die Musik. Ab 20. Mai ist er wieder auf Tour einen Tag vor dem Tourneestart in Gelsenkirchen wird er 70.

Haben Spaß beim Interview: Peter Brings und Udo Lindenberg.

Brings: Was hättest du Leuten gesagt, die dir vor 30 Jahren gesagt hätten: Im Stadion rufen 50.000 Udo, Udo, wenn du 70 bist?Lindenberg: Geiler Traum.

Brings: Das musste so kommen. Die guten Musiker werden im Alter immer besser, die schlechten werden sauer, wie beim Wein.Lindenberg: Klar, Alter steht für Radikalität und Meisterschaft. Alte Männer sind gefährlich, die Zukunft ist ihnen egal. Meistens dauert sie ja nicht mehr so lang, ne. (Er pafft an seiner Zigarre)Brings: Darf ich auch rauchen?Lindenberg: Logo, klar, warum fragst du? Wir machen gerade einen Hunderter-Club auf, Rock’n’Roll hält jung, 100 ist kein Alter. Trittst du ein, Peter?Brings: Klar, bin dabei.Lindenberg: Als sich so alt war wie du jetzt, bin ich mächtig abgeschwirrt, 10.000 Kalorien am Tag mit Whiskey Cola, nur noch ein Rock&Roll-Mops. Aber so früh abzutreten, ist auch nicht so dolle.

Brings: Warst du im Suff auch kreativ oder im Gegenteil?Lindenberg: Viele Texte habe ich im Brausebrand geschrieben, nüchtern gegengelesen und gemerkt: oh, zu grell. Oder ich habe nüchtern geschrieben und breit drübergeguckt und gemerkt: ah, zu trocken. Bis ich es dann irgendwann ein paar Jahre extrem übertrieben habe, ne. Habe dann das Ruder rumgerissen, um ohne Sanitäter am Amazonas zu spazieren.

Brings: Wenn wir irgendwann da oben sind, wissen wir, ob es richtig war, etwas solider zu werden.Lindenberg: Ich freunde mich mit der mir angenehmeren Version an – dass es da oben weitergeht, Musik, nette Menschen, bisschen Party, schön was starten und so.Brings: Wir machen eh weiter, bis wir umfallen. Die ganzen Leute warten lassen, geht ja nicht.Lindenberg: Man ist ein Alien. Kennst du die Story, dass ich von einem Meteoriten abgestürzt bin und in Gronau auf einem Doppelkornfeld gelandet bin? Die Geschichtsschreiber haben gesagt, das war 1946. 70 also. Aber 70 bedeutet für mich Led Zeppelin, Hendrix, Rock’n’Roll, ne.

Brings: Als du 50 warst, haben wir uns Mal getroffen, bei einem Konzert gegen rechts. Da warst du etwas derangiert …Lindenberg: Ich kam mit einem Jetlag aus New York, zum Runterkommen 15 Doppelkorn oder so.

Vom Rock'n'Roll-Leben ins Reihenhaus

Brings könnte nun aus seinem Leben erzählen – über Alkohol und andere Drogen, Rock’n’Roll-Leben, es gibt reichlich Parallelen. Brings ist irgendwann umgeschwenkt, er lebt mit Frau und Kindern in einem Reihenhaus in Neuehrenfeld. Lindenberg wohnt seit Jahrzehnten im Hotel.

Udo Lindenberg spielt seine neuen Lieder vor.

Brings: Als ich 16, 17, war, dachte ich: Ich will Rockstar werden – egal, was morgen wird. Jetzt habe ich drei Kinder großgezogen. Ich habe alles probiert und geschmeckt – und weiß, das reicht. Familie ist super. Das aber kompatibel mit Rock’n’Roll zu machen ist eine Gratwanderung.Lindenberg: Ja, verrückt, nicht zu verrückt, ein Tanz auf der Rasierklinge. Ich habe auch mal überlegt, wieder fest irgendwo zu wohnen, mache aber meinen Streifen lieber weiter: Zwitschere im Hotel, eine Welt für die Nachtigall. Ich habe ja nicht Familie, Kinder und so, lieber Flexibel-Betriebe, aber daran gedacht habe ich schon mal.

Brings: Warum hast du dich dagegen entschieden?Lindenberg: Ich habe Freunde, Band, Komplizenfrauen als Familie. Ich wollte irgendwann nicht mehr meine Nerven auf der Strecke lassen für eine Liebesbeziehung. Habe mir gesagt: Du musst ready sein für die Shows. Ist auch sehr privilegiert, ich kann in der Welt rumzischen, kleiner Koffer, Reizwäsche, Kreditkarte drin, grüne Socken, geiles Leben.

