17 Jahre nach SensationsfundMuseum Schnütgen zeigt ein magisches Mineral

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Ein goldenes Scheibenkreuz mit eingesetzten Bergkristallen aus dem Hildesheimer Dommuseum.

Ein Scheibenkreuz aus dem Dommuseum Hildesheim wird im Museum Schnütgen ausgestellt

Ein außergewöhnlicher Fund beim Ausbau einer Kölner U-Bahn brachte sie zutage: Eine Bergkristallschleiferei aus dem Mittelalter. Nun widmet das Museum Schnütgen dem sagenumwobenen Mineral eine Ausstellung.

Plinius der Ältere gab die Richtung vor. In seiner Naturgeschichte stellte der Gelehrte aus dem 1. Jahrhundert fest: „Von den Gegenständen, die an der Oberfläche der Erde liegen, werden Kristalle am höchsten geschätzt.“ Sie seien zehnmal wertvoller als Gold. Dabei ging Plinius davon aus, dass es sich bei dem wasserklaren und angenehm kühlenden Kristall um versteinertes Eis handele. Dem sagte er allerlei Gutes nach. Damit machte er mächtig Eindruck beim Klerus und bei Kaisern, bei klugen Köpfen und bei Wahrsagern.

Die sagenhafte Karriere des Minerals zeichnet nun die Ausstellung „Magie Bergkristall“ im Museum Schnütgen in Köln nach. Im Grunde handelt es sich um eine Jubiläumsschau. Denn erstmals hat sich das Museum vor 50 Jahren intensiv auf den Bergkristall eingelassen, damals unter Leitung von Anton Legner in der Ausstellung „Rhein und Maas“. In der Folgezeit war das Mineral immer wieder ein Thema in Köln. Nun knüpfe das Museum Schnütgen, sagt sein Direktor Moritz Woelk, an diese Tradition an und schlage zugleich „ein neues Kapitel“ auf.

Der Ausbau einer U-Bahn brachte die Kölner Bergkristallschleiferei ans Licht

Das wird nicht zuletzt bestimmt durch einen sensationellen Fund im Jahre 2005. Damals wurde beim Ausbau der Kölner U-Bahn am Kurt-Hackenberg-Platz eine Bergkristallschleiferei aus dem 12. Jahrhundert entdeckt. Es ist der bislang einzige archäologische Nachweis einer solchen Werkstatt aus dem Hohen Mittelalter. Die Funde illustrieren jetzt die Arbeitsgänge: Kleine Eisenhämmer zum Zuschlagen des Kristalls, Sandstein mit unterschiedlich grober Körnung für den Grob- und Feinschliff sowie eine schmale Bleitafel zum Polieren.

Das ist gleichsam der Blick in den Backstage-Bereich. Was darauf folgt, ist ein Parcours der Prächtigkeiten von der Antike bis zum ausgehenden Mittelalter. Die 20 Stationen mit rund 130 Exponaten aus vielen Sammlungen bieten eine solche Fülle an Hochkarätern, dass man aus dem Staunen so schnell nicht herauskommt. Moritz Woelk merkt an, dass er vor manchen dieser Objekte einen ganzen Tag verbringen könnte. Und wenn das womöglich zart übertrieben klingt, da sich der Kunsthistoriker schon eine Weile mit den Werken beschäftigt hat, so ist doch damit die Güte der Exponate vollkommen zutreffend beschrieben.

Bergkristalle dienten unter anderem als Gefäße für Reliquien

Das Mineral empfahl sich mit seiner Strahlkraft und Transparenz für liturgische Objekte aller Art. Dazu zählen auch die Schreine der Heiligen Maurinus und Albinus aus St. Pantaleon, deren jeweilige Dächer mit Bergkristallkugeln geschmückt sind, die als Kölner Spezialität gelten. Diese Schreine können im Museum aus nächster Nähe betrachtet werden – und alleine diese seltene Chance lohnt den Weg in die Ausstellung. Aber da ist eben noch so sehr viel mehr.

Allenthalben funkeln die „Cabochons“, die ebenfalls als Kölner Spezialität gelten. Mit flacher Unterseite und gewölbter Oberseite werden sie auf Kreuze, Buchdeckel und Monstranzen appliziert. Herausragend zudem das Kreuznagelreliquiar aus Essen (allerdings ausgeliehen ohne Nagel); die Hedwig-Gläser, von denen es weltweit nur 13 gibt; die glasklaren Löwen aus dem Pariser Musée de Cluny (das 2023 ebenfalls eine Bergkristall-Schau zeigen wird). Und dann die vielen Reliquiare. Mal gibt der Bergkristall die Sicht frei auf die Reliquie, vergrößert diese gar, und mal täuscht er den Durchblick nur an. Gerade so, als sollte die fromme Botschaft lauten: Man sieht vieles und doch nicht alles.

Ausstellung des Museum Schnüttgen zeigt zahlreiche Schätze

Zu jedem Objekt ließe sich eine kleine Kunstgeschichte erzählen. Das gilt auch für den Kristall aus Rouen, dem eine unglaublich feine Darstellung der Taufe Christi eingraviert ist. Diese sogenannte Intaglio-Arbeit wurde mutmaßlich mit einem Diamantsplitter ausgeführt. Und das Kokosnussreliquiar aus Münster ist ein sprechendes Beispiel dafür, wie das Mittelalter zuweilen der Kunst den Kopf verdreht hat. So wurde einer islamischen Löwenfigur das Haupt abgeschnitten und „verkehrt“ herum aufgesetzt, damit die Gestalt wie das christliche Lamm Gottes aussehe. Da liegt es nun auf der Kokosnuss-Weltkugel und blickt zurück in eine ferne Zeit.

Manuela Beer hat die begeisternde Ausstellung kuratiert. Die stellvertretende Direktorin des Museums Schnütgen weiß, was Plinius noch nicht wissen konnte: „Bergkristall kommt aus dem tiefen Inneren des Berges, wo er im Verborgenen unter Einwirkung von Hitze und Druck langsam, manchmal über Jahrtausende, in unzugänglichen, verborgenen Klüften aus Kieselsäure entsteht.“ Sie schreibt dies im umfangreichen Begleitbuch. Weil ein solches Kompendium von internationalem Interesse ist, wird es zudem in einer englischsprachigen Version angeboten.

Darin ist dann auch von vielen weiteren Aspekten der Ausstellung die Rede. Von den magischen Kräften, die dem Bergkristall nachgesagt werden, weiter von den „Lesesteinen“ der Wikinger, von der Prachtentfaltung am Hofe, von Bildern und Büchern und nicht zuletzt vom Aberglauben. Der Rundgang endet mit einer rotierenden Glaskugel. Aber auch ohne einen Blick in dieses Objekt der Wahrsagerei zu werfen, können wir prognostizieren: „Magie Bergkristall“ wird niemanden unbeeindruckt lassen.

Die Ausstellung

„Magie Bergkristall“ im Museum Schnütgen. Geöffnet: Di-So 10-18 (Donnerstag bis 20 Uhr), vom 25.11.2022 bis 19.3.2023. Eintritt 10 Euro, erm. 7 Euro.

Katalog hrsg. von Manuela Beer, Hirmer Verlag, 448 Seiten, 44 Euro im Museum und 55 Euro im Buchhandel.

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