350. Todestag RembrandtsDas Leben und nichts anderes

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Rembrandt Harmensz. van Rijn Selbstbildnis mit nach vorn gezogenem Barett, um 1630 Radierung, Kaltnadel, 

Vor den Bildern Rembrandts blamiert sich jeder so gut er kann. Da behauptete der Kunsthistoriker Ernst Gombrich doch glatt, Rembrandts Menschen wirkten wie vom Schicksal selbst gezeichnet, und schob, nicht ohne sich zu entschuldigen, gleich noch ein ähnlich schlimmes Klischee hinterher: Der Maler habe den Menschen so tief in die Seele geblickt wie niemand sonst.

Aber was will man machen? Der Mann hat ja Recht, und er war nicht der letzte, dem Rembrandt die Furcht vor abgegriffenen Wahrheiten verlieren ließ. Jedes Rembrandt-Bild, so etwa der US-Kritiker Peter Schjeldahl, bringe einen in der Frage, was es heißt, ein Mensch zu sein, auf den neusten Stand. Und, ach ja, Rembrandt war ein Genie, so Schjeldahl weiter, ein Sherlock Holmes der Malerei, der uns alle zu Doktor Watsons macht. Das rückt die Perspektive zurecht: Der Kritiker ist ein Dummkopf, aber ohne ihn wüssten wir nichts vom großen Geist, von dem er huldvoll zehrt.

Wenn sich der Todestag Rembrandt Harmenszoon van Rijns (1606-69) an diesem Freitag zum 350. Mal jährt, müht sich jeder wieder so gut er kann. Aber man kommt an den Klischees einfach nicht vorbei, an der Einsicht, dass Rembrandt der größte Menschenkenner unter den Malern war und zudem ein begnadeter Erzähler. Bis heute glauben wir jeden Barockmenschen persönlich zu kennen, der ihm Porträt saß, was dank seiner rund 80 Selbstbildnisse nicht zuletzt auf ihn selbst zutrifft. Wobei diese Autobiografie in Bildern weniger in die Seele des Malers als auf die Bühne der Affekte führt. Wie ein Schauspieler legte sich Rembrandt immer neue Kostüme an (er war geradezu ein Hutfetischist) und probierte dazu passende Gesichtsausdrücke aus.

Auch die Grafik-Ausstellung, mit der das Wallraf-Richartz-Museum die Kölner Rembrandt-Feierlichkeiten einleitet, beginnt mit Rembrandts Blick in den Spiegel. Sein „Selbstbildnis mit nach vorn gezogenem Barett“ (um 1630) ist kaum größer als eine Briefmarke und noch mit sehr leichter Hand in die Druckplatte gezeichnet. Das lebenslang verstrubbelte Haar quillt unter dem Hut hervor, der ganze Kerl wirkt müde und verkatert, ein luftig hingestrichelter Bohemien auf dem Sprung vom beschaulichen Leiden in die pulsierende Metropole Amsterdam. Auf dem übernächsten Selfie posiert Rembrandt dann schon als erfolgsverwöhnter Künstler, der, obwohl Rechtshänder, sein Metier lässig mit linker Hand ausübt. Kein Wunder, dass ihm seine Ehefrau Saskia heimlich einen bewundernden Blick zuwirft; aber auch das entgeht einem Rembrandt selbstredend nicht.

Mit den 27 Radierungen aus der eigenen Sammlung verkürzt uns Anne Buschhoff, neue Leiterin der Grafischen Abteilung, nicht nur die Wartezeit auf die große, ab November geöffnete „Inside Rembrandt“-Schau des Wallraf. Sie erinnert uns auch daran, dass Rembrandt ein echter Maler-Grafiker war. Sicher sollten seine Landschaften und Bibelszenen auch für die Gemälde werben. Aber Rembrandt, als Grafiker eine ungelernte Kraft, nutzte sie vor allem als Experimentierfeld und Wettkampfarena, in der er sich etwa mit Albrecht Dürer maß. Neben dessen Idealbild von Adam und Eva wirkt Rembrandts Neandertaler-Pärchen besonders menschlich; man ahnt sofort, dass diese vergnügten Naivlinge mit einem Biss in den Weisheitsapfel nicht glücklich werden können.

Soll man derlei barocken Realismus nun Mut zur Wahrheit oder doch eher Liebe zum Hässlichen nennen? Seinen späteren Verächtern machte es Rembrandt jedenfalls leicht, indem er einen Hund buchstäblich in die biblische Szene vom barmherzigen Samariter kacken ließ. Überhaupt wird man im Wallraf noch einmal daran erinnert, wie konsequent Rembrandt die Bibel nach dem menschlichen Drama durchforstete, um es mitten in seine (und wie durch ein Wunder in jede darauf folgende) Zeit zu stellen. Schlägt man dann die im Taschen-Verlag erschienene, auf drei Prachtbände verteilte Gesamtausgabe der Rembrandt-Werke auf, wird einem erst recht alttestamentarisch ums Gemüt: Hollywoods Bibelschinken sind nichts dagegen.

Allerdings suchte Rembrandt in der (un)heiligen Schrift weniger nach Schauwerten als nach Wegen, seinen Wissensdurst zu stillen. Als Maler war ihm nichts Menschliches fremd, und das Alte Testament bot Stoff im Überfluss: Wie mag es sich anfühlen, den eigenen Sohn zu opfern, jemanden zu töten oder seine Liebe verheimlichen zu müssen? Auf all diese Fragen fand Rembrandt Antworten, und auch wenn er seine Modelle dazu in Fantasiekostüme steckte, sind sie uns doch ganz nah. Auf seiner Version der Isaak und Rebecca-Legende sehen wir die Eheleute, die sich aus Angst um Isaaks Leben als Geschwisterpaar ausgeben, als sie sich unbeobachtet wähnen. Isaak greift seiner Frau an die Brust, was ihn verrät, sie legt ihre Hand auf die seine, aber weder er noch sie wirken dabei leidenschaftlich oder befreit, als könnten sie endlich sie selber sein. Stattdessen zeigt Rembrandt zwei Liebende, die außerstande sind, ihre zu gut gelernten Rollen abzulegen.

An den drei Taschen-Bänden hat man schwer zu tragen. Aber sie versammeln Menschen, wie sie – außer Rembrandt – wohl nur das Schicksal selbst hätte malen können.

INFOS

„Rembrandts grafische Welt“, Wallraf-Richartz-Museum, Obenmarspforten, Köln, Di.-So. 10-18 Uhr, bis 12. Januar. Katalog: 12 Euro. Am 4. Oktober ist der Eintritt frei.

Rembrandt im Taschen

Verlag: „Sämtliche Gemälde“, 744 S., 150 Euro; „Sämtliche Zeichnungen und Radierungen“, 756 S., 150 Euro; „Die Selbstporträts“, 176 S., 50 Euro.

„Porträt eines Ehepaars als Isaak und Rebecca“ (1662–66)Fotos: Taschen Verlag/ Wallraf-Richartz-Museum

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