Psychiatrie-Klinik in Köln-WesthovenForensik-Insassen sind gefangen, aber keine Gefangenen

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Reizarm eingerichtet ist der Kriseninterventionsraum.

Reizarm eingerichtet ist der Kriseninterventionsraum.

Ensen-Westhoven – Die Mauer ist 5,50 Meter hoch, so weiß, wie nur möglich in einer Großstadt – und ausgesprochen abweisend. Einen Blick in das Innere des Komplexes lässt sie an keiner Stelle zu. Vielmehr ist die forensische Psychiatrie des Landschaftsverbandes Rheinland (LVR) an der Porzer Ringstraße komplett abgeriegelt. Jetzt allerdings gewährte der LVR einen Blick hinter das Bollwerk.

Im Maßregelvollzug, auch als Forensische Psychiatrie oder Forensik bekannt, werden psychisch kranke oder suchtkranke Straftäter untergebracht, die eine Gefahr für die Allgemeinheit darstellen. In NRW gibt es 14 Einrichtungen mit 3000 Patienten. Die Porzer Forensik gehört zu den modernsten. (RHn)

„Das hat schon was Martialisches“, gesteht LVR-Direktorin Ulrike Lubek. Der Maßregelvollzug, für den sie zuständig ist, sei nun mal kein offenes System. Allerdings auch kein für immer geschlossenes. Zwar soll die Sicherheit der Bevölkerung gewährleistet sein, aber die Insassen würden eine Behandlung genießen mit dem Ziel, sie zu einem straffreien Leben zu befähigen und sie wieder in die Gesellschaft einzugliedern.

„Wir sind keine Justizvollzugsanstalt, sondern ein psychiatrisches Krankenhaus“, ergänzt der kaufmännische Direktor Jörg Schürmanns. Wer hier eingewiesen werde, habe zwar eine Straftat begangen, sei aber für nicht schuldfähig befunden worden. „Unsere Patienten sind frei gesprochen worden“, führt er aus. „Sie können ihr Verhalten nicht steuern.“ Weil sie aber eine Gefahr für die Allgemeinheit darstellen, müssen sie in den Maßregelvollzug. Nur ein Gericht kann entscheiden, ob und wann sie entlassen werden.

Die Forensik verfügt über 128 Behandlungsplätze. Darüber hinaus betreibt der LVR eine Klinik in Merheim mit 87 Plätzen. Hier liegt der Schwerpunkt auf der Rehabilitation. Das Spektrum der Straftaten reicht von Körperverletzung (26 Prozent) über Raub und Erpressung (18 Prozent), Totschlag (8 Prozent ) und Mord (2 Prozent).

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Auf jedes Detail wird geachtet

Auch Sexualstraftäter gehören zu den Insassen, wie Klaus Lüder, Fachbereichsleiter Maßregelvollzug, beim LVR, erläutert. Doch das seien meistens Altfälle. „In den 90er Jahren haben die Gerichte sie noch für schuldunfähig erklärt.“ Inzwischen kämen sie weniger in die Forensik, eher in die Justizvollzugsanstalt – wie der jüngst in einem Kölner Brauhaus entwichene Peter B., der in Aachen in Sicherungsverwahrung war.

Wie Sexualstraftäter B. haben aber auch die Forensik-Insassen, die aus dem Landgerichtsbezirk Köln kommen, Freigang. Das aber erst, wenn die Ärzte sicher sind, dass sie ihre Krankheit im Griff haben. „Wenn wir mit den Patienten die Klinik verlassen, müssen wir natürlich auch dahin gehen, wo Menschen sind“, sagt Chefarzt Dr. Christian Prüter-Schwarte. „Wenn wir unsere Insassen wieder eingliedern wollen, müssen wir alltägliche Dinge üben. Dazu gehören Behördengänge und der Einkauf, aber auch Brauhausbesuche oder der Weihnachtsmarkt.“

Der Wille gegen die Krankheit

Von solchen Ausflügen sind im vergangenen Jahr sechs Patienten nicht wie vereinbart zurückgekommen. „Meistens handelte es sich um Verspätungen, etwa weil eine Bahn nicht pünktlich gekommen ist“, sagt Klaus Lüder. Kehrt ein Patient allerdings nicht zum abgesprochenen Zeitpunkt zurück, wird ein festgelegtes Prozedere in Gang gesetzt und die Polizei alarmiert. „Meistens setzen sich die Patienten aber mit uns in Verbindung und berichten, was geschehen ist“, fährt Lüder fort, „wir besprechen mit ihnen das weitere Vorgehen.“ Vier der sechs Entwichenen waren denn auch binnen 24 Stunden zurück in der Forensik, die beiden anderen wenig später.

Wenn die Patienten anfangen können, sich frei zu bewegen, haben sie das Schlimmste hinter sich – nämlich die Einsicht, dass sie krank sind. „Es kann Jahre dauern, bis sie so weit sind“, weiß Psychologe Alfred Kannen-Espert. Bis dahin würden sie behaupten, unschuldig zu sein. Wenn sie zudem den Willen entwickeln, gegen die Krankheit zu arbeiten, seien sie auf dem Wege der Besserung.

Können Außenreize nicht einordnen

Dieser Weg führt gelegentlich über den Kriseninterventionsraum. Die Fixierbänder im Vorraum lassen schon nichts Gutes ahnen. „Ich bin stolz darauf, dass wir die noch nicht gebraucht haben“, sagt Kannen-Espert. Der Raum selber weist eine extrem karge Ausstattung auf: drei blaue mit Schaumstoff gefüllte Kuben, die als Tisch, Stuhl und Bett dienen, eine Sanitärinstallation sowie eine Dusche.

Was in den Besuchern ein Gefühl der Beklommenheit hervorrufe, sei für an einer Psychose Erkrankte eine Entlastung, so der Diplom-Psychologe. „Sie können oft die Außenreize nicht mehr einordnen und sind dankbar für die reizarme Umwelt.“ Sollten sie Aggressionen abbauen wollen, können sie in dem Raum auch das ungehindert tun. Dafür eignen sich die Kuben, was Stations-Oberarzt Dr. Wilhelm Prange zeigt, indem er den Sitzwürfel gegen die Wand donnert. Das ist laut, zu Bruch geht aber nichts. „Das hat den Vorteil, dass nachher keiner ein Stuhlbein in der Hand hat, um auf das Personal loszugehen.“

Sicherheit ist immer wieder der Punkt, an dem die Verantwortlichen ernst werden. Da wird auf jedes Detail geachtet. So haben etwa Werkzeuge aus der Arbeitstherapie festgelegte Plätze, die teilweise eingezeichnet sind, damit auf einen Blick zu sehen ist, ob etwas fehlt. Auch verlässt kein Schlüssel den Komplex. Sollte einer der Mitarbeiter ihn doch mal in Hand- oder Hosentasche vergessen haben, schrillt ein Detektor an der Pforte. „Ausbrüche hat es in dieser Einrichtung noch nicht gegeben“, betont Lüder denn auch nicht ohne Stolz.

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