Wo ist er nur, der Zug?Frust und Erleichterung in der Mohrenstraße

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Die Mohrenstraße in Köln am Rosenmontag.Tobias Oentrup, verkleidet als Elvis Presley, sitzt auf einem Stuhl mitten auf der Straße

Elvis alias Tobias Oentrup (49) hatte die Mohrenstraße für sich.

Erstmals seit Jahrzehnten endet oder beginnt der Rosenmontagszug nicht in der Mohrenstraße. Manche finden das schade, andere sind erleichtert.

Arev Keshish denkt gern an den alten Mann mit dem schwarzen Hut, der jedes Jahr nur vor dem Rosenmontagszug kam, um ein Kölsch zu holen. Sie erinnert sich an die Jecken, die den Zugweg in den zwei Corona-Jahren alleine abliefen und am Ende zu ihr kamen, um ein Bier zu trinken; betrunkene Prominente und feierwütige Jungfrauen hat sie gesehen und ja, das auch: „Paare, die sich im Hauseingang erleichtert haben“ – auf die eine oder andere Weise. „Um zu wissen, was Karneval bedeutet, musste ich nur vor meinen Kiosk gehen.“

Seit ihre Eltern 1998 den Kiosk übernahmen, hat der Feierexzess an Rosenmontag für Keshish dazugehört. „Der Zug mit all seinen Emotionen und Ritualen, das gehört zu meiner Identität“, sagt die 35-Jährige. Dieses Jahr endet der Zug nicht wie seit dem Jahr 2000 in der Mohrenstraße, er beginnt auch nicht hier wie in den Jahren davor – er biegt ein paar Schritte entfernt von der Straße „Auf dem Berlich“ ab Richtung Zeughausstraße. Für Arev Keshish sind diese 15 Meter eine ganze Welt.

Arev Keshish steht am Eingang ihres Kiosks in der Mohrenstraße, die Straße ist leer.

Arev Keshish hat einen Kiosk in der Mohrenstraße. Ihr fehlen Einnahmen und Emotionen.

„Ich bin ein kölsches Mädchen, auf der Schäl Sick geboren, deswegen freue ich mich für Deutz“, sagt sie, „aber für mich ist das so dramatisch, dass ich mehrere Nächte nicht schlafen konnte, als ich davon erfahren habe, dass der Zug nicht hier endet.“ Und das liegt nicht nur an den Ritualen und schönen Erinnerungen: Weiberfastnacht sei in der Straße fast nichts los, auch an den anderen Karnevalstagen und während des Köln-Marathons nicht.

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„An Rosenmontag aber habe ich die Einnahmen, die ich sonst in einem ganzen Monat habe. Das ist so etwas wie eine Existenzsicherung.“ Die jetzt wegfalle, „und das, obwohl ich nach den Corona-Jahren 7000 Euro Soforthilfe zurückzahlen muss“. Sie hat in den Schaufenstern der Geschäfte am Anfang und Ende groß plakatiert, „0,5 Liter Kölsch, 3 Euro“. Viel werde das nicht helfen. Ein paar Jecken immerhin laufen durch die Straße zum Zug und versorgen sich bei ihr noch schnell mit einem Börek, Laugenstangen, Bier. 

Anwohner der Mohrenstraße sind froh, dass sie ihre Ruhe haben

Manche Anwohner der Mohrenstraße sind froh, dass11 Uhr, noch eine Stunde, bevor der Zug in Steinwurfweite vorbeizieht. Eben hat Elvis Presley alias Tobias Oentrup in Keshishs Kiosk ein Kölsch geholt, jetzt sitzt er auf einem Bürostuhl in einem Hauseingang und whatsappt sich mit Freunden zusammen. Oentrup kennt die Mohrenstraße nicht, er weiß auch nichts von den Diskussionen um die Umbenennung der Straße. „Nie gehört“, sagt er, fürs Foto stellt er den Stuhl mitten auf die Straße und spielt ein bisschen auf seiner aufblasbaren Gitarre – kein Problem, ist ja nichts los.

