Hitze, Dürre, FeuerDer endlose Sommer ist keine Verheißung mehr

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Zwei Männer stehen auf ihren Dächern vor riesigen Flammen und versuchen mit Wasserschläuchen ihre Häuser zu retten.

Inferno im Urlaubsparadies: Anwohner stehen auf der griechischen Insel Rhodos vor einer Feuerwand.

Als die Blumenkinder in San Francisco vom endlosen Sommer der Liebe träumten, brachen elf abenteuerlustige Leipziger Oberschülerinnen an die Ostsee auf. Unterwegs trafen sie gleichgesinnte junge Männer aus Karl-Marx-Stadt – fertig war „Heißer Sommer“, der 68er-Sommerhit in den Kinos der DDR. Heute gilt das DEFA-Musical als Hochamt unfreiwilliger Komik, aber die steifen Lockerungsübungen hatten zumindest im Titelsong geradezu prophetischen Charakter. „Heißer Sommer in diesem Jahr/ Ist ein heißer Sommer wie wunderbar“, singen die adrett frisierten Mädels. „Heute brennt die Sonne ganz erbarmungslos/ In der Hölle ist die Hitze halb so groß/ Irgendwo da muss doch auch noch Wasser sein/ Wenn ich's finde, spring ich wie ich bin hinein.“

Ein Sommer, der nie vergehen soll, das war lange eine Sehnsuchtsvorstellung

Von höllischen Wetterverhältnissen ließ sich damals noch ganz unbeschwert und voller Vorfreude trällern, denn in gemäßigten Temperaments- und Klimazonen waren Hitzewellen kurz. Heute gehören heiße Sommer, wie der von Chris Doerk besungene, zum deutschen und mitteleuropäischen Alltag, mit all ihren katastrophalen Folgen. Auch der in unzähligen Liedern, in Filmen und Romanen beschworene endlose Sommer erscheint mittlerweile nicht mehr als Verheißung. Wunderbar ist warme Jahreszeit nur noch in der Vergangenheitsform.

Ein Sommer, der nie vergehen soll, das war lange eine Sehnsuchtsvorstellung, ein Durchschlupf durch Zeit und Raum in den irdischen Garten Eden. Man findet den endlosen Sommer sowohl in der Hochkultur als auch in seichten Schlagern, in denen der Sommer, wie bei Kate Hall, „Wunder möglich macht“ oder Oceana in pfingstlichen Zungen singen lässt: „Oh, oh, oh, oh/ Yeh, yeh, yeh, yeh, yeh/ Endless summer“, stammelte sie im Jahr 2012 für die offiziellen Hymne der Fußball-Europameisterschaft zusammen. Um Partys, Herzklopfen und die vom Himmel scheinende Liebe ging es selbstredend auch.

Die Beach Boys liefern die Hintergrundmusik zu Tagen am Strand

Mit dem endlosen Sommer sind paradiesische oder utopische Verhältnisse gemeint oder wenigstens eine ballermanneske Form des Ausnahmezustands. Die üppigen, meist trügerischen Glücksversprechen des gewöhnlichen Sommers werden in ihm auf Dauer gestellt: die Sommerliebe, der Orts- und Luftwechsel, der Urlaub vom Alltag. „Endless Summer“ heißt die Kompilation, auf der die Beach Boys ihre größten Hits versammelten, Bruce Browns Dokumentarfilm über eine Gruppe legendärer Surfer trägt den gleichen Titel. Die Beach Boys liefern die Hintergrundmusik zu verträumten Tagen am Strand, Brown feierte die arbeitsfreie Zeit als Lebensprinzip. Die surfenden Helden reisten dem Sommer und den Wellen um die ganze Erdkugel hinterher.

Mit dem „Sommer der Liebe“ fielen Sommer und Liebe endgültig in eins. Scott McKenzie versetzte die endlose Liebesnacht in seinem Welthit nach San Francisco, aber San Francisco war überall. Selbst an der sozialistischen Ostsee und selbstredend in jenem dänischen Herrenhaus, in dem Madame Nielsens gefeierter (und am Schauspiel Köln dramatisierter) Roman „Endloser Sommer“ spielt. Es ist die Geschichte einer verrückten Liebe, die sich nirgendwo wahrer als auf dem Buchdeckel liest: „Der endlose Sommer – das ist dieser Ort, der nie existiert hat und an den wir nie zurückkehren können, dieser Augenblick der Jugend, in dem alles einfach und verwirrend zugleich erscheint und den wir alle noch einmal erleben möchten.“

Wenn die Lebenserfahrung lehrt, dass jeder Sommer einmal enden wird, lässt er sich immer noch als ferner Ort der Erinnerung bewahren. Im Rückblick wird die Jugend zum endlosen Sommer verklärt, zu einem nostalgischen Ort, an den man unter der Arbeitswoche reisen kann. Auch das Fernweh ist in der Regel ein Sommerweh, die paradiesische Südsee wird von einer Sonne beschienen, deren Lauf sich in der touristischen Hauptsaison über den längsten Teil des Tages dehnt.

Im biblischen Garten Eden herrscht der eitle Sonnenschein wie der Gott des Alten Testaments. Der Regen fällt zwischen den Zeilen, denn die Obsternte ist üppig und die Erde so fruchtbar wie die Menschheit nach der Erschaffung Evas. Auch im Schlaraffenland gibt es keine Dürre, die gebratenen Tauben sind gut genährt. Der endlose Sommer der irdischen Paradiese setzt sein jahreszeitliches Gegenteil stillschweigend voraus.

Wir lernen gerade, dass es auch ein Zuviel des Guten gibt

In seiner paradiesischen Form lässt sich der endlose Sommer durch das beschreiben, was ihm zum Leben fehlt. Es gibt in ihm weder Kälte noch Not, weder Mangel noch Arbeit – und vor allem gibt es im endlosen Sommer keine Vorstellung davon, dass es ein Zuviel des Guten gibt. Heute sehen wir beinahe tagtäglich, welche Schäden zu viel Regen auf einmal und zu viel Sonne über längere Zeit hinweg anrichten können.

In gewisser Hinsicht waren die letzten Jahrzehnte für uns bereits ein endloser Sommer. In den westlichen Industriegesellschaften gab es beinahe alles im Überfluss; Kälte und Not waren zwar nicht aus der Welt, ließen sich aber durch soziale Wohltaten und die Segnungen der Zentralheizung beherrschen. Irgendwann war sogar davon die Rede, dass der Arbeitsgesellschaft die Arbeit ausgehen würde.

Die bittere Pointe dieser irdischen Paradiese liegt darin, dass die Überflussgesellschaft auf Dauer ihre eigenen Grundlagen untergräbt. Auch der Überfluss an Regen und Hitze ist eine direkte Folge der gefühlten Endlosigkeit des Sommers.

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