Abenteuer SchüleraustauschKölner Organisation sucht Gastfamilien – warum das ein lohnendes Wagnis ist

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Eine Familie steht in ihrem Garten.

Die Kölner Familie Röttgen aus Sürth hat Leela aus den USA (Mitte) bei sich aufgenommen. Zu Familie gehören neben Vater Frank und Mutter Heike noch Tochter Nele und Sohn Janis. Die ältere Tochter Marie ist nicht mit auf dem Bild.

Seit Corona ist es für Organisationen von Schüleraustausch enorm schwierig, Gastfamilien in Köln zu finden. 

Heiligabend mit José, das haben Britta Saerbeck und ihre Familie noch in Erinnerung als sei es gestern gewesen. „Es war definitiv eines unserer schönsten Weihnachten überhaupt“. Der damals 14-jährige Kolumbianer aus Bogota war als Austauschschüler für sechs Monate in der Familie, zu der noch Tochter Svenja gehört. Spontan wurde das sonst so feierliche Weihnachten „unheimlich lustig, sehr lebhaft und sehr spanisch“, erzählt sie.

Als der Südamerikaner nämlich nach dem weihnachtlichen Videotelefonat mit seiner Familie melancholisch wurde, weil ihm die heimatliche Musik zum Fest fehlte, holte die Gastfamilie spontan die Gitarre raus und fragte ihn, ob er nicht kolumbianische Weihnachtsmusik machen wolle. Am Ende haben alle gemeinsam gesungen und getanzt.

Der Kontakt zu José ist danach nie mehr abgebrochen, erzählt Saerbeck. Seit José ist die Familie immer wieder das Wagnis eingegangen, sich zu öffnen und hat für ein halbes oder gar ein ganzes Jahr eine Gastschülerin oder – schüler aufgenommen. Gerade sind sie notfallmäßig eingesprungen, und haben Kiley (19) aus den USA aufgenommen, obwohl Tochter Svenja inzwischen ausgezogen ist. In Kileys ursprünglicher Gastfamilie in Brühl war der jüngere Gastbruder plötzlich schwer erkrankt und es kurzfristig eine Familie gesucht wurde, die einspringt.

Kölner Familien lernen viel über ein anderes Land

Das Beispiel mit José erklärt ein bisschen, worin der Zauber liegt, wenn man seine Familie für einen Austauschschüler öffnet und die eingespielte Komfortzone verlässt: Da kommt ein zunächst noch völlig fremder Mensch mit seiner eigenen Mentalität. „Man holt die Welt zu sich nach Hause und bringt frischen Wind in die eigene Familie“, beschreibt es Anja van Lück von der gemeinnützigen Kölner Austauschorganisation Open Door International (ODI).  

„Es ist einfach cool, jemanden aus den USA so intensiv kennenzulernen und den dann vielleicht irgendwann mal auch selbst zu besuchen“, erzählt Janis Röttgen (14) in dessen Sürther Familie, neben ihm und seinen Schwestern Nele (17) und Marie (19) derzeit auch noch Gastschwester Leela (19) aus den USA lebt. Abgesehen davon, dass man dabei sehr viel über ein anderes Land erfahre, habe das einen Reiz, den man nicht einfach so beschreiben könne.

Man lernt dabei, dass es kein richtig und kein falsch gibt. Und außerdem sehr viel über sich selbst
Britta Saerbeck, deren Familie mehrfach internationale Gastkinder ausgenommen hat

Doch seit Corona und nochmal mehr seit Beginn des Ukraine-Krieges ist es für Austauschorganisationen sehr schwer geworden, überhaupt noch Familien zu finden, die sich auf das Abenteuer einlassen. Bei Open Door International (ODI) beobachte man mit Sorge, dass Familien da seit einigen Jahren immer zögerlicher würden, sagt Anja van Lück, die bei ODI das Parlamentarische Patenschafts-Programm leitet. Teilweise würden Räume in Familien nun als Homeoffice genutzt, andere Familien, die für eine solche Erfahrung offen wären, hätten ukrainische Geflüchtete bei sich aufgenommen.

