In Köln kann man beim achten Africologne-Festival Theater- und Tanzhöhepunkte vom afrikanischen Kontinent erleben.
Africologne-FestivalDie heilige Johanna des Kongos kämpft mit der Kettensäge

Szene aus der Produktion "Sorcières Kimpa Vita" aus der Republik Kongo auf dem Africologne-Festival
Copyright: Pierre Gondard
„Du glaubst, ich bin Jeanne dArc? Ich bin Jeanne Dark Dark Dark!“, ruft die Tänzerin Florence Gnarigo aus – mit der Stimme der madagassischen Sängerin Dina Mialinelina, die im roten Kleid hinter ihr steht – und wirbelt noch ein wenig energischer, selbstbewusster, mit angespannten Oberschenkelmuskeln auf dem Boden aus Asche, hinterlässt Spuren. Eine Kriegerin, befeuert von gerechtem Zorn. Jetzt wirft sie wütend Blecheimer quer über das Bühnengeviert gegen die Wand, jetzt rennt sie mit gezücktem Speer auf das Publikum im Depot 2 zu, jetzt gar mit einer Kettensäge.
Energisch pulsiert dazu auch der Soundtrack aus programmierter Elektronik, live gespieltem Bassdonnern von Benoît Lugué und gelegentlichen Gongschlägen. Das ist phänomenal laut, aber auch sehr, sehr schön, im insistierenden Wummern verbirgt sich zarte Poesie. Die achte Ausgabe des Africologne-Festivals eröffnete am Mittwochabend mit einem Donnerhall.
„Sorcières/Kimpa Vita“ rüttelt das Publikum mächtig auf
Die Produktion „Sorcières/Kimpa Vita“ des kongolesischen Autors, Regisseurs und Schauspielers Dieudonné Niangouna – halb Tanztheater, halb Rockshow außer Rand und Band – rüttelte das Publikum mächtig auf. Dona Beatriz Kimpa Vita gilt tatsächlich als afrikanische Johanna von Orléans, eine Frau mit Visionen, die sich im frühen 18. Jahrhundert vom Volk in der alten Hauptstadt Mbanza Kongo (São Salvador) zur Herrscherin eines auferstandenen Königreiches Kongo ausrufen ließ und gegen den schändlichen Sklavenhandel der Portugiesen und die Missionstätigkeit der Kapuziner kämpfte. Die rächten sich prompt, nahmen die selbst ernannte Prophetin 1706 fest und verbrannten sie als Häretikerin und Hexe. Niangounas Inszenierung lässt sie als Vorbild postkolonialer Kämpfe wieder aufleben.
Die Power-Performance war umso willkommener, als man zuvor einen langen Anlauf nehmen musste. Das Festival wurde mit nicht weniger als acht aufeinanderfolgenden Reden begrüßt. Freilich hatten die Vortragenden tatsächlich etwas zu sagen. Der grüne Bundestagsabgeordnete Sven Lehmann lobte den Beitrag, den Africologne zu Kölns Ruf als weltoffener Stadt leiste. Bürgermeisterin Brigitta von Bülow freute sich, dass die drohenden Kürzungen der Stadt abgewendet werden konnten.
Gerhardt Haag hat einen Weltort in Köln geschaffen
Die frühere SPD-Bundestagsabgeordnete und Psychologin Lale Akgün, Vorstandsvorsitzende des das Festival veranstaltenden Afrotopia-Vereins, zitierte noch einmal das aktuelle Africologne-Motto „remember, exist, resist“ (erinnern, existieren, widerstehen). Die Notwendigkeit des Widerstands gegen Rassismus, Ausbeutung und strukturelle Ungleichheit habe an Dringlichkeit nichts verloren. Besonders feinnervig fielen die Beiträge von Michael Reitemeyer vom NRW-Kulturministerium und von Kölns Kulturamtschefin Juana von Stein aus, sehr souverän zwischen Englisch und Französisch wechselnd. Vielleicht übertrifft der Symbolgehalt die jeweiligen Inhalte: Nichts spricht eindeutiger für den Wert des Festivals, als die Ernsthaftigkeit der Auseinandersetzung mit seinen Inhalten und Zielsetzungen.
Die wichtigste Rede des Abends aber hielt Etienne Minoungou, der Schauspieler aus Burkina Faso hatte 2002 das afrikanische Theaterfestival in Ouagadougou, „Les Récréatrales“, gegründet. Hier lernte der Schirmherr der aktuellen Africologne-Ausgabe vor 15 Jahren den Kölner Theatermacher Gerhardt Haag kennen, der Beginn einer wunderbaren und ungeheuer ertragreichen Freundschaft, der Beginn des Africologne-Festivals. Die beiden Männer erlebten, so Minoungou, einen Moment der Klarheit, „eine stillschweigende Übereinkunft darüber, wie wichtig es ist, Brücken zu bauen zwischen zwei Städten – Ouagadougou und Köln –, zwischen zwei Ländern – Burkina Faso und Deutschland –, zwischen zwei Kontinenten – Europa und Afrika.“
Nirgends sonst in Deutschland als in Köln kann man in diesem Umfang, dank Haag, die darstellende Kunst Afrikas kennenlernen, nirgends sonst sind so viele künstlerische Verbindungen zwischen den Kontinenten geknüpft, ist so viel Wissen über das Denken des Gegenübers geschaffen worden. Etienne Minoungou zitiert den in Martinique geborenen französischen Autor Édouard Glissant, einen der Vordenker des Postkolonialismus: „Handle an deinem Ort, die Welt hält sich dort auf; denke mit der Welt, sie tritt aus deinem Ort hervor.“ Gerhardt Haag habe mit dem Africologne-Festival einen solchen „Weltort“ geschaffen, „ein offenes Haus für alle, die der Welt etwas zu sagen haben“. Zuvor hatte bereits Kerstin Ortmeier – künstlerische Leiterin und Ko-Direktorin – Haag Herzlichkeiten zugerufen: „Gerhardt, du bist unermüdlich, von Herzen großzügig, überall präsent“.
Der Africologne-Gründer hat sich nach 14 Jahren aus dem, wie er es nennt, operativen Geschäft zurückgezogen, es sei an der Zeit gewesen für einen Generationswechsel. Ihm ist Marie Deuflhard als neue Festivaldirektorin im Leitungsteam gefolgt. Africologne macht weiter, sucht weiter nach Utopien, denn die Kunst, so Etienne Minoungou, „ist das Gedächtnis der Zukunft, die Geste, die den Gesetzen vorausgeht.“ Das Africologne-Festival findet bis zum 22. Juni in Köln statt.
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