Wolfgang NiedeckenWie BAP Ende der 90er Jahre einen gewaltigen Reset erlebte

Lesezeit 4 Minuten
Der Runde Tisch unterstützte das  „Arsch huh“-Konzert am 9. November 1992,

Der Runde Tisch unterstützte das  „Arsch huh“-Konzert am 9. November 1992,

Köln – Deutschland im Glückstaumel. Eben erst ist in Berlin die Mauer gefallen, die DDR-Diktatur beendet und die Freiheit erkämpft worden. Und im Finale der Fußballweltmeisterschaft in Rom verwandelt Andy Brehme den entscheidenden Elfmeter gegen Argentinien. Links unten in der 85. Minute. Alles super. Aber nicht für Wolfgang Niedecken. Das wird sofort deutlich, als im Oktober 1990 das Studioalbum „X für e U“ erscheint. Es legt los mit einem zornigen „Denn mir sinn widder wer“. Die Stimmungslage der Nation wird kritisch beleuchtet: „Wo mer och hinluhrt: nur noch Deutschland / Su penetrant, wie ich et noch nit kannt / Als jööv et sons nix mieh“.

Tatsächlich ist Wachsamkeit geboten. In Rostock wüten zwei Jahre später Rechtextreme rund um ein Wohnheim für Vietnamesen. Dafür gibt es Beifall vom gaffenden Publikum. Das Entsetzen über die Ausschreitungen ist groß. Auch in Köln. Die lokale Musikszene ruft zu einem Protest-Konzert „gegen Rassismus und Neonazis“ auf. Wie viele mögen da kommen? So viele wie noch nie in der Geschichte der Stadt. 100.000 Menschen stehen rund um die Bühne auf dem Chlodwigplatz. Der bannende Höhepunkt ist das Lied, das Nick Nikitakis komponiert und Wolfgang Niedecken getextet hat: „Dä Schuss ess fruchtbar noch, / Uss dämm die Nazibrut russkroch. / Jetzt jilt et: Arsch huh, Zäng ussenander, / Jetz, nit nähxte Woch!“

17 Coverversionen von Bob-Dylan-Songs

Mitte des Jahrzehnts kommt Wolfgang Niedeckens zweites Soloalbum heraus. Auf „Leopardefell“ versammelt er stolze 17 Coverversionen von Dylan-Songs. Mit BAP wäre das nicht möglich gewesen. Damals fanden sich nur zwei Dylan-Fans in der Band. Das sind zu wenige, um eine solche kölsche Hommage anzugehen.

Alles zum Thema Wolfgang Niedecken

BAP Album

BAP-Plakat vom renommierten Grafiker Sebastian Krüger

Ob sich Bob Dylan jemals angehört hat, wie aus seinem „A Hard Rain's A-Gona Fall“ ein „Unfassbar vill Rään“ geworden ist? Aus „My Back Pages“ ein „Vill passiert sickher“ und aus „Highway 61“ der „Nürburgring“? Wir wissen es nicht. Aber möglich ist das schon. Immerhin hatte Bruce Springsteen gesagt, er wolle dafür sorgen. „Hat er offensichtlich auch gemacht“, schreibt Niedecken in seinem kürzlich erschienen Dylan-Band für die KiWi-Musikbibliothek. „Denn kurz darauf traf ein Fax vom Dylan-Management im BAP-Büro ein, man möge doch bitte eine ganze Kiste meines Dylan-Albums fürs Archiv rüberschicken.“

Das könnte Sie auch interessieren:

Mit der ehrenwerten Dylan-Cover-Band, schreibt Niedecken in der Autobiografie „Für ’ne Moment“ (Hoffmann und Campe), sei er seinem Ideal einer perfekten Band sehr nahegekommen. „Zu BAP zurückzukehren fühlte sich an, wie nach den Flitterwochen wieder zur Arbeit zu gehen.“ Aber die Arbeit lohnt sich.

Gewaltiger Reset Ende der 1990er Jahre

Mit „Amerika“ legt die Band ein starkes Album auf. Darauf zwei bilderreiche Geschichten aus der Geschichte. Im Titelsong erzählt Wolfgang Niedecken vom Einmarsch der Amerikaner gegen Ende des Zweiten Weltkriegs.

Niedecken mit Tochter

Tina und Wolfgang mit den Töchtern Isis und Jo-Jo im Jahr 1995.

Da wird aus dem Blickwinkel einer Nation, die in mörderischer Diktatur gelebt hat, von einem fernen Land geschwärmt: „Et heiß, do wöhr jeder glisch, / Ejal, ob ärm oder risch - Amerika. / Un do kräät jeder sing Chance, / E Paradies vun 'nem Land - Amerika.“ Dann hören wir in „Nix wie bessher“, wie es in den 1950er Jahren weiterging. Kino in Versen: „Die Toreinfahrt vum Schuster / Woor unser Fußballtor, / Wo em Winter wie em Sommer / Dä Papst ahm boxe wohr, / Schalke en Packung vum FC kräät. / Klein Stan Matthews, klein Pelés, klein Hans Schäfers spillten he.“ Auch als Intro auf der Tournee machte sich der Song ausnehmend gut.

Neue BAP-Tour 2022

BAP will 2022 wieder auf Tour gehen: „Wir scharren schon ungeduldig mit den Hufen, um endlich wieder live zu spielen“, sagt Wolfgang Niedecken. Denn eigentlich sollte am 30. März 2021 eine große Geburtstagssause in der Lanxess-Arena stattfinden. Nun wird Pandemie-bedingt „Niedecken feiert 70&1“ daraus – am 30. März 2022. An den Tagen davor gibt es Warm-up-Konzerte in Hannover, Bielefeld und Münster.

Im Herbst 2022 geht es dann weiter mit der „Schliesslich unendlich“-Tournee.

Tickets gibt es ab sofort bei Eventim und ab Freitag , 26.März 2021, an allen bekannten Vorverkaufstellen. (stef) 

Die 90er Jahre enden mit einem gewaltigen Reset. Im Laufe des Jahrzehnts hatten bereits Steve Borg, Alex „Effendi“ Büchel und Manfred „Schmal“ Boeker die Band verlassen. Hinzugekommen waren Werner Kopal, Michael Nass, Sheryl Hackett und Jens Streifling. Vor allem aber: Klaus „Major“ Heuser nimmt seinen Hut. In einem Bistro in Rodenkirchen gibt er den Abschied bekannt. Sein letztes BAP-Konzert spielt er am 10. Juli 1999 am Deutschen Eck in Koblenz. Wenige Wochen zuvor schon beginnen die Aufnahmen fürs „Tonfilm“-Album – jetzt mit Helmut Krumminga an der Gitarre. Das neue Jahrtausend kann kommen.

KStA abonnieren