Kölner WanderschäferinIhre Herde sorgt im Grüngürtel für Vielfalt und Klimaschutz

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Wanderschäferin Melanie Pörschel-Kniffka

Mitten in ihrer Herde steht die Schäferin Melanie Pörschel-Kniffka. Mit lautem vielstimmigem Mähkonzert trotten ihre 300 Schafe vom Haus am See am Decksteiner Weiher in Richtung Gleueler Straße. Mausi, ihr Lieblingsschaf, reibt ihre Schnauze an ihrer Jacke und holt sich eine Streicheleinheit ab. Hütehund Whiskey treibt derweil mit energischem Bellen zwei Lämmer zurück, die kess Richtung Straße ausbüchsen wollen, und jetzt schleunigst wieder kehrt machen. Jogger, die ihre Morgenrunde drehen, wenden ihre Blicke, Spaziergänger verharren und freuen sich über den riesigen grasenden Pulk Vierbeiner.

Das Naturschauspiel, das sie beobachten, ist gleich in zweifacher Hinsicht sehr besonders: Melanie Pörschel-Kniffka ist eine der ganz wenigen Wanderschäferinnen in Deutschland. Frauen gibt es in diesem Beruf extrem selten. Und von den immer weniger werdenden Berufsschäfern wandert nur eine sehr kleine Anzahl noch mit ihren Herden. Aber nicht nur deshalb ist die 38-Jährige etwas Besonderes. Sie wandert nämlich nicht einfach mit ihren Tieren in den Tag hinein, sondern nach einem ausgeklügelten Plan, den die Nabu-Naturschutzstation Leverkusen-Köln entwickelt hat.

Beweidungskonzept „Stadtgrün naturnah“ entstanden

Das dabei entstandene Beweidungskonzept „Stadtgrün naturnah“ für den äußeren Grüngürtel von Junkersdorf bis Raderthal legt fest, nach welchen Regeln die Tiere wandern müssen, damit am Ende möglichst artenreiche Wiesen entstehen, die dann wiederum der Lebensraum für vielfältige Insekten sein sollen. „Es geht darum, in der Stadt auf diese Art die Biodiversität zu fördern“, sagt Joachim Bauer, stellvertretender Leiter des Amtes für Landschaftspflege und Grünfläche in Köln. Die Stadt hat das Konzept beschlossen und mit der Schäferin einen entsprechenden Vertrag abgeschlossen. Zuvor hatten sich die Nabu-Experten angeschaut, welche Kräuter und Arten es auf der 62 Hektar großen Weidefläche schon gibt und wie man die gefundenen seltenen Arten wie etwa Labkraut oder Kleiner Klappertopf, der auf der Roten Liste steht, besser verbreiten kann.

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Schafe sind wichtige Klimaschützer

Denn es wird zunehmend – so wie jetzt auch in Köln – erkannt, dass Schafe nicht nur sehr effektive und idyllisch anmutende Rasenmäher sind, sondern wichtiger Bestandteil des Ökosystems und vierbeinige Klimaschützer: Untersuchungen haben erwiesen, dass der Kot eines Schafes bis zu 500 Samen am Tag ausscheidet. Außerdem tragen die Tiere die Pflanzensamen und Insekten, die in ihrem Fell hängen bleiben, kilometerweit mit. So sorgen sie dafür, dass auch verinselte Biotope, von denen es durch Monokulturen immer mehr gibt, nicht genetisch verarmen.

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Es gibt sogar Pflanzensamen, die erst keimen, wenn sie den Darm eines Wiederkäuers passiert haben. Ein weiterer Grund für die neu aufkommende Wertschätzung der wandernden Hirten – auch etwa im Bergischen Land und in der Eifel – ist ihre Rolle als Klimaschutz-Dienstleister: Erst wenn Weidetiere zubeißen, bekommen manche Pflanzen den notwendigen Wachstumsanreiz und wandeln dann effizient Kohlendioxid in Sauerstoff um.

Um eine vielfältige Flora und Fauna zu erreichen, braucht es eine lange Standzeit der Kräuter und Gräser zwischen den Weidegängen. Nur so gibt es blütenreiche Bestände mit Pflanzen, die Zeit zur Samenbildung haben. Damit all das bestmöglich gelingt, dürfen die Tiere im Rahmen des Wachstumszyklus der Wiesen nicht zur falschen Zeit am falschen Ort sein.

Die Umweltexperten vom Nabu haben herausgefunden, dass es für die Vegetation im Grüngürtel am günstigsten ist, wenn die Herde von Nordwest nach Südost zieht. So hat die Frühjahrsweide im März in Junkersdorf begonnen, um im Juni die südöstlichsten Flächen in Raderthal zu erreichten. Anschließend geht es zurück nach Junkersdorf und wieder bis Raderthal. Außerdem soll die Herde nur noch durchziehen und nicht eine Fläche intensiv beweiden. Als Richtwert sollen nur noch 70 Prozent der Biomasse der Wiese abgefressen werden, ehe die Tiere weiterziehen. Zum Konzept gehört auch, dass beim Versetzen der Pferche, in denen die Tiere die Nacht verbringen, immer ein Streifen von zwei bis drei Metern unbeweidet bleiben soll. In diesen Blühstreifen sollen sich die Blüten entfalten können und Samen tragen. Im zweiten Weidegang sollen die Schafe diese Streifen dann abweiden. Sie entstehen durch das sogenannte „versetzte Pferchen“ an neuen Stellen.

Zeit zum Wiederkäuen

Der Tag mit den Tieren gliedert sich nach einem festen Rhythmus: Um 9.30 Uhr lässt Pörschel-Kniffka die Herde aus dem Pferch. Den dafür benötigten Bereich grenzt sie abends mit einem mobilen Drahtzaun ab. Anschließend werden die Tiere hinein getrieben, um dort die Nacht zu verbringen. Bis 13.30 Uhr zieht sie mit der Herde weiter und zäunt sie anschließend wieder an der nächsten Raststelle für die Mittagspause ein. „Es ist wichtig, dass die Herde ruht zum Verdauen und Wiederkäuen – und zwar alle gleichzeitig, liegend am selben Ort“, sagt Ingolf Bollenbach, ein erfahrener Alt-Schäfer, von dem die Schäferin die Herde in diesem Jahr übernommen hat. „Danach haben sie dann wieder Fresslust und ziehen von 15 bis 18.30 Uhr weiter, ehe sie dann für die Nacht wieder an der Stelle eingezäunt werden.“

20 Jahre lang ist Bollenbach selber durch den Grüngürtel gezogen – allerdings ohne Vorgaben. Jetzt waren das neue Beweidungskonzept mit dem damit verbundenen neuen Vertrag mit der Stadt und die Tatsache, dass er endlich eine Nachfolgerin gefunden und seine Tiere in guten Händen weiß, für den 65-Jährigen die Gelegenheit, endlich an die Rente zu denken.

Der erfahrene Schäfer ist noch manchmal mit auf Wanderung und gibt seine Erfahrung und sein Wissen an die junge Schäferin weiter. So kann er es noch ein bisschen genießen, das Leben draußen bei den Tieren. „Ich habe diesen Beruf geliebt. Man ist sein eigener Herr und schaut nie auf die Uhr. Außerdem ist jeder Tag anders.“ Auch Jung-Schäferin Pörschel-Kniffker ist froh, dass sie das Wagnis der Selbstständigkeit als Wanderschäferin eingegangen ist. „Es ist einfach die Ruhe vom Alltag, die unglaublich gut tut, wenn man im Rhythmus der Jahreszeiten draußen unterwegs ist. Wenn ich das gleichmäßige Schmatzen meiner Wiederkäuer höre und die Natur um mich herum aufnehme, dann ist das Wellness für die Seele.“

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