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Air auf dem „Kunstrasen“ in BonnWann könnte man diesen Eskapismus besser gebrauchen als heute?

4 min
Die französische Elektronic Band AIR mit dem Programm plays Moon Safari beim Live Auftritt auf der KunstRasen Bühne.

Air, Kunstrasen

Vor 26 Jahren erschien ihr Debüt „Moon Safari“. Auf dem Bonner Kunstrasen beweist das Electro-Duo Air, dass es noch immer aktuell ist.

Begleitet von dichten Nebelschwaden und Jubel aus dem Publikum treten zwei Herren in weißen Anzüge auf die Open-Air-Bühne des Bonner Kunstrasens. Ohne Umschweife begeben sich Nicolas Godin und Jean-Benoît Dunckel, besser bekannt als Air, an ihre Plätze zwischen mehreren Synthesizern, Stagepianos und ihrem heutigen Schlagzeuger Louis Delorme in einem weißen Kubus. Dieser wird zur Ausstellungsfläche großer Kunst, allem voran ihres Debütalbums „Moon Safari“ aus dem Jahr 1998, das sie in voller Länge spielen.

Mit dem gingen die beiden Franzosen damals rasant durch die Decke. Wochenlang waren sie in den Charts, die Platte wurde millionenfach verkauft. Ihr ganz eigener elektronischer Sound traf offensichtlich den Nerv der Zeit. Die Attribute dafür reichten von Lounge-Pop, über SciFi-Chanson bis Retrofuturismus. Schnell wurde dank seines loungigen Flairs auch das Potenzial des Albums als Hintergrundmusik entdeckt. Wahrscheinlich hat jeder und jede irgendwann in seinem Leben schon einmal ein Stück von dieser Platte gehört, wenn auch unwissend in einem Café. Dabei ist diese Musik eigentlich viel zu schade, um nicht mit voller Aufmerksamkeit gehört zu werden – das zeigen die beiden Schöpfer, auch 26 Jahre später, an diesem Abend in Bonn.

Mit Air auf eine musikalische Traumreise

Die atmosphärischen Klänge ihrer Synthesizer wiegen das Publikum – größtenteils Fans der ersten Stunde – gleich beim ersten Stück in einen sanften Trance-Zustand, den sie für den Rest des Abends nicht mehr verlassen werden. „La femme d'argent“ beginnt mit einem Klangregen, untermalt von Edwin Starrs „Runnin“ (1974) und steigert sich langsam, wie viele ihrer Tracks, zu einer vielschichtigen musikalischen Montage. „Moon Safari“ ist mit seinen 70er-Jahre Easylistening-Referenzen das zarte Gegenstück zum bis dahin wummernden Techno und den düsteren Triphop-Klängen dieser Zeit – das weiße Rauschen nach dem zu lauten Rave. Wer auf einem Konzert auf der Suche nach Ekstase und Tanzrausch ist, ist bei der träumerischen Mondreise von Air völlig fehl am Platz.

Musiker Nicolas Godin und Drummer Louis Delorme von Air bei ihrem Konzert auf dem Bonner Kunstrasen.

Musiker Nicolas Godin und Drummer Louis Delorme von Air bei ihrem Konzert auf dem Bonner Kunstrasen.

Die melodischen Synthesizer in „Sexy Boy“ klingen tatsächlich, als hätten die beiden sie irgendwo am Rande des Sonnensystems eingefangen, Dunckels lasziver, vom Vocoder verzerrter Gesang holt den Song zurück in menschliche Sphären. Über die Wände des Bühnenkastens schwirren dabei scheinbar unendlich viele Sterne. Auch die auf dem Album von Beth Hirsch gesungenen Parts in ihrem wohl bekanntesten Hit „All I Need“ und dem romantisch-erotischen „You Make It Easy“ übernehmen die Franzosen auf der Bühne selbst – ihre Stimmen verbinden sich zu einem harmonischen Zweiklang. Überhaupt zeigen die beiden sehr eindrücklich, dass ihre elektronische Musik nicht in die Kategorie „DJ“ passt. Jeder einzelne Ton wird von den Multiinstrumentalisten und ihrem Drummer live produziert: ob auf dem Stagepiano, der E-Gitarre oder dem Synthesizer. Das ist angesichts der Soundatmosphäre, die sie auf diese Weise produzieren, äußerst beeindruckend.

Bei Air wird jeder Ton live gespielt

Längst hat „Moon Safari“ Kultstatus erreicht, doch die im White Cube zur Schau getragene Kunst wirkt kein bisschen angestaubt – im Gegenteil, diese Musik ist zeitlos und wirkt noch immer modern. Wann könnte man diesen wunderbaren Eskapismus besser gebrauchen als heute? Unter tosendem Applaus der rund 4000 Zuschauer in Bonn verlassen die Herren in Weiß nach dem Album, das ihnen weltweiten Ruhm eingebracht hat, die Bühne – doch die musikalische Expedition ist noch längst nicht vorbei.

Musiker Jean-Benoit Dunckel auf dem Kunstrasen

Jean-Benoit Dunckel auf dem Kunstrasen

Im weißen Kubus geht schon wieder die rote Sonne auf und die beiden Versailler gehen zum zweiten Teil des Abends über. Keines ihrer späteren Alben konnte den Erfolg ihres fulminanten Debüts halten. Trotzdem hat Air durchaus auch abseits des kosmischen Soundrepertoires etwas zu bieten: das getriebene „Run“ (2004) mit seinen dunklen Bässen zum Beispiel, oder der einzige richtig tanzbare Track des Abends „Don't be Light“ aus ihrem zweiten Album.

Melancholische Gitarren und düstere Trommelschläge läuten schließlich den letzten Song ein. „Wir sind elektronische Performer“, wiederholen darin ihrer roboterhaften Stimmen. Tatsächlich hat ihr Auftreten etwas maschinenhaftes. Ihre Kunst ist komplexer als sie auf den ersten Blick scheint, die Künstler stets konzentriert bei der Arbeit. Nur einmal huscht Godin an diesem Abend ein Lächeln über die Lippen. Ganz am Ende scheint dann doch etwas Menschliches durch: Mit Kusshänden für die treuen Fans und einem knappen Danke gehen sie von der Bühne. Längst ist es dunkel geworden in Bonn. Über dem Wasser der Rheinaue schwebt der fast volle Mond.