Auch der Kamellenmatschteppich nach dem Zug hat für mich dazugehört
Arev Keshish, Kiosk-Betreiberin

Nicht jede Anwohnerin ist so traurig wie die Kiosk-Betreiberin. Eine Nachbarin kommt vorbei, Keshish fragt sie, wie sie es finde, dass der Zug nicht hier ende, sie sagt: „Super! Ich brauche den ganzen Dreck und Lärm hier nicht!“ Der Couturier gegenüber sieht es ähnlich. Die Frau eilt weiter, Keshish sagt, klar, der Müll sei dramatisch. „Einmal ist ein Freund von mir mit dem Hochdruckreiniger hier zwei Tage lang durch, da hatte es nach dem Zug geregnet und es gab einen klebrigen Kamellenmatsch-Teppich auf dem ganzen Bürgersteig. Aber auch das hat für mich dazugehört.“

Blick von der Mohrenstraße auf die Zeughausstraße, wo der Rosenmontagszug entlangläuft.

15 Meter entfernt vom Rosenmontagszug: Blick von der Mohrenstraße auf die Straße Auf dem Berlich/ Ecke Zeughausstraße.

Sie ruft eine Nachbarin an, Renate Rettig, um sich Unterstützung zu holen: Stimmt, ruft die alteingesessene Anwohnerin ins Telefon. „Rosenmontagszug in der Mohrenstraße, das war eine Institution!“ Viele Wohnungen seien zu WGs mit Karnevalspartys mutiert. „Fenster mit Blick auf den Zug, das ist ja was Besonderes!“

Bei Jan und Laura im ersten Stock geht das Fenster auf, „sehr schade“ sei es, dass er Zug hier dieses Jahr nicht ende, „es war immer sehr ausgelassen, die Gardisten durften bei uns auf Toilette gehen und wir und unsere Gäste konnten am Fenster stehen und alles sehen“. 2018 standen sie am Fenster, als ein Karnevalist vom Wagen der Willi-Ostermann-Gesellschaft fiel und die Sanitäter kamen. „Ein Drama“ sei das gewesen. Dieses Jahr falle ihre eigene Party etwas kleiner aus. Hoffentlich, sagt das Paar, komme der Zug im nächsten Jahr wieder. „In Deutz wird er ja nur einmal starten, wer geht schon freiwillig auf die andere Seite?“

Die Blauen Funken sind gleich um die Ecke zu sehen

„Kommt er dieses Jahr nicht hierhin, der Zug?“, fragt ein alter Mann, der sagt, er sei vor drei Tagen zurückgekommen aus den USA. „Warum denn nicht?“ Doch er kommt, er ist schon da, 15 Meter weiter, in der Zeughausstraße. Gerade kommen die Blauen Funken vorbei. Sie sind aus der Mohrenstraße sogar zu sehen: In der Hausnummer 2 sitzen zwei Kostümierte mit Kölsch in der Hand auf dem Fensterbrett und schauen zu, die Sicht sei gar nicht schlecht, sagen sie.

Arev Keshish hofft, dass der Zug nächstes Jahr wieder bei ihr vor dem Kiosk endet. Am frühen Nachmittag ist es ein bisschen voller geworden, richtig froh wird sie der Umsatz nicht machen. „Ich weiß von vielen Karnevalsgesellschaften, dass sie es besser fänden, wenn der Zug nächstes Jahr wieder seinen gewohnten Weg nimmt“, sagt sie. „Viele KGs haben ja ihren Sitz während der Tage hier um die Ecke in den großen Hotels – für sie ist es viel aufwändiger, am frühen Morgen nach Deutz zu fahren.“ Sie überlege, „eine Mail an den Zugleiter zu schreiben, um ihm klarzumachen, warum der Zugweg wieder geändert werden muss“. Für sie persönlich gehe es „letztlich um die Existenz“.

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