Brings: Ich hatte bei deinen Liedern immer das Gefühl, da ist einer, der kennt dich. Alle denken bei deinen Liedern ans erste Mal knutschen, vögeln …Lindenberg: … Petting, und alles klemmt … ja, man hat vieles gemeinsam durchgemacht, und das Beste kommt noch. Machst du auch gerade neue Sachen?Brings: Wir haben unser Jubiläum, das Stadion wird voll, über 46.000 Tickets sind weg …Lindenberg: 46.000, geil.

Brings: Die großen Bühnen sind ein Riesenprivileg, aber es ist auch Druck. Ich habe immer geguckt, was du gemacht hast. Als ich deine Unplugged-Shows aus dem Atlantic gesehen habe, da dachte ich: So muss das sein. Jan Delay, Clueso, mit den Jungen einen raushauen.Lindenberg: Klar, das sind ja zeitlose Sachen, „Cello“ habe ich 1973 aufgenommen.

Brings: Mein Englisch war einfach zu schlecht, deswegen haben wir Deutsch gesungen. Und du?Lindenberg: Ich dachte auch, es muss Englisch sein, um ein Weltstar zu werden, ich konnte aber nicht genau genug singen, was ich fühle. Ich habe an Deutsch geglaubt, getrickst und gemacht – und „Andrea Doria“ wurde Number one beim NDR. Das hat viele ermutigt – BAP und dich in Köln, zum Beispiel, ne. Deutsch ist ja auch ’ne geile Sprache, kann man alles mit machen.

Weltmeister im Nuscheln

Brings: Du bist ja auch Weltmeister im Worte erfinden ...Lindenberg: Und im Nuscheln! Ich kann aber auch sehr deutlich singen, habe ich bei Reinhard Mey gelernt. Ich bin Dauernuschler aus Prinzip, singen geht sehr deutlich.

Brings: Deine Lieder von der Platte „Rock Revue“ liebe ich besonders – da hast du Rock’n’Roll-Klassiker auf Deutsch eingespielt.Lindenberg: Wo kommt Rock’n’Roll her, die Rebellion, die Haltung, Dylan, Hendrix, Harry Belafonte, die Power, das taucht da alles da auf – „love, not war“ ist ja immer noch das Beste. Kein Scheißkrieg. Keine Ansagen „Es gibt nur einen Gott“ oder was, und dann Kriege führen, kein „Ich habe vor allem Angst“, sondern Liebe ...Brings: Ich glaube, über politische Haltung zu reden auf der Bühne ist heute noch wichtiger als vor 20 Jahren. Was hier abgeht im Land, mit der AfD, der Angst vor Neuem, ein Riesendriss.Lindenberg: Wenn du was Politisches sagst, kriegst du Anfeindungen, Drohbriefe und so. War bei mir immer so, ist es aber wert. Friedensbewegung, gegen Atomkraft, gegen Krieg, Bonner Hofgarten, die großen Demos und Konzerte, das musste sein. Muss heute mehr denn je sein. Am besten ganz groß – und alle stehen auf, peacy-funky, alle haben sich lieb.

Von neuen Liedern, Lampenfieber und gelupften Sonnenbrillen

Sie sprechen jetzt über Auftritte und neue Lieder, Lampenfieber vor 50 000 Menschen, das Warten auf die Reaktionen nach neuen Songs. Lindenberg zückt sein Smartphone und spielt neue Lieder an.

Als ein Stück läuft, in dem der Protagonist seine Sonnenbrille abnimmt, lüftet Udo seine Sonnenbrille, die grau-grünen Augen blicken durchdringend in die dunkelbraunen von Brings. Später wird Brings sagen, er hätte Lindenberg auch gern ein Lied vorgespielt, das aber irgendwie unpassend gefunden.

Lindenberg: Als ich anfing, konnte ich nicht singen. Aber irgendwann hatten wir Texte und keinen Sänger – bisschen von Liebe singen, bisschen nuscheln, dass man nicht alles versteht, ging. Man muss sich nur trauen, ne.Brings: Und ein bisschen geheimnisvoll bleiben ...Lindenberg: Ja, ich gehe auch nicht in Talkshows. Ich kann nicht im Studio sitzen und über Kochen und Fußpilz reden. Man ist ja auch Projektionsfläche, bisschen fantasieren, mutmaßen, sexy-hexy, das ist wichtig. Habe ich von der Dietrich gelernt.

Brings: Du kanntest Marlene Dietrich? Krass, aber logo. Ich dachte vor dem Gespräch mit dir, das ist wie ’ne Audienz beim Papst.Lindenberg: Ach komm, wir sind Kollegen, eine Linie.Brings: Ja, klar, eigentlich.Lindenberg: War schön mit dir, Peter. Ich wink dir in Köln mit meinen grünen Socken.