Patenschafts-Programm: „Die möchten ein Stück Gastfreundschaft zurückgeben“

Dabei stehe die Option jedem offen, betont sie: Die Gastfamilien, die sich bei ODI melden und einen jugendlichen Gast aus Asien, Nordamerika oder Südamerika aufnehmen, sind bunt: „Es gibt Paare, deren Kinder aus dem Haus sind, und die nochmal Leben in der Bude haben wollen. Andere Familien mit jüngeren Kindern möchten das Familienleben um ein größeres Geschwisterkind bereichern.“ Und es gebe Familien, deren Kinder im Rahmen eines Schüleraustausches selbst mal im Ausland in einer Familie zu Gast waren. „Die möchten ein Stück Gastfreundschaft zurückgeben.“ So war es auch bei Familie Röttgen, wo beide Töchter ein Schulhalbjahr in den USA in einer Familie gelebt haben.

Dabei bleibt es ein Stück unverfügbar, ob das Experiment gelingt. Denn nicht immer passt es so ideal wie bei José oder Leela. Wenn die Chemie auch nach längerer Eingewöhnungszeit nicht stimmt, ist ein Gastfamilienwechsel möglich. „So war das mit unserer letzten Gasttochter Glory“, erzählt Gastmutter Heike Röttgen. Trotz aller Bemühungen der Familie lebte sie sich nicht ein, zog sich immer zurück in ihr Zimmer. „Da mussten wir dann eben auch mal sagen, es geht nicht mehr“. Ein schwieriger Prozess, der immer von ehrenamtlichen ODI-Betreuern, die jeder Familie an die Seite gestellt werden, begleitet wird.

Abenteuer Schüleraustausch: „Die beiden sind wie Schwestern. Bis heute“

Trotzdem haben sich alle fünf Familienmitglieder gemeinsam entschieden, es nochmal zu wagen: „Zum Glück. Sonst hätten wir ja Leela nie kennengelernt“, sagt Tochter Nele. Die ganze Familie findet es bereichernd, dass sie jetzt zur Familie gehört.

Was hilft, damit ein Austausch gelingt? „Auf jeden Fall, dass man seine Erwartungen vorher nicht so hochschraubt“, meint Saerbeck. Dann sei man am ehesten offen und lasse sich auf den ein, der da kommt: ein ganz normaler Teenager mit seinen Stärken und Schwächen. Und Zeit müsse man sich geben, ehe Vertrautheit wachse. Aber egal, wer da komme, eine Bereicherung sei die Erfahrung auch für einen persönlich. „Man lernt, dass es kein richtig und kein falsch gibt - und außerdem sehr viel über sich selbst.“

Manchmal werden aus solchen Austauschen auch lebenslange, intensive Freundschaften: Svenja, die Tochter der Saerbecks, hat kürzlich geheiratet. Ihre Trauzeugin war Melia, die ehemalige Gasttochter aus der Slowakei. „Die beiden sind wie Schwestern. Bis heute.“

Wer sich vorstellen kann, für einen Zeitraum zwischen drei Monaten und einem Jahr Gastfamilie zu werden, kann sich an die gemeinnützige Kölner Austauschorganisation Open Door International wenden, die seit 40 Jahren Schüleraustausche organisiert und Gastfamilien begleitet. Auf der Homepage finden sich unter der Rubrik „Gastfamilie werden“ die Jugendlichen aus Asien, Europa, Nordamerika und Südamerika, die derzeit eine Familie suchen. Wer sich für jemanden interessiert, kann mit ODI Kontakt aufnehmen und ausführlichere Profile anfordern. Alle Gastfamilien werden intensiv vorbereitet und auch während des Austauschs begleitet. Ebenfalls gemeinnützig arbeitet die Bonner Austauschorganisation „Experiment e.V“, die seit über 90 Jahren Schüleraustausch organisiert. Beide Organisationen sind Mitglied im Arbeitskreis Gemeinnütziger Jugendaustauschorganisationen (AJA).

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