Beim Sommergespräch mit Bernhard Seiger wurden konkrete Maßnahmen vorgestellt.
Hochzeitsmesse, Segensbüro, PostSo kämpft die Evangelische Kirche Köln gegen den Mitgliederschwund

Bernhard Seiger, Stadtsuperintendent vom evangelischen Kirchenverband Köln und Region
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„Kennen Sie dieses gute Gefühl, wenn man jemandem hilft? Man kann es gar nicht beschreiben, aber es macht etwas mit einem. Es fühlt sich richtig gut an. Als Kirchenmitglied helfen Sie täglich.“ So heißt es nach der persönlichen Anrede des Empfängers oder der Empfängerin in ansprechend aufgemachten Faltblättern, die viele Gemeinden des Evangelischen Kirchverbands Köln und Region zurzeit per Post an Mitglieder zum Dank für die Kirchensteuer schicken.
Evangelische Kirche hat immer weniger Mitglieder
Mitglieder, die für eine Kirche interessiert werden sollen, der sie über die monatliche Steuerzahlung hinaus meist nur noch formal angehören. Die Versendung solcher Faltblätter, die darüber informieren, wie die Kirchensteuer verwendet wird, ist Teil des Projekts Mitgliederbindung des Evangelischen Kirchenverbands. Am Mittwoch ist es im Rahmen des traditionellen „Sommergesprächs“ mit Stadtsuperintendent Bernhard Seiger als eines von zwei Beispielen dafür vorgestellt worden, wie die Kirche in Köln und Umgebung dem anhaltenden Mitgliederschwund begegnet.
2022 gehörten im Verbandsgebiet knapp 244.000 Menschen der evangelischen Kirche an, 2023 waren es annähernd 235.000 und im vorigen Jahr nur noch 226.000. Wie lässt sich dem Trend entgegensteuern? „Wir bemühen uns darum, eine mitglieder- und serviceorientierte Kirche zu sein“, unterstrich Seiger. Dafür stünden die beiden präsentierten Beispiele – das Segensbüro „Hätzjeföhl“, das „Segen nach Maß“ anbiete, und eben das Projekt Mitgliederbindung. Als weitere Beispiele ließen sich etwa das Tauffest am Rhein, wie es zuletzt im Sommer 2022 gefeiert wurde, die Präsenz der evangelischen Kirche auf der Hochzeitsmesse im Gürzenich und die Mitwirkung am Kölner CSD aufzählen.
Personalisierte Karten zu verschiedenen Anlässen
Das Projekt Mitgliederbindung ist erst ein halbes Jahr alt, doch die Resonanz sei vielversprechend, sagte der Ehrenfelder Pfarrer Nico Buschmann, der dem Arbeitskreis Mitgliederbindung angehört. Die Bemühungen konzentrieren sich auf die Altersgruppe von zwölf bis 35 Jahren. „Gerade in diese Lebensphase fällt oft die Entscheidung, ob Kirche überhaupt noch Relevanz hat“, so Buschmann.
Personalisierte Karten und Selfmailer – Faltblätter ohne Kuvert – werden zu verschiedenen Anlässen verschickt, zum Beispiel ein halbes Jahr vor dem 18. Geburtstag, zum Umzug, zu Freizeitangeboten der jeweiligen Gemeinde, mit Gedanken zum Sinn des Lebens, die ohne fromme Floskeln oder simple Antworten formuliert sind, oder eben zum Dank für die Kirchensteuer.
Post kommt direkt von der jeweiligen Gemeinde
Die Post kommt nicht vom Kirchenverband, sondern direkt von der jeweiligen Gemeinde, mit Namen, Unterschrift und oft einem Foto des Pfarrers oder der Pfarrerin. So soll eine persönliche Beziehung hergestellt werden. Jede Karte enthält zudem einen QR-Code, der auf eine eigens eingerichtete Webseite führt. Dort findet man weitere Informationen, passende Angebote aus der Gemeinde und den Link zu deren Homepage. „Wir können nicht länger erwarten, dass die Menschen von sich aus auf uns zukommen“, sagte Buschmann, „wir müssen den ersten Schritt machen.“ Die Postsendungen dienten als „Türöffner“.
Auch das Segensbüro soll eine Nähe zur Kirche schaffen, die vielfach verloren gegangen ist. Vor einem Jahr gegründet, hat die „Werkstatt für Segensrituale“, wie die Zusatzbezeichnung lautet, seit Anfang März ein Ladenlokal gegenüber von einem Supermarkt in der Severinstraße, also mitten im profanen Leben. Solche Büros gibt es auch in Hamburg, Berlin, München und Essen. Die Kölner Einrichtung wird von Pfarrerin Inga Waschke und Pfarrer Sebastian Baer-Henney geleitet, die dafür jeweils eine halbe Stelle haben.
Auf Wunsch Segnungen zu unkonventionellen Anlässen
Das Büro bietet auf Wunsch Segnungen in unkonventionellen Formen, an ungewohnten Orten und auch aus Anlässen wie etwa Umzug, Jobwechsel, Coming-out, Renteneintritt und Ende der Partnerschaft. Ein Beispiel sind die Gottesdienste, die in der jüngsten Karwoche an neun Orten des Kirchenverbands stattfanden, wo Menschen einen Segen für die Zeit nach Trennung und Scheidung erhalten konnten.
Wenn jemand Bewährtes wie Taufe, Trauung und Beerdigung in herkömmlicher Form bevorzugt, stellt das Büro einen Kontakt zur Heimatpfarrei her und vermittelt Ansprechpartner. In jedem Fall gehe es darum, Menschen, die dies wünschen, in einer Umbruchsituation durch ein Segensritual die Nähe und Liebe Gottes spüren zu lassen, sagte Inga Waschke. Es sei „ein Gefühl, das ins Herz geht und manchmal ein Leben lang trägt“. „Darum heißen wir Hätzjeföhl.“
Das Projekt, das auf fünf Jahre angelegt ist, soll nach drei Jahren wissenschaftlich evaluiert werden. Seiger sieht darin schon jetzt ein Erfolgsmodell: „Gerade junge Menschen schätzen den frischen Auftritt und die individuelle Zuwendung von Hätzjeföhl.“