Serie „So wohnt Köln“Wenn das Zuhause ein kleines Zelt am Rhein-Ufer ist

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Peter Jürgen Simons Wohnzimmer ist der Platz vor seinem Zelt. 

  • Peter Jürgen Simon ist 75 und obdachlos. Nach einem Gefängnis-Aufenthalt und diversen Zwischendurch-Wohnungen lebt der ehemalige Fernfahrer freiwillig in einem Zelt am Kölner Rheinufer.
  • Für ihn ist das Leben direkt am Fluss Freiheit pur. „Ich wohne in der ersten Reihe.”
  • Wo er den Winter verbringt? Aber für Weihnachten hat er einen besonderen Wunsch. Ein Besuch am Rhein.
  • Lesen Sie hier auch weitere Folgen der Serie.

Rodenkirchen – Peter Jürgen Simon ist 75 Jahre alt, seit zwei Jahren ist er obdachlos. Alles, was er besitzt, sind ein Fahrrad und ein Anhänger, in dem er sein Hab und Gut transportiert. Er hat schon viele Schlafstellen in Köln ausprobiert, aber so richtig zufrieden war er nie.

„In der Stadt ist mir meist zu viel Betrieb, ich habe mal eine Zeitlang unter der Deutzer Brücke geschlafen, da war es hektisch und laut. Außerdem wurde ich da häufig bestohlen. Da habe ich meine Sachen eingepackt und bin weitergezogen. Etwas außerhalb habe ich durch Zufall diesen Platz gefunden und es war mir sofort klar, das ist es. Ruhig umgeben von viel Grün, mit Blick auf den Rhein“, erzählt der gepflegt aussehende ältere Herr.

Kleidung in der Plastiktüte

Seit sechs Monaten ist er quasi sesshaft. Sein Zelt ist gerademal zwei mal zwei Meter groß. In einer Ecke liegt die Matratze mit Schlafsack und Kopfkissen, in der anderen Ecke liegt seine in Plastiktüten verstaute Kleidung. Äste benutzt er als Kleiderhaken, ansonsten gibt es einen Stuhl, einen kleinen Gaskocher und einen Besen, mit dem er seine Parzelle sauber hält. Der Rhein ist Badewanne und Waschmaschine zugleich.

Peter Jürgen Simon hat sich zwischen den Bäumen am Rheinufer häuslich eingerichtet.

Peter Jürgen Simon hat sich zwischen den Bäumen am Rheinufer häuslich eingerichtet.

Peter Simon wurde 1944 in Wernigerode im Harz geboren, dort ging er auch zu Schule und machte eine Lehre. Nach dem Mauerbau wurde es ihm allmählich zu eng in seinem Heimatort, deshalb beschloss er gemeinsam mit seinem Jugendfreund, über die Grenze in den Westen zu flüchten.

Flucht aus der DDR 

„Wir haben erst lange die Grenzposten beobachtet, und dann sind wir im richtigen Augenblick über den Stacheldrahtzaun geklettert. Auf der Westseite wurden wir von den Grenzsoldaten ins Notaufnahmelager nach Gießen gebracht. Dann sind wir nach Köln. In Kalk, in der Lilienthalstraße hatte ich meine erste Wohnung im Westen. Das war 1967. Ich bin jetzt seit über 50 Jahren in Köln“, erzählt Simon.

Der ehemalige Fernfahrer und DDR-Flüchtling ist zufrieden, manchmal radelt er bis an die Mosel oder in die Schweiz.

Der ehemalige Fernfahrer und DDR-Flüchtling ist zufrieden, manchmal radelt er bis an die Mosel oder in die Schweiz.

Zuerst arbeitete er bei einer Spedition in Mauenheim, dann nahm er allen Mut zusammen und teilte dem Chef mit, dass er alle Führerscheinklassen habe und auch gerne LKW fahren würde. „Ja und es hat funktioniert. So wurde ich zum Fernfahrer. Ich fuhr große LKW bis Mailand, Paris, Madrid; das sind sehr schöne Strecken. Ich war der Cowboy der Straße, fühlte mich frei, übernachtete häufig im Führerhaus, hatte aber immer eine kleine Wohnung in Köln.

Fahrer bei Spedition Emons

Dann ging die Firma bankrott und ich heuerte als Fahrer bei der Spedition Emons an. Ich heiratete und führte ein normales Leben. Doch bald wurde mir alles zu eng. Immer zwischen Köln und Düsseldorf hin und her, das war mir auf die Dauer zu langweilig. Ich brauchte mehr Auslauf, ich bin ein Weltenbummler“.

Peter Jürgen Simon hat sich zwischen den Bäumen am Rheinufer häuslich eingerichtet.

Peter Jürgen Simon hat sich zwischen den Bäumen am Rheinufer häuslich eingerichtet.

Er kündigte den Job und die Wohnung, ließ sich scheiden und suchte sich neue Arbeitgeber. Peter Simon genoss ein Leben in Freiheit, fuhr täglich quer durch Europa. Aber irgendwann war er zu alt für diese Touren, der Weltenbummler kehrte wieder nach Köln zurück und, wurde sesshaft. Doch der alte Freundeskreis war weg, die Eltern tot und zu seiner Schwester hatte er keinen Kontakt.

„Eine Wohnung engt mich ein”

„Ich war wieder in Köln, suchte mir neue Freunde; landete für acht Monate im Gefängnis, wohnte mal in Kalk, in Hochkirchen, in Porz, habe aber schnell gemerkt, dass so eine richtige Wohnung mich einengt. Ich brauche den Himmel über dem Kopf“, sagt der Ex-Fernfahrer, der für sich entschieden hat, seinen Lebensabend in einem Zelt zu verbringen.

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Peter Simon sorgt dafür, dass er einen geregelten Alltag hat. Um seine kleine Rente aufzubessern, sammelt er Schrott, am liebsten Metalle. In der Umgebung habe er drei bis vier Anlaufstellen, wo er willkommen ist und immer fündig wird, so beispielsweise beim Dachdecker Fitzek in Brühl.

Sein Fahrrad ist neben dem Zelt sein wichtigster Besitz. 

Sein Fahrrad ist neben dem Zelt sein wichtigster Besitz. 

„Für 1 Kilo Kupfer bekomme ich 4,40 Euro, für ein Kilo Blei 1,40 Euro, da kommt im Monat eine kleine Summe zusammen. Aber ich brauche ja das Geld zum Leben. Muss Gas für meinen Brenner kaufen, Duschzeug, Nudeln, Brot und auch mal ein Stück Schinken oder Käse. Ein Fläschchen Bier und Zigaretten für den Feierabend, oder eine warme Mahlzeit in der Oase in der Alfred-Schütte-Allee“. Kleidung kauft er nicht, meistens findet er etwas Brauchbares in der Altkleidersammlung. Insgesamt, so betont er, käme er gut über die Runden. Betteln, das komme für ihn nicht in Frage, das sei unter seiner Würde.

Mit dem Rad bis in die Schweiz

Ab und an überkommt Peter Simon das Reisefieber, dann setzt er sich auf sein Rad und fährt Richtung Süden. „Ich verschließe mein Zelt, packe ein bisschen Unterwäsche in meinen Hänger und fahre am Rhein entlang, entweder in die Schweiz, an den Züricher See, da besuche ich alte Bekannte, oder an der Mosel entlang bis Schengen. Da gibt es ein Weingut, auf dem ein alter Mann mit einem langen grauen Vollbart wohnt. Wenn der mich sieht, dann sagt er «Pierre, da bist Du ja wieder, komm her, wir trinken ein Glas Wein».“

Während seiner Reisen übernachtet er in kleinen Pensionen und genießt dann ein richtiges Bett und eine Dusche. Doch es zieht ihn immer wieder nach Köln, zu seinem Zelt. „Ich wohne in der ersten Reihe, direkt am Rhein. Ich bin mit meinem Leben sehr zufrieden, bin weder einsam noch traurig. Ich bin unabhängig, und das ist mir sehr wichtig.“

Wo er den Winter verbringt, wenn die Außentemperaturen sinken, das weiß er noch nicht. Aber auf keinen Fall werde er in ein Obdachlosenheim gehen, da gebe es zu viele Penner und Alkoholiker, das sei nicht seine Welt.

Jetzt aber genieße er erst noch mal den Herbst, Weihnachten ist noch lange hin. „Da muss ich gucken, was ich mache, vielleicht lädt mich einer ein“, sagt der 75-Jährige, schaut auf den Rhein und lächelt.

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