Alter BrauchWie Kölns letzte Beiermänner in Esch die Glocken klingen lassen

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Beiermann Norbert Schumacher zeigt wie es geht: Der Klöppel wird an ein Seil gebunden und so die Glocke angeschlagen. 

  • In der Kirche St. Martinus in Esch werden die Glocken wie überall automatisch mit einem Motor zum Klingen gebracht.
  • An wichtigen Feiertagen hat die Technik frei, dann steigen Norbert oder Christoph Schumacher den Glockenturm hinauf und bringen die Kirchenglocken auf besondere Weise zum klingen.
  • In der Stadt ist der Brauch fast ausgestorben, wir haben Kölns letzte Beiermänner besucht.

Köln – 70 Stufen geht es im Glockenturm hinauf. Rund 700 Jahre altes Gemäuer umfasst die steile Treppe und eine zum Teil recht fragil wirkende Holzleiter. Der Weg führt vorbei an einem riesigen Blasbalg, der früher zum Orgelspielen bewegt werden musste, und einem alten Uhrwerk, das ab und zu nachgezogen werden muss, damit die Kirchturmuhr die richtige Zeit anzeigt. Oben hängen drei dicke Glocken, zwei wurden in den 1950er Jahren gegossen. Eine ältere hat den Krieg überdauert, weil sie zeitweise im Dorfweiher versenkt worden war und deshalb nicht für Munition eingeschmolzen werden konnte.

Auch hier in der romanischen Kirche St. Martinus in Esch werden die Glocken wie überall automatisch und pünktlich mit einem Motor zum Klingen gebracht. Doch zu einigen ganz besonderen Anlässen ist das anders. Dann steigen Norbert oder Christoph Schumacher auf den Turm, schieben dicke Holzlatten ins Gebälk, damit die Glocken nicht schwingen können. Um die schweren Klöppel wird ein dickes Seil gebunden, das am anderen Ende an Haken in der Mauer befestigt ist. Sie stellen sich zwischen die Seile, Handschuhe und Ohrenschutz sollen sie vor Verletzungen bewahren.

An Ostersonntag läuten die Beiermänner

Es folgt eine kurze Phase der Konzentration, bevor eine äußerst schweißtreibende Arbeit beginnt. Wenn die Seile herunter gedrückt werden, schlägt der angebundene Klöppel gegen seine Glocke. Mehr als die drei Töne der drei Glocken stehen dem Glockenspieler nicht zur Verfügung – und trotzdem entsteht eine Melodie, die mit wechselnden Rhythmen und Tempi so oder so ähnlich seit Jahrhunderten durch den Stadtteil schallt. Ostersonntag um 9.15 Uhr ist es wieder soweit.

Norbert und Christoph Schumacher sind die letzten Beiermänner der Stadt. Das Beiern ist ein uralter Brauch im Rheinland sowie im niederländischen und belgischen Grenzgebiet. In einigen kleineren Orten im Bergischen, in der Eifel oder im Siebengebirge wird die Tradition noch gepflegt. In Köln scheint sie so gut wie ausgestorben – wäre da nicht der kleine, beschauliche Stadtteil im Norden Kölns, wo zwei Brüder weiter die Kunst des Beierns pflegen.

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Norbert und Christoph Schumacher im Glockenstuhl

„Man muss kein Musiker dafür sein“, sagt der 57-jährige Christoph Schumacher. „Ein bisschen musikalisches Gespür und Rhythmusgefühl reicht.“ Überprüfen kann man die Tiefstapelei nicht, denn wer hat schon Kirchenglocken zum Üben zuhause. Und es im Glockenstuhl auszuprobieren ist nicht erlaubt, weil es jeder hören könnte.

Erbe von „Pütz’ Pitter“ übernommen

Der Tontechniker und der Elektriker erinnern sich gut an ihr erstes Mal. Ihr Vorgänger Peter Schmitz – in Esch besser bekannt als „Pütz’ Pitter“ – hatte sie einmal zum Zuschauen mit in den Turm genommen. Die tradierte Melodie hatten sie als gebürtige Escher im Ohr. Das musste für die Premiere reichen.

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Christoph Schumacher bespielte die Glocken zum ersten Mal 1982 – als Pütz’ Pitter im Schatten des Kirchturms an diesem idyllischen friedvollen Ort beerdigt wurde. In früheren Zeiten wurde das Amt des Beiermanns vom Vater auf einen Sohn, der „Beiershänsje“ genannt wurde, vererbt. Weil die Kinder von Pütz’ Pitter nicht wollten, seien er und seine älteren Brüder Christoph und Georg gefragt worden, erinnert sich der 55-jährige Norbert Schumacher. Bei den Festtagen wechselten sie sich ab: Gebeiert wurde früher auch an Fronleichnam und am Weißen Sonntag, heute nur noch an Ostern und zur Dorfkirmes im September.

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St. Martinus in Esch ist eine echte Sehenswürdigkeit im Norden der Stadt

Die Pfarreien im Rheinland pflegten den Brauch auf verschiedene Weise. So unterschieden sich die Anlässe und die Melodien, weiß Katrin Bauer, Referentin in der Abteilung „Alltagskultur und Sprache“ beim Landschaftsverband Rheinland. In manchen Gemeinden wurden die Melodien von speziellen Beier-Versen begleitet. Kölsche Zeilen sind von Innenstadt-Gemeinden wie St. Andreas und Groß St. Martin oder auch vom Dom überliefert, was darauf schließen lässt, dass auch dort einstmals gebeiert wurde. Das Wort „Beiern“ hat seinen Ursprung im Alt-Französischen. „Baier“ bedeutete „bellen“ oder „anschlagen“. Über das Flämische kam das Wort dann ins Rheinland.

Beschwerden über zu lautes Beiern

Bauer kennt Belege aus vielen Jahrhunderten, darunter sind auch Akten der Polizei. Es gab Beschwerden von Menschen, die sich durch zu langes und zu lautes Beiern belästigt fühlten. Viele Unfälle mit abgestürzten Beiermännern und zerspringenden Glocken seien protokolliert. Nicht selten soll Alkohol im Spiel gewesen sein. Zeitweise musste das Beiern streng reglementiert werden. Aus dem Jahr 1820 ist eine Verordnung „der königlichen Regierung zu Köln“ zum „Gebrauch der Glocken bei gottesdienstlichen Verrichtungen und kirchlichen Ceremonien“ überliefert. Das „Glockenschlagen oder sogenannte Beiern“ wurde verboten. Ausnahmen waren die Fronleichnams-Prozession und der Namenstag des Kirchenpatrons.

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Wenn es schon Beschwerden aus der Umgebung wegen Lärmbelästigung gab, kann man erahnen, wie laut es für den Beiermann wird, wenn er unmittelbar vor den Glocken steht. „Die Töne schwirren durch den ganzen Turm, da ist richtig was los“, sagt Norbert Schumacher. Der ganze Glockenstuhl schwinge mit. „Das macht emotional was mit Dir.“

Man spiele sich zwar nicht in eine Trance, „aber es geht schon in die Richtung“, sagt Bruder Christoph. Nach zehn Minuten Glockenspiel am Ostermorgen sei er regelrecht „beseelt“. Dann gebe es kaum Zweifel an der österlichen Auferstehung des Herrn. Norbert Schumacher ergänzt: „Wenn er davon nicht wach geworden ist, hat er es an den Ohren.“